
Belgrader Kardinal Nemet: Plädoyer für geeintes Europa
Ein eindringliches Plädoyer für ein geeintes Europa hat der Belgrader Erzbischof Kardinal Ladislav Nemet gehalten. Europa sei für ihn "weit mehr als ein geografisches Konzept oder eine politische Union". Europa sei vielmehr "eine Gemeinschaft, die auf einer tiefen Verwurzelung in gemeinsamen zivilisatorisch-kulturellen Werten basiert", die nicht immer ident seien, aber dennoch eine verbindende Kraft hätten. Die unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen, Freiheit, die den Respekt vor anderen einschließt, Streben nach Gemeinwohl und Religionsfreiheit zählten zu den Grundprinzipien. Kardinal Nemet hielt am Dienstagabend bei der Thomas-Akademie an der Katholischen Privat-Universität Linz (KU) den Festvortrag.
Nemet verband seine Ausführungen über Europa laut Aussendung der KU mit seiner Biografie: Einer ungarischen katholischen Familie aus der Wojwodina im ehemaligen Jugoslawien entstammend, sei er als Kind und Jugendlicher aufgrund seiner Muttersprache und seines Glaubens verspottet worden. Als Student bei den Steyler Missionaren in Polen habe er später ganz unmittelbar die epochemachende Wahl von Papst Johannes Paul II. erlebt, der stets die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellte und so auch politisch höchst wirksam wurde.
In Rom sei er erstmals mit der Vielfalt der Weltkirche in einer demokratischen Gesellschaft in Kontakt gekommen. Während seiner anschließenden mehrjährigen Tätigkeit auf den Philippinen habe er die Errungenschaften des Sozialstaats in Europa ganz neu schätzen gelernt, gleichzeitig aber auch in der Mission die große Lebensfreude der Filipinos erfahren, ihren tiefen Glauben und die hohe Qualität ihrer menschlichen Beziehungen, gerade auch in einer schwierigen und vielfach ungesicherten Lebenswirklichkeit. Einschneidend für ihn seien auch die Wende in Europa - das Epochenjahr 1989 - und die Balkankriege der 1990er Jahre.
Wichtig für die Zukunft Europas sind für Nemet - lernend aus den Erfahrungen der Balkankriege - die Integration von Minderheiten, Friedensförderung, Respekt für Verschiedenheiten, Bildung sowie die Förderung der Einheit der Kirche und der Austausch der christlichen Kirchen untereinander, insbesondere mit den orthodoxen Kirchen. Der Belgrader Kardinal mahnte einen wertschätzenden Dialog auf Augenhöhe ein.
Angesichts aktueller Herausforderungen seien namentlich die politisch und wirtschaftlich einflussreichsten Staaten Europas gezwungen, über eine gemeinsame Zukunft auf neue Weise nachzudenken. Das Ziel sollte ein dauerhafter Frieden weltweit sein, was nicht bedeute, "eine Aufrüstungswelle ins Leben zu rufen, sondern vielmehr, alle diplomatischen und friedlichen Mittel einzusetzen", so Nemet.
Wichtig seien dabei Initiativen für ein gutes Miteinander, statt egoistische Alleingänge. Der weltweite synodale Prozess übe das ein unter dem Motto "von einem Ich zum Wir zu kommen", kam der Kardinal auch auf die kirchliche Dimension zu sprechen. Die Kirche müsse realisieren, dass demokratische Werte wie Teilhabe und Mitverantwortung sowie eine offene, dialogbereite Haltung und der Mut, Neues zu wagen, nicht nur die Gesellschaft bereichern, sondern auch das Leben innerhalb der Kirche positiv beeinflussen.
Nemet mahnte für die Kirchen ein, nicht nur die Demokratie zu schützen, sondern ganz klar auch die Religion und das Religiöse vor Missbrauch zu bewahren. Die Religionsgemeinschaften und Kirchen dürften den religiösen Diskurs nicht Neu-Fundamentalisten und identitären Populisten überlassen. Kirche sollte als brückenbauende, vermittelnde Instanz in einer polarisierenden Welt agieren, in der "nicht die Macht das Recht hat, sondern das Recht die Macht".
KU-Rektor Michael Fuchs und Vizerektorin Klara Antonia Csiszar konnten rund 100 Gäste zur Thomas-Akademie begrüßen. Bischofsvikar Slawomir Dadas, rief in seinem Grußwort zu mehr europäischem Bewusstsein und Handeln auf. Hatte man noch vor einigen Jahren das Gefühl, dass die europäischen Staaten zusammenwachsen, so scheine das Projekt Europa nun ins Wanken geraten, merkte er an. Brauche es wirklich einen amerikanischen Präsidenten, der alle Bündnisse infrage stellt, um sich auf Gemeinsames zu besinnen, so Dadas.
Bischofsvikar Johann Hintermaier unterstrich in seinem Grußwort, dass es die besondere Aufgabe von Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen sei, Wirklichkeiten nachzuspüren und essenzielle Fragen zu thematisieren.
Der im Dezember von Papst Franziskus ins Kardinalskollegium aufgenommene Nemet hat starken Österreich-Bezug: Von 1994 bis 2004 war er Mitglied der Österreichischen Steyler-Provinz und lehrte als Professor für Dogmatik an der damaligen Philosophisch-Theologischen Hochschule von St. Gabriel. In der Südstadt (Pfarre Maria Enzersdorf) in Mödling bei Wien unterstützte Nemet die Pfarrseelsorge als Aushilfskaplan. Zwischen 2000 und 2004 arbeitete er zudem bei der Vatikan-Vertretung für die in Wien ansässigen internationalen Organisationen mit.
2008 wurde Nemet Bischof von Zrenjanin. Heute ist Nemet neben seinem Amt als Erzbischof von Belgrad auch Vorsitzender der über mehrere Balkanländer verteilten "Bischofskonferenz der Heiligen Kyrill und Method" und seit 2021 Vizepräsident des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE).
Quelle: kathpress