
Theologe Tiwald: Jesus starb in Folge einer "prophetischen Eskalation"
Wie war das mit dem Leiden und Sterben Jesu "wirklich"? Entsprechen die Aussagen in den Evangelien der "Realität"? Fragen wie diese beschäftigen Christinnen und Christen seit Beginn des Christentums - besonders aber rund um Ostern. Entsprechend sind Bibelwissenschaftler gefragt, Licht ins historisch-kritische Dunkel zu bringen. So wie der Wiener Neutestamentler Prof. Markus Tiwald, der in einem Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (Ausgabe 13/27. März) festhielt, dass Jesus zwar nicht sterben wollte - aber letztlich aufgrund der Dramatik seiner Botschaft vom Reich Gottes wohl wusste, dass ihn dies das Leben kosten würde.
Tiwald wörtlich: "Das, was Jesus tut, ist eine prophetische Eskalation. Er spitzt die Dinge zu, indem er ganz bewusst nach Jerusalem geht, um dort beim Pessachfest in Jerusalem die Entscheidung zu suchen. Und er muss wohl gespürt haben, nach seinem Einzug in Jerusalem, am Palmsonntag, und dann auch bei seiner Tempelreinigung, dass das Ganze ins Scheitern geht. Und nachdem er sieht, dass das Ganze ins Scheitern geht, sagt er: Ich werde nicht flüchten, ich werde nicht davonlaufen, sondern ich werde trotz des Scheiterns einstehen und darauf warten, dass das Reich Gottes beginnt."
Kreuzigung: brutal und schändlich
Dabei hielt Tiwald fest, dass Jesus selbst keine explizite Christologie vertrat, sich selber also nicht als Messias bezeichnete. Vielmehr vertrat er eine "implizite Christologie" derart, dass er einen Absolutheitsanspruch erhob, der in der endgültigen Art wurzelte, in der er das Reich Gottes anbrechen sah. "Und aus diesem Absolutheitsanspruch heraus setzt er auch einen Anspruch, dass er nach Jerusalem geht und die heilige Stadt Jerusalem und auch den Tempel in Jerusalem für sich und für seine Botschaft reklamiert."
Detailliert gab Tiwald darüber hinaus Auskunft über die historisch-kritische Rekonstruktion etwa des Todes Jesu am Kreuz - "eine schändliche Hinrichtungsart" und letztlich ein brutaler Erstickungstod. Im Blick auf das in der christlichen Ikonografie vielfach dargestellte Tragen des Kreuzes durch Jesus stellte Tiwald klar, dass es sich dabei vermutlich nur um den Querbalken gehandelt hat, da der Längsbalken in der Regel bereits aufrecht aufgestellt war und der Delinquent auf den Querbalken genagelt und hochgezogen wurde. Doch auch das Tragen des Querbalkens sei für viele eine Qual gewesen, wenn sie zuvor - wie Jesus - gegeißelt wurden.
Die Hinrichtung erfolgte schließlich, weil Pontius Pilatus und der Hohe Rat offenbar fürchteten, dass Jesus eine Revolution hätte lostreten können und diese in eine Revolte gegen die römischen Besatzer münden würde: "Der Hohe Rat handelte sozusagen in politischer und nicht in religiöser Hinsicht in vorauseilendem Gehorsam und bemühte sich hier, Jesus 'unschädlich zu machen', wahrscheinlich noch vor dem Pessachfest, bevor die großen Pilgerströme nach Jerusalem gekommen wären, damit es hier keinen Aufruhr gab."
Kein exklusives Befreiungshandeln
Eine Richtigstellung nahm Tiwald auch im Blick auf den in seiner antisemitischen Wirkungsgeschichte fatalen Vers "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder" aus dem Matthäusevangelium vor. Tiwald: "Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Bibelvers, der traurigere Konsequenzen gezeitigt hat als dieser Vers. Weil man in der Folge gesagt hat, dass das Judentum das Volk der Gottesmörder sei, das sich mit dem Blut Jesu auf ewige Generationen befleckt hat. Darin liegt allerdings schon ein theologischer Irrtum, denn das Matthäus-Evangelium deutet das Blut Jesu als Blut zur Vergebung der Sünden." Diese Befreiung von den Sünden habe Jesus somit nicht exklusiv verstanden, sondern auch auf sein eigenes Volk der Juden bezogen. (Wortlaut des Interviews unter www.dersonntag.at/artikel/warum-jesus-am-kreuz-sterben-musste)
Dem Thema wird sich Tiwald auch bei einem öffentlichen Vortrag am 2. April in der Wiener "Akademie am Dom" widmen. Der Vortrag steht unter dem Titel "Die letzten Tage Jesu. Wie hat Jesus seinen Tod verstanden und warum musste er sterben?" Eine Teilnahme ist auch online möglich. (Informationen und Anmeldung: www.theologischekurse.at/veranstaltungen/26194/die-letzten-tage-jesu)
Quelle: kathpress