
Charisma und Vernunft: Vor 20 Jahren starb Johannes Paul II.
Am 2. April 2005 ging für die Kirche und die Welt eine Epoche zu Ende: Kardinal Leonardo Sandri, damals Substitut im vatikanischen Staatssekretariat, verkündete den Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom den Tod von Johannes Paul II.: Der Papst sei "um 21.37 Uhr ins Haus des Vaters zurückgekehrt". Weltweit begannen Kirchenglocken zu schlagen. Katholiken stellten Kerzen und Bilder auf, um von einem Mann Abschied zu nehmen, der es sich und seiner Kirche nicht immer leicht gemacht hatte, aber aufgrund seines Charismas und seiner Vernunft auch in der Weltpolitik eine bedeutende Rolle spielte.
Am 18. Mai 1920 im polnischen Wadowice geboren, hatte Karol Wojtyla nach dem frühen Tod seiner Mutter und seines älteren Bruders zunächst ein großes Interesse an Literatur und Theater entwickelt und mit dem Studium der Polonistik begonnen. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Tod des Vaters setzten in dem jungen Mann eine andere Berufung frei: den Weg zum Priestertum, den er im von den Nazis besetzten Krakau im Untergrund absolvierte. Nach dem Krieg folgten eine erfolgreiche Promotion in Rom und seine Habilitation über den deutschen Denker Max Scheler (1874-1928), die vom kommunistischen Staat mit Skepsis betrachtet wurde.
Während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), an dem er aktiv teilnahm, wurde Wojtyla zum Erzbischof von Krakau ernannt. Es folgte der Kardinalstitel - und schließlich am 16. Oktober 1978 die Wahl zum Papst. Aus Wojtyla wurde Johannes Paul II., der Papst "aus einem fernen Land", wie er selbst mit ironischer Bescheidenheit auf der Loggia des Vatikans erklärte.
Tatsächlich erschien besonders deutschen Katholiken der erste Pole auf dem Stuhl Petri auch theologisch weit entfernt, obwohl Wojtyla als personalistischer Philosoph und Autor von Werken wie "Liebe und Verantwortung" sowie "Person und Tat" eine erstaunliche Nähe zu Immanuel Kant, zur Phänomenologie und zur modernen Psychologie unter Beweis stellte. Bereits in seiner ersten Enzyklika "Redemptor hominis" (1979) machte Wojtyla sein Programm klar: "Der Weg der Kirche ist der Mensch." Doch an der kirchlichen Morallehre, etwa in Fragen der Sexualität oder der Rolle der Frau, hielt er unbeirrt fest.
Nach dem Eintritt des Todes herrschte ein beispielloser Andrang im Vatikan. Mehr als eine Woche lang reisten Pilger aus aller Welt nach Rom, um sich von dem im Petersdom aufgebahrten Leichnam zu verabschieden: Drei US-Präsidenten kamen, Vertreter von Königshäusern und Prominente, Tausende Gläubige aus allen Erdteilen. Der Zustrom schien kein Ende zu nehmen - ebenso wenig das Interesse der internationalen Medien, die live berichteten. Im deutschen Sprachraum würdigten viele das Wirken des Papstes für den Weltfrieden, doch auch kritische Stimmen wurden laut.
Als Kardinal Joseph Ratzinger am 8. April das Requiem für den Verstorbenen leitete, war aus dem kirchlichen Abschiedsritual längst ein globales Medienereignis geworden. Vertreter anderer Religionen zollten dem Papst Respekt, während auf dem Petersplatz die Rufe "Santo subito!" - "Sofort heilig!" - erschallten.
20 Jahre später hat sich der damalige Hype gelegt, und trotz Selig- und Heiligsprechung in Rekordzeit ist eine nüchternere Bewertung des Pontifikats eingetreten. Der Missbrauchsskandal in der Kirche wurde unter seiner Amtszeit nicht konsequent aufgearbeitet. Die gespaltene Sehnsucht der Katholiken nach Rückkehr zur Tradition einerseits und radikalen Reformen andererseits konnte er mit seinem Beharren auf das zweite Vatikanum nicht kitten. Der berühmte Appell zu Beginn seines Pontifikats - "Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!" - hat mittlerweile auch in seinem Heimatland an Wirkung verloren.
Dennoch bleibt Johannes Paul II. eine prägende Figur. Während die katholische Kirche in Polen mit wachsender Kritik konfrontiert ist, gilt er weiterhin als identitätsstiftender Nationalheld. Seine Vision einer universalen Wertegemeinschaft, die Stadt und Erdkreis ("urbi et orbi") ebenso umfasst wie die Einheit Europas, bleibt aktuell und Teil seines Erbes.
Quelle: kathpress