
Marcel Callo: Als "Missionar" in die NS-Zwangsarbeit
Der 19. März 1943 ist für Marcel Callo ein entscheidender Wendepunkt seines Lebens. Das NS-Regime rekrutiert an diesem Tag den damals 21-jährigen Buchdrucker von seiner von den Nazis besetzten französischen Heimat weg zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Alle Lebenspläne muss er aufgeben: Die Verlobungsfeier mit Marguerite Derniaux, die Monate später bei der Primiz seines Bruders, eines angehenden Priesters, hätte stattfinden sollen, bleibt ein unerfüllter Traum. In Trauer ist seine Familie außerdem über den Tod seiner Schwester Marie-Madeleine wenige Tage zuvor bei einem Fliegerangriff der Alliierten - mitten im Zweiten Weltkrieg.
Marcel hat zuvor mit der Entscheidung gehadert, ob er sich der Einberufung entziehen soll wie es manche andere taten. Nach Tagen des Überlegens vermerkt er in seinem Tagebuch jedoch entschlossen: "Ich gehe nicht als Arbeiter, sondern als Missionar." Geprägt von der Katholischen Arbeiterjugend (KAJ), deren Sektionsvorsitzender für seine Heimatstadt Rennes er schon vor dem 17. Geburtstag wurde, nimmt er die Herausforderung an. Die katholische Soziallehre, die er gründlich studiert hat, gibt ihm Mut und Handwerkszeug, um selbst Zwangsarbeit als apostolische Aufgabe zu begreifen, und auch das bei den Pfadfindern entwickelte Führungstalent nimmt er auf die Reise mit.
Sein Weg führt ihn zunächst zu den Walther-Werken im thüringischen Zella-Mehlis, wo er unter harten Bedingungen Revolver montiert. Doch es ist nicht die Arbeit, die ihn antreibt. Vielmehr organisiert er unter seinen französischen Schicksalsgenossen Gebetskreise, Gottesdienste und Zusammenkünfte wie Sportveranstaltungen und auch Theatergruppen. Sein Wirken bleibt nicht unbemerkt, schon bald stuft die Gestapo seine Aktivitäten als subversiv ein. "Ich bin froh, dass ich gegangen bin [...], ja, denn ich bin ein besserer Mensch geworden. Diese Monate des Leidens haben mich den Sinn des Lebens verstehen lassen", schreibt er an seine Familie.
Am 19. April 1944 wird Marcel Callo verhaftet, da er "zu katholisch" war. In Gotha inhaftiert, teilt er die Zelle mit anderen französischen Christen. Trotz der Strenge des Gefängnisses verwandeln sie ihre Zelle in eine Gemeinschaft des Gebets und der Solidarität, was von den Machthabern erst recht als Bedrohung gesehen wird. Im Oktober 1944 wird er zunächst ins KZ Flossenbürg und schließlich nach Mauthausen deportiert, von wo er weiter nach Gusen II kommt, das als eines der härtesten KZ-Außenlager galt. Die Bedingungen im Fabrikstollen "Bergkristall", wo er Nieten für die Messerschmitt-Flugzeuge sortiert, sind unmenschlich: Schwerstarbeit, Hunger, Misshandlungen. Der junge Mann wird systematisch gebrochen.
Am 19. März 1945 - vor genau 80 Jahren - stirbt Marcel Callo völlig entkräftet als 23-Jähriger im Sanitätslager von Gusen II an Erschöpfung. Schon Monate zuvor ist der zunächst emsige Briefkontakt zu seiner Familie versiegt, überlebende Mithäftlinge bezeugen jedoch, dass der junge Franzose selbst im Angesicht der Hölle auf Erden Trost spendete und sein Brot teilte. Kraft dafür habe er aus dem Gebet geschöpft. "Glücklicherweise gibt es einen Freund, der mich nicht einen einzigen Augenblick verlässt und der versteht, mich in notvollen und niederdrückenden Stunden aufrecht zu halten", hatte er im entscheidenden Moment seines Aufbruchs nach Hitlerdeutschland festgehalten.
Callos Geschichte endet damit nicht: Galt er nach Kriegsende infolge zweier Buchveröffentlichungen zunächst als eine Brückenfigur für die französisch-deutsche Aussöhnung, strich die Kirche mit der Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. 1987 seine Vorbildfunktion für die Sendung der Laien hervor. Nicht nur in seiner französischen Heimat und in Oberösterreich, wo die Pfarre Marcel Callo in Linz-Auwiesen auf Betreiben des damaligen Bischofs Maximilian Aichern 1998 errichtet wurde, ist er ein Begriff: Auch in der Elfenbeinküste, Burkina Faso und den USA ist er Namensgeber von Kirchen, Straßen und Schulen. 2023 wurde der selige Jugendliche in Lissabon als Mitpatron des Weltjugendtags vorgestellt, und auch seine Heiligsprechung ist im Laufen.
Zum 80. Todestag kommt es in Österreich zur Auffrischung der Erinnerung an Callo: Unter dem Titel "Glaube, Arbeit, Widerstand" veranstaltet die Diözese Linz eine Gedenkreihe, gemeinsam mit dem Jägerstätter-Institut, der Katholischen Jugend, Katholischer Arbeitnehmer:innenbewegung, Katholischer Aktion, den Pfadfindern und dem Mauthausen-Komitee. Höhepunkt ist am Samstag, 22. März ein Gottesdienst mit dem Linzer Bischof Manfred Scheuer und seinem Amtskollegen aus Rennes, Erzbischof Pierre D'Ornellas, in der Lagerkapelle der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, am Ort seines Sterbens. Auch eine neue Broschüre gedenkt an den jugendlichen "Christ und Märtyrer".
Quelle: kathpress