
OÖ Ethiktag thematisierte Gerechtigkeits-Fragen in Medizin und Pflege
Angesichts schwindender Ressourcen und eines steigenden Bedarfs an Gesundheitsversorgung stand die Frage der Gerechtigkeit in Medizin und Pflege im Mittelpunkt des zweiten OÖ Ethiktags, den das Ordensklinikum Linz vergangenen Donnerstag veranstaltet hat. "Die Frage nach Gerechtigkeit im Gesundheitswesen ist keine theoretische, sondern eine ganz praktische - für ärztliches Personal, Pflegekräfte und alle, die tagtäglich mit begrenzten Mitteln verantwortungsvolle Entscheidungen treffen müssen", betonte Christoph Arzt, Leiter des Klinischen Ethikkomitees des Ordensklinikums Linz - Barmherzige Schwestern, am Montag im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress.
Kritische Anfragen an die Verteilungsgerechtigkeit im österreichischen Gesundheitssystem kamen beim Ethiktag vom Gesundheitsökonom Ernest G. Pichlbauer. Der wahrgenommene "Ressourcenmangel" sei oft auf strukturelle Defizite und fehlende Reformen zurückzuführen, sagte der Experte. Besonders problematisch sei die ungleiche Verteilung von Ressourcen zwischen Bundesländern, Bezirken und stationären sowie nicht-stationären Bereichen. Zudem betonte er, dass eine niedrige Gesundheitskompetenz in Österreich und Deutschland zu hohen Arztfrequenzen führe, was das System weiter belaste.
"Wenn wir das System nicht reformieren und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung nicht verbessern, wird eine adäquate Versorgung selbst mit hohen finanziellen Mitteln nicht mehr möglich sein", so Pichlbauer mit Blick auf die Generation der heute Mitte-50- bis Ende-60-Jährigen. Er plädierte für einen stärkeren Fokus auf ambulante Versorgung und Patientenaufklärung, wie es in anderen Ländern mit besseren Gesundheitsergebnissen der Fall sei.
Speizialisierung und Vernetzung
Ein positives Beispiel für effiziente Ressourcenverteilung stellte der Leiter des Tumorzentrums OÖ., Ansgar Weltermann, vor. Das Zentrum vernetzt Ärzte und Institutionen über alle Träger hinweg und gewährleistet eine einheitliche, qualitativ hochwertige Versorgung von Krebspatienten in ganz Oberösterreich. Durch die Spezialisierung bestimmter Standorte für spezifische Behandlungen und die gleichzeitige Stärkung regionaler Versorgungseinheiten habe man eine deutliche Entlastung für Patienten sowie eine effizientere Nutzung von Ressourcen erreicht. Die guten Früchte derartiger Entwicklungen gäben auch Hoffnung für andere Medizinbereiche, befand Weltermann.
Im Pflegeteil der Tagung beleuchteten die Heidelberger Ethikerin Nadia Primc und die Pflege- und Sozialwissenschaftlerin Ana Raquel Valente Dos Santos Cartaxo das Phänomen der "Missed Nursing Care" - pflegerische Maßnahmen, die trotz Indikation nicht durchgeführt werden können. Ursachen seien u. a. Personalmangel und Arbeitsüberlastung, was langfristig negative Auswirkungen sowohl auf Patienten als auch auf das Pflegepersonal habe. Unzureichende Pflege führe zu schlechteren Behandlungsergebnissen, steigender Frustration im Beruf und letztlich zu Kündigungen - ein Kreislauf, der das System weiter schwäche, so die beiden Expertinnen.
Ethik in der Spitalspraxis
In einer Podiumsdiskussion wurde schließlich auch ein realer Fall aus der Corona-Pandemie diskutiert. Ein Patient aus einer Langzeiteinrichtung, der aufgrund kognitiver Einschränkungen die Notwendigkeit der Behandlung nicht verstand und sich wiederholt gegen medizinische Maßnahmen wehrte, musste intensivmedizinisch betreut werden. Aufgrund seines Verhaltens - unter anderem das wiederholte Entfernen der Sauerstoffbrille und die Verweigerung der Medikamenteneinnahme - stellte sich die Frage, ob und in welchem Ausmaß ihm zusätzliche Ressourcen zugewiesen werden sollten.
Die ethische Fallbesprechung orientierte sich an den damaligen Empfehlungen der Bioethikkommission und kam zu dem Schluss, dass dem Patienten mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden mussten, um ihm gleiche Überlebenschancen wie anderen Patienten zu bieten. Dies bedeutete eine intensivere Betreuung und invasive Maßnahmen, die er selbst nicht bewusst einfordern konnte. Das medizinische Personal sei damals sehr gefordert gewesen, eine schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Letztlich wurde berichtet, dass die getroffenen Maßnahmen erfolgreich waren und der Patient Jahre später wieder in einer stabilen Lebenssituation war. Der Fall diente als Beispiel für die praktische Relevanz klinischer Ethikberatung und zeigte, wie solche Entscheidungsprozesse im Gesundheitswesen ablaufen können, berichtete Ethikkomitee-Leiter Arzt im Rückblick.
Fortsetzung bereits in Planung
Der zweite OÖ Ethiktag verzeichnete rund 300 Teilnehmende aus den verschiedensten Gesundheitsberufen. Organisiert wurde die Veranstaltung von Mitgliedern der Klinischen Ethikkomitees vom Ordensklinikum Linz, des Konventspitals Barmherzige Brüder Linz, der Oberösterreichischen Gesundheitsholding und des Landesverbandes Hospiz OÖ in Kooperation mit der Medizinischen Fortbildungsakademie OÖ sowie der Medizinischen Gesellschaft Oberösterreich. Fortgesetzt wird die interdisziplinären Tagung mit einer dritten Ausgabe am 27. Februar 2026 in Gmunden.
Quelle: kathpress