
Glettler: Kranker Papst bedeutet nicht "Stillstand" der Kirche
Die Bedeutung von Papst Franziskus als "eine Integrationsfigur von Weltformat und ein verlässlicher Anwalt für die Ärmsten" trotz dessen zuletzt schwierigen Gesundheitszustandes hat der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler unterstrichen. Trotz der schweren Krankheit des 88-jährigen Papstes herrsche "hundertprozentig kein Stillstand" in der römisch-katholischen Weltkirche: "Weder gibt es einen Stillstand, noch ist sie führungslos. Der Papst hat die Fäden in der Hand." Glettler zeigte sich in dem am Sonntag veröffentlichten APA-Interview überzeugt, "dass die prophetische Kraft und die im Glauben begründete Menschlichkeit, für die Franziskus steht, gerade jetzt von unschätzbarem Wert ist."
Themen des Interviews waren außerdem Glettlers mögliche, aber "unwahrscheinliche" Nachfolge von Kardinal Christoph Schönborn als Erzbischof von Wien, die Glaubens- und Kirchenkrise in unseren Breiten, das Verhältnis zum Islam und das baldige Osterfest.
Zu Franziskus sagte der Innsbrucker Bischof, er halte dessen Amtsverzicht aus gesundheitlichen Gründen in absehbarer Zeit für "durchaus möglich". Wörtlich sagte er: "Ohne mutmaßen zu wollen, aber: Franziskus klebt mit Sicherheit nicht an seinem Amt." Benedikt XVI. habe hier in einem "kirchenhistorisch einmaligen Akt" im Februar 2013 eine Tür geöffnet. Glettler äußerte die Einschätzung, dass sich Franziskus ein bestimmtes Ziel gesetzt habe, das er noch erfüllen wolle. Dem Papst liege vor allem die Mission am Herzen, "den inneren und äußeren Kulturwandel der Kirche in Richtung einer authentischen Synodalität voranzutreiben". Dass er diesbezüglich voll Tatendrang sei, bestätige die vor Kurzem angekündigte Weiterführung des synodalen Prozesses bis 2028, wies Glettler hin. Dafür werfe sich Franziskus "selbst nochmals mit ganzer Leidenschaft in die Waagschale".
"Würde ungern weggehen aus Tirol"
Dass der 60-jährige gebürtige Steirer auf dem Innsbrucker Bischofsstuhl immer wieder als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des mittlerweile pensionierten Wiener Erzbischofs Kardinal Schönborn gehandelt wird, kommentierte Glettler differenziert: "Ich versuche, diese Frage nicht zu meiner zu machen. Ich wäre froh, wenn es jemand anderer wird. Ich würde ungern weggehen aus Tirol", meinte Glettler dazu. Aber sollte er vom Papst zum Erzbischof von Wien ernannt bzw. gefragt werden, würde er "ja sagen". Einen Verbleib in Tirol halte er aber eher für wahrscheinlich als einen Wechsel nach Wien.
Kritik übte Glettler indes am allzu langen Aufschub einer Nachfolgeregelung, zumal Schönborns Abgang seit langem bekannt war. Es sei "relativ unprofessionell", dass die "längst fällige" Entscheidung so lange dauere. Dass der zukünftige Erzbischof gleichzeitig auch zum Kardinal ernannt wird, kommentierte der Innsbrucker Bischof mit: "Ziemlich sicher nicht." Die Strategie des Papstes sei es, "die weltkirchliche Dimension der Kirche zu stärken", so Glettler, "und nicht jede europäische Hauptstadt mit einem Kardinal zu versorgen."
Nah am Menschen, nah bei Gott
Die Relevanz der katholischen Kirche und des Glaubens in Österreich und Europa bereitet Glettler Sorge, wie er sagte. Zu den sinkenden Mitgliederzahlen im Gegensatz zu allen anderen Erdteilen, in denen die Kirche "boomt", meinte er: "Viele wissen nicht mehr, worum es eigentlich im christlichen Glauben geht." Zugleich sei aber auch "ein zunehmendes Interesse an Spiritualität in einer Zeit großer Verunsicherung" feststellbar. Die Kirche benötigt nach den Worten des Bischofs eine spirituelle Erneuerung, sodass "die Freude des Glaubens und seine soziale Kraft von Neuem erfahrbar wird". Eine Religion, die nur "als ein Dekor zu einem saturierten, bürgerlichen Leben hinzukäme", würde wohl "auf Dauer niemanden begeistern".
Kirche müsse "mit den Menschen unterwegs" sein und sich ganz im Sinne des Papstes fragen: "Wo sind jene, die an den Rand gedrängt sind oder übersehen werden?" Glettler hält "drei Grundlinien" für wichtig: eine "nachvollziehbare mystische Dimension des Glaubens", ein klares soziales Engagement für Arme und Benachteiligte sowie Investition in Bildung. "Dann wird die Kirche lebensrelevant", zeigte sich Glettler überzeugt.
Verheiratete Priester neben zölibatären
In der Debatte über die Sinnhaftigkeit der Zölibatsverpflichtung blieb Glettler zurückhaltend. Einer "gänzlichen Aufhebung" wolle er keinesfalls das Wort reden, könne sich "jedoch beides vorstellen, also sowohl zölibatär lebende Geistliche, als auch verheiratete Priester". Papst Franziskus habe in dieser Frage auch Offenheit signalisiert. Der Diözesanbischof betonte, dass es in den mit Rom unierten Ostkirchen, so zum Beispiel in der griechisch-katholischen Kirche, verheiratete Priester gebe. Die Betroffenen müssten sich vor der Priesterweihe für ihre persönliche Lebensform entscheiden. Auch das bereits vor Jahren "deutlich formulierte Anliegen", Frauen für das Diakonat zuzulassen, erneuerte Glettler im APA-Gespräch.
In der Migrationsdebatte mahnte der Bischof einen "Verzicht auf gefährliche Pauschalurteile" ein. Die Gefahr einer generellen Islamisierung Europas sehe er nicht, teile aber die Sorge über "die verheerende Zunahme islamistischer Hassprediger im Netz". Speziell für nicht integrierte Jugendliche hätten diese "ein hohes Verführungspotenzial". Zugleich warnte Glettler aber davor, "im Zuge der Abwehr islamistischer Strömungen einen allgemeinen Kampf gegen den Islam auszurufen". Neben Anstrengungen um mehr Sicherheit und polizeiliche Überwachung sei auch der Aufbau menschlicher Beziehungen und solidarischer Netzwerke entscheidend, so der Bischof. "Scharf abzulehnen" sei in jedem Fall ein "politisierter Islam", der die Trennung von Religion und Staat nicht akzeptiere. Generell gilt für den Bischof jedoch: "Mehr Sorgen habe ich wegen leerer Kirchen als voller Moscheen."
An all die kritischen Entwicklungen unserer Zeit müsse auch zu Ostern gedacht werden. Das zentrale Fest der Christenheit steht laut Glettler für die "Überwindung alle Bösartigkeit durch den Kreuzestod Jesu" und sei "ein Fest der Hoffnung, das niemanden ausschließt".
Quelle: kathpress