
Zulehner: Theologie sollte verstärkt "Gottesverstecke aufspüren"
Was folgt aus dem religionssoziologischen Befund, dass Gott inzwischen immer seltener "fehlt", dass Menschen Gott nicht mehr "brauchen" für ihr alltägliches Leben? Diese Frage wird gegenwärtig unter Theologen erneut heftig diskutiert. Grundlage bildet dabei das im vergangenen Jahr erschienene Buch des Tilburger Pastoraltheologen Jan Loffeld, "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt". Nachdem Theologen wie der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück oder auch der tschechische Religionsphilosoph Tomas Halik das Buch begrüßt haben als wichtige Reflexion auf moderne Ausformungen der Säkularisierung, äußerte der Wiener Religionssoziologe Prof. Paul M. Zulehner nun Zweifel daran, ob der Befund Loffelds der tatsächlichen Pluralität der gelebten Religionsformen gerecht wird.
In einem Beitrag für "communio.de", wo sich zuvor bereits Tück und Halik zu dem Buch geäußert haben, schrieb Zulehner nun (26. März), dass man sich nicht vorschnell mit dem Befund abfinden solle, dass die religiös Gleichgültigen ("Apatheisten und Egalisten") immer mehr werden und Religiös-Kirchliche sich im Rückzug befänden. Dies werde der tatsächlichen Pluralität der religiösen Überzeugungen und Weltanschauungen nicht gerecht - und es lasse entsprechend nicht die Orte sichtbar werden, wo heute noch Religiosität - wenngleich oftmals nicht mehr kirchliche gebunden - gelebt werde. Für die Pastoraltheologie bedeute dies, sie müsse "mehr Theologie wagen" und versuchen, "Gottesverstecke aufzuspüren", so Zulehner.
Wenn man nämlich theologisch von der Annahme ausgehe, dass Gott sich nicht von der Welt abwende, sondern weiterhin in ihr wirke - wenngleich offenbar "versteckt" -, dann könnte sich daraus laut Zulehner "eine neuartige sozialwissenschaftliche Religionsforschung" entwickeln. "Diese würde versuchen, Gottesverstecke im Leben und Zusammenleben heutiger Menschen aufzuspüren." Für die Kirche wiederum würde sich die Frage stellen, wie sich "dieser Schatz des 'Gottvorkommens'" heben lasse: "Der Akzent pastoralen Handelns würde sich von einer Pastoral des kirchenzentrierten Gottesimports zu einer Pastoral des Gottaufspürens verlagern."
Tück und Halik: Loffeld-Buch ist Pflichtlektüre
Einige Tage zuvor sind auf "communio.de" bereits Texte des Communio-Schriftleiters Jan-Heiner Tück und des tschechischen Religionsphilosophen Tomas Halik zum neuen Loffeld-Buch erschienen. Beim Halik-Text handelt es sich um dessen Vorwort zur tschechischen Ausgabe des Buches. Er halte das Buch für die "wertvollste und eindringlichste soziologisch-theologische Reflexion über die anhaltenden Veränderungen der religiösen Szene, die in diesem Jahrhundert geschrieben wurde", so der Soziologe und Priester Halik auf "communio.de" (21. März).
Das Lesen des Loffeld-Buches sei für ihn ein schmerzhafter Prozess gewesen, schilderte Halik. "Wenn ich nicht im Rahmen von Synodenversammlungen und 'Gesprächen im Geist' gelernt hätte, meine eigene Perspektive 'in Klammern' zu setzen, still und geduldig darüber nachzudenken, wie Gottes Geist uns durch 'die anderen' ansprechen kann, deren Perspektive und Erfahrungen völlig anders sind als ich, hätte ich dieses Buch wahrscheinlich nicht zu Ende lesen können." Doch so habe er es gleich mehrfach gelesen, darüber nachgedacht und diskutiert.
Nun könne er würdigen, dass Loffeld in einem weiten Zusammenhang, ohne Ausschmückungen, Illusionen und Selbstzensur, die Krise des zeitgenössischen kirchlichen Christentums sehe. Der Autor lehne billige Antworten und Rezepte ab und gebe ehrlich zu, dass er auf manche Fragen keine Antworten habe. Dennoch rege er durch sein eigenes Beispiel zu einer treuen, beharrlichen und kreativen Suche nach ehrlichen Antworten und praktischen Lösungen an.
Was Loffeld schonungslos analysiert, ist, dass immer mehr Menschen gar nicht mehr danach fragen, worauf das Evangelium antwortet. Wie Jan-Heiner Tück auf "Communio.de" (21. März) beschreibt, hält Loffeld in seinem Buch verschiedenen Deutungen der Transformationsprozesse in modernen Gesellschaften die Fakten der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung entgegen. Während man bisher davon ausgegangen sei, dass religiöses Leben vielfältiger und individualisierter würde, zeigten aktuelle Zahlen, dass nur wenige Menschen zwischen verschiedenen Konfessionen gewechselt seien, dafür aber 25 Prozent ihre Religionsgemeinschaft verlassen haben. Der Anteil der Säkularen steige immer weiter an.
Tück kommentierte dies, Kirche und akademische Theologie sollten diese Daten für eine realitätsgerechte Selbstvergewisserung nutzen. Loffeld werbe für eine lernbereite dialogische Haltung: "Weder ein bockiger Traditionalismus, der sich in regressiver Absetzung zur säkularen Welt als alleinseligmachende Alternative präsentiert, noch eine chamäleonartige Anpassungsbeflissenheit, die im Namen der Anschlussfähigkeit das eigene Profil abschleift, sind angemessene Antworten auf die Verschiebungen des religiösen Feldes", so Tück.
Loffeld: Suche nach Verbündeten wird wichtiger
In einem Interview mit dem Magazin "miteinander" des Canisiuswerkes hatte Loffeld im Dezember erklärt, warum er die beschleunigte Säkularisierung nicht nur kirchlich für herausfordernd erachte, sondern auch gesellschaftlich:
"Was die gesellschaftliche Ebene angeht, erleben wir derzeit vielleicht eines der größten Langzeitexperimente der Geschichte: Wir wissen, dass alle Ideologien, die den Atheismus als Zwang verordnet haben, nicht nur gescheitert sind, sondern sich ins absolut Unmenschliche verkehrt haben. Zugleich kann man einer Gesellschaft den Glauben als Gegenmittel nicht 'verordnen'. Wir müssen daher aus einer zunehmenden Minderheitenposition heraus uns so für das Gemeinwohl einsetzen, dass unmenschliche oder antidemokratische Tendenzen nicht die Oberhand gewinnen. Genau dies beobachte ich aber aktuell mit Sorge. Es wird wohl darauf ankommen, künftig für die gemeinsamen humanistischen Anliegen über verschiedene weltanschauliche Lager hinweg Verbündete zu suchen."
Die kirchliche Pastoral sah Loffeld in dem Interview angesichts der beschleunigten Säkularisierungseffekte herausgefordert, auf "große Gesten" zu verzichten und lieber auf "kleine Schritte" im Alltag zu blicken, in denen pastorale Arbeit gelingt. Dies seien "kleine Hoffnungszeichen", die nicht zuletzt mit der noch immer starken institutionellen Verankerung von Kirche speziell im deutschen Sprachraum zusammenhänge. "All das wird den Gesamttrend der Säkularisierung sicher nicht aufhalten, kann aber mehr denn je erahnen lassen, dass das Reich Gottes unfassbar und verborgen an vielen Orten anzutreffen ist. Mit Blick in die Realität ist vielleicht nicht mehr zu erwarten, aber auch nicht weniger."
(Volltext Zulehner: https://www.herder.de/communio/theologie/mehr-theologie-wagen-gott-egal/ / Volltext Tück: https://www.herder.de/communio/theologie/warum-gott-so-vielen-menschen-egal-ist-und-was-das-fuer-die-kirche-bedeutet-religioese-indifferenz-als-herausforderung/ / Volltext Halik: https://www.herder.de/communio/theologie/dank-jan-loffeld-habe-ich-verstanden-dass-es-in-der-kirchenkrise-keine-einfachen-antworten-gibt-ich-habe-mir-illusionen-gemacht/ / Volltext Interview Loffeld: https://www.miteinander.at/page/miteinander/themen/dufehlst/article/14530.html)
Quelle: kathpress