
Obdachlosenseelsorge: Zwischen Einsamkeit und Spiritualität
Einsamkeit und soziale Isolation sind neben der materiellen Armut die größten Herausforderungen für obdachlose Menschen: Betroffene seien "nicht nur arm, hungrig, und nass bist du vielleicht auch noch", sondern auch unbeachtet, erklärte Julian Kapeller, seit September Obdachlosenseelsorger in Linz, im Interview mit den "Oberösterreichischen Nachrichten" (OÖN, 12. Februar). Neben der Deckung materieller Grundbedürfnisse sei daher auch seelischer Beistand wichtig, so der Theologe: "Reine Essensausspeisung und so weiter ist wichtig - aber es braucht auch Essen für die Seele." Letzteres basiere stets auf Freiwilligkeit: "Religion, egal welche, hat für mich immer mit Freiheit zu tun." Ziel sei eine Begleitung der obdachlosen Menschen ohne missionarische Absichten und ein Austausch.
Kapeller verwies auch auf die tiefe spirituelle Dimension, die viele obdachlose Menschen in ihren Gesprächen offenbaren. "Obdachlose haben meiner Erfahrung nach eine ganz eigene Art zu glauben. Es sind zum Teil sehr spirituelle Menschen, ich bin immer wieder beeindruckt, welche Gespräche wir da führen, und auch, auf welchem theologischen Level."
Viele biografische Erfahrungen von obdachlosen Menschen seien geprägt von Armut, Ausgrenzung und Entbehrung und wiesen damit Parallelen zu biblischen Erzählungen auf. Diese spirituelle Verankerung könne für viele eine Kraftquelle sein, um schwierige Lebensrealitäten zu bewältigen, zeigte sich der Theologe überzeugt.
Betroffene würden auch aktiv den Austausch suchen und empfänden Gemeinschaft als ebenso essenziell wie materielle Hilfe. "In den Tageszentren erlebe ich immer wieder, dass die Menschen nicht nur dort sind, weil es Essen gibt, sondern weil sie Gemeinschaft erfahren, jemanden zum Reden finden", so Kapeller laut dem es nicht nur ein Abdecken der Grundbedürfnisse braucht, sondern auch Unterstützung bei emotionaler oder sozialer Armut.
Der Obdachlosenseelsorger und Dekanats-Jugendbeauftragte engagiert sich in Tageszentren, führt Gespräche und organisiert religiöse sowie soziale Veranstaltungen, darunter Wallfahrten und Gedenkfeiern für Verstorbene. Zudem übernimmt er die Gestaltung von Begräbnissen für Menschen ohne Angehörige: "Da werde ich kontaktiert, egal ob katholisch oder nicht, und darf die Abschiedsfeier gestalten. Das ist auch schön, aber manchmal schon bitter. Man weiß vorher oft nicht: Kommt überhaupt jemand oder feiert man allein?", erläuterte der Seelsorger.
Um ein tieferes Verständnis für die Lebenswirklichkeit obdachloser Menschen zu gewinnen, nahm Kapeller u.a. an Straßenexerzitien teil. "Da habe ich eine Woche ohne Schuhe, ohne Handy und Geldtasche auf der Straße gelebt." Diese Erfahrung habe sein Bewusstsein für die Ausgrenzung, Einsamkeit und Unsichtbarkeit von armutsbetroffenen wie obdachlosen Menschen geschärft.
Quelle: kathpress