
Mauthausen: Marcel Callos Botschaft lebt nach 80 Jahren weiter
80 Jahre nach seiner Ermordung ist am Samstag Marcel Callo (1921-1945) in einer internationalen Feier im ehemaligen KZ Mauthausen sowie im Außenlager St. Georgen an der Gusen als Vorbild des Glaubens und der Hoffnung geehrt worden. Die Spitzen der Landespolitik und Kirche in Oberösterreich sowie der französischen Rennes, Vertreter aus Wissenschaft, Katholischer Aktion, Katholischer Jugend, Katholischer Arbeitnehmer:innenbewegung und Pfadfindern sowie Familienangehörige erinnerten an den jungen Buchdrucker, der 1987 von der Kirche seliggesprochen wurde. Sein 23-jähriges Leben und seine Botschaft seien Inspiration und Auftrag bis heute, so der Tenor.
Callo, Kind einer bretonischen Arbeiterfamilie aus Rennes und aktives Mitglied der Pfadfinder und Katholischen Arbeiterjugend in seiner Heimat, wurde während der NS-Besatzung 1943 kurz vor seiner Verlobungsfeier zum Zwangsarbeitsdienst nach Deutschland rekrutiert. Aufgrund seiner katholischen Organisationsarbeit verhaftete ihn dort im April 1944 die Gestapo. Nach der Haft in Gotha und den KZs Flossenbürg und Mauthausen wurde das Lager Gusen II und die Stollenanlage "Bergkristall" zu seinem Leidensort. Gemartert und völlig entkräftet, starb er 23-jährig am 19. März 1945 im "Sanitätslager" von Mauthausen, wo seine Leiche anschließend verbrannt wurde.
Im Rahmen eines Festakts 80 Jahre danach im Haus der Erinnerung in St. Georgen an der Gusen bezeichnete Landeshauptmann Thomas Stelzer das Schicksal von Callo als Auftrag, Ermutigung und auch Verpflichtung, "dass es immer möglich ist, für das gute und menschenwürdige Miteinander einzutreten". Der junge Selige strahle mit seiner Überzeugung weit über seinen Tod hinaus aus und mache ihn zu einem Vorbild, in Oberösterreich und darüber hinaus - was ihm die Nationalsozialisten selbst durch seine Ermordung im KZ bis heute nicht nehmen hätten können. Wichtig für den Erhalt des Friedens sei es, die Geschichte zu erforschen, sie zugänglich zu machen und den Opfern und Angehören Respekt zu zollen, so Stelzer.
Licht für Leidende in Diktaturen
Aus Frankreich waren nach Mauthausen auch Callos Neffe Marcel Lemesle, das Patenkind seiner Verlobten, Michel Chauvin, der Postulator von Callos Heiligsprechung Thomas Gueydier sowie Pierre-François Jan, Leiter des Marcel Callo Festivals in Rennes 2024 angereist. Angeführt wurde die französische Delegation vom Erzbischof von Rennes, Pierre d'Ornellas, der von einer "Pilgerreise" zu Callos Sterbeort sprach. Den Seligen nannte er "Vorbild christlichen Lebens für alle jungen Menschen", "Apostel der Brüderlichkeit" und "Licht" für Jugendliche, "besonders dort, wo sie Konflikte erleben und unter Diktaturen leiden".
D'Ornellas berichtete ferner von Initiativen in Frankreich mit dem Ziel, Marcel Callo jungen Menschen nahezubringen. Erst vor ein paar Jahren seien auch 97 Briefe, die Callo während der Zwangsarbeit und Haft an seine Verlobte Marguerite Derniaux geschrieben hatte, aufgetaucht. Sie machten deutlich, wie Callo als Zwangsarbeiter und Häftling die Treue und "Heiligkeit der Liebe" vorgelebt habe. Der Erzbischof zeigte den Anwesenden einen Originalbrief dieser Sammlung und las daraus vor. Er kündigte zudem eine Kooperation an, die das theologische Institut der Erzdiözese Rennes mit dem Linzer Jägerstätter-Institut eingehen wird, um diese Briefe wie auch den gesamten Briefwechsel mit Callos Familie in mehreren Sprachen als digitale Edition zu veröffentlichen.
Bauen an Frieden und Versöhnung
Auf Marcel Callos verbindendes Wirken über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg kam Bischof Manfred Scheuer zu sprechen. "Unser Bindeglied ist nicht das Grauen, nicht die Barbarei und die Menschenverachtung", unterstrich der Linzer Oberhirte. Vielmehr sei es so, dass einer der schweren Steine der KZ-Vernichtungsstätte Mauthausen Grundstein der Errichtung des Baus einer Marcel-Callo-Kirche in Frankreich geworden sei - und damit "Fundament für eine neue Kultur des Friedens und der Versöhnung". Das Geschehen von Mauthausen bleibe "Mahnung und Auftrag, aus der Geschichte zu lernen und unser Gedächtnis zu reinigen", verschaffe das Gedenken doch "Hoffnung für die Zukunft in Europa, aber auch darüber hinaus".
Im Rahmen eines Gottesdienstes in der KZ-Lagerkapelle hob Scheuer auch Callos Grundsatz hervor, "mitten im Leben den Glauben zu verbreiten und Nächstenliebe zu leben". Dies habe selbst unter den schwierigsten Umständen gegolten, hätten die Nationalsozialisten doch alles daran gesetzt, ihre politischen Gegner - darunter auch Priester und Katholiken - als Kriminelle darzustellen. Die Erinnerung an Marcel Callo halte vor Augen, "was es für Christen heißt, aus dem Glauben an die Auferstehung heraus zu leben und zu handeln", so der Bischof. Diese Erinnerung sei daher nicht etwa ein historischer Rückblick auf eine außergewöhnliche Biografie, sondern "eine unser Glaubensverständnis vertiefende und deswegen zeitunabhängige Aktualisierung christlicher Existenz".
Scheuer verwies auch auf die tiefe Frömmigkeit Callos: Das Feiern der Eucharistie sei für den jungen Arbeiter - er hatte das Buchdruckerhandwerk gelernt - Zentrum seines Lebens gewesen. Die Kommunion habe für ihn Freude und Zuversicht, nicht allein gelassen zu sein, bedeutet; für deren Empfang habe er deshalb auch noch als Zwangsarbeiter in Thüringen und im NS-Gefängnis in Gotha, als das Beschaffen der Hostien sehr mühsam gewesen und nur über umständliche Wege gelungen sei, keine Mühen gescheut. Marcel Callo sei auf diese Weise in eine Beziehung mit Jesus Christus gekommen, die er mit dem Satz "Es gibt einen Freund, der mich keinen Augenblick verlässt" auf den Punkt gebracht habe.
Verantwortung und Solidarität
Einen anderen Zugang zur Person Marcel Callos formulierte Anna Wall-Strasser, Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitsnehmer:innenbewegung (KABÖ). Die Katholische Arbeiterjugend (KAJ), der Callo als einer der ersten angehörte, vertrete heute wie damals das Prinzip, "als Arbeiter zum Apostel berufen zu sein, am Ort der Arbeit und im Lebensumfeld das Evangelium zu leben und die Würde eines jeden Menschen hoch zu halten". Dazu gehöre auch, Verantwortung für andere zu übernehmen und sich solidarisch zu sein. Marcel Callo habe dies vorgelebt - und sei dabei so weit gegangen, "dass er seine Deportation in die auf Vernichtung ausgerichteten nationalsozialistischen Arbeitslager auf sich nahm", erinnerte Wall-Strasser.
In jeder Phase seines kurzen und intensiven Lebens habe Callo "geglaubt, gehofft, geliebt" und dies in seinem Verhalten zum Ausdruck gebracht. "Sein Lebenszeugnis ist und bleibt uns Auftrag", so die KABÖ-Vorsitzende weiter. Aktualisiert werde dieses Zeugnis dann, wenn man "im Betrieb, am Arbeitsplatz die eigene Berufung lebt, damit genau da Menschlichkeit und Würde erfahrbar wird". Aus innerer Haltung motivierter Einsatz für die Veränderung negativer Verhältnisse sei dabei gefragt, erst recht in einer "Arbeitswelt, die gnadenlos der kapitalistischen Verwertungslogik unterliegt, wo Arbeit in der Hierarchie der Märkte an unterster Stelle rangiert und in Folge die Menschen immer mehr erschöpft".
Leben als "fünftes Evangelium"
Einer der wichtigsten Förderer des Gedenkens an Marcel Callo ist der Linzer Altbischof Maximilian Aichern (91), der beim Festakt ebenfalls anwesend war und dabei von der Gottes- und Nächstenliebe als "unser christlicher Auftrag" und vom Leben als "fünftes Evangelium" sprach. Dies sei für ihn auch die zentrale Botschaft von Marcel Callos Leben. Der 92-jährige Bischof schloss mit dem Appell: "Halten wir die Memoria aufrecht, für uns und damit auch künftige Generationen das Vorbild dieses Seligen - gebe Gott, Heiligen - erkennen und danach leben."
Mit vielen Gestaltungselementen rückten die Feiern zum 80. Todestag den NS-Märtyrer in die Gegenwart: Zu sehen war etwa ein von Christoph Fuchs aus der Pfarre Linz-Marcel Callo gestaltetes neues Bild des Seligen sowie ein originaler Buchdrucker-Setzkasten aus Callos Zeit, mit dessen Lettern das Veranstaltungs-Motto "Glaube - Arbeit - Widerstand" gebildet wurde. Der Setzkasten und das Bild sollen bei einer geplanten Sonderführung durch den KZ-Stollen Gusen am 10. Mai dort hinterlassen werden. Ein präsentiertes Videoprojekt der Katholischen Jugend ging außerdem der Frage nach, wie der Selige in aktuellen Situationen der Ausgrenzung und Entwürdigung in Alltag und Arbeitswelt wohl reagiert hätte.
Broschüre soll "Neuentdeckung" anregen
Zum 80. Todestag erschien auch die erste deutschsprachige Publikation zu Marcel Callo seit über 30 Jahren, die in Mauthausen ebenfalls präsentiert wurde. Andreas Schmoller, Leiter des Franz und Franziska Jägerstätter Instituts an der Katholischen Privat-Universität Linz, stellte "Marcel Callo - Christ und Märtyrer" vor. Die Broschüre sei "der Versuch, Marcel Callo in der Diözese Linz und darüber hinaus neu zu entdecken", erklärte der Herausgeber. Die Beiträge stammen u.a. von Bischof Aichern, den Historikern Marc Bergère und Samuel Gicquel, Christoph Fuchs als Obmann des Pfarrgemeinderates der Pfarre Linz-Marcel Callo und Rudolf A. Haunschmied, Vorstandsmitglied des Gedenkdienstkomitees Gusen.
Quelle: Kathpress