
Ordensmann: Straßenkinder Westafrikas brauchen Zukunftschancen
Langfristige Erfolgserlebnisse für stark benachteiligte Kinder und Jugendliche in Krisenregionen der Erde sind möglich - sofern es Angebote und Perspektiven gibt, mit denen sie ihr Leben in die eigene Hand nehmen können: Das hat der Salesianerbruder Lothar Wagner, seit gut 20 Jahren in Westafrika im Einsatz, im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress (Mittwoch) und anderen kirchlichen Medien in Wien dargelegt. "Viele der einstigen Straßenkinder, die wir in unseren Projekten aufgenommen haben, haben inzwischen studiert, etliche davon helfen uns heute als Betreuer unserer Schützlinge", berichtete der aus Deutschland stammende Ordensmann anlässlich der "Welttags der Straßenkinder" der Hilfsorganisation "Jugend Eine Welt" am 31. Jänner.
Das westafrikanische Liberia, Wagners Wirkort seit 2020, nannte der 51-jährige Missionar einen "Brennpunkt unserer Zeit": Zerstörungen des 2003 beendeten Bürgerkriegs prägten weiter das Stadtbild, die Ebola-Epidemie 2014/15 habe viele Kinder zu Waisen gemacht, und in der jüngsten Vergangenheit habe sich die Not weiter Bevölkerungsteile durch Corona, schlechte Regierungen und politische Machtkämpfe noch erheblich zugespitzt. "Die Preise am Markt sind in die Höhe geschnallt und die Familien extrem schnell verarmt." Sichtbar sei dies auch daran, dass die Mahlzeiten immer kleiner würden, manche Menschen ernährten sich nur noch von Zucker und geriebenem Yams.
Auch von Naturkatastrophen blieben Westafrika und speziell Liberia nicht verschont, erinnerte der Salesianer. Der Klimawandel bescherte der Region in den vergangenen Jahren monatelange Monsunregen und mehrere verheerende Überschwemmungen, wodurch nicht nur viele Häuser in Großstädten wie dem ghanaischen Accra oder Liberias Hauptstadt Monrovia zerstört, sondern auch Ernteerträge vernichtet worden seien. Felder lägen brach und die Landflucht in die Städte werde immer stärker, wo es jedoch an funktionierender Infrastruktur fehle. Wagner: "Das hat auch zu einem enormen Zuwachs an Obdachlosen im Stadtbild geführt."
Kinder im Gefängnis
Kinder und Jugendliche gehören zu den am meisten Leidtragenden. Viele von ihnen suchen nachts auf Monrovias Märkten nach zurückgelassener Nahrung, werden dann von der Polizei aufgegriffen und landen im Zentralgefängnis. Die Zellen dort messen nur zwei mal drei Meter - "für zehn Personen, wobei Minderjährige ganz im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention gemeinsam mit Erwachsenen eingesperrt werden", so Wagner. Er berichtete von traumatisierenden Erfahrungen: Kinder und Jugendliche seien Misshandlungen und sexuellem Missbrauch ausgeliefert, zudem werde ihnen oftmals nicht einmal ermöglicht, am Boden zu schlafen.
Wagners Ziel, dass wie etwa im benachbarten Sierra Leone eigene Jugendstrafanstalten errichtet werden, konnte in Liberia bisher nicht umgesetzt werden. Die Salesianer Don Boscos bemühen sich seit 2016 um die Situation von Monrovias Kinderhäftlingen, haben deren separate Betreuung in einem Block des Gefängnisses erreicht, intervenieren mit Anwälten vor Gericht und bemühen sich um Freilassung und Rückführung in die Familien. Trauma-Behandlung soll es künftig in einem eigenen Rehabilitationszentrum des Ordens geben, um dort bis zu 60 Kinder je nach individuellem Bedarf medizinisch oder therapeutisch zu behandeln, sozialpädagogisch zu betreuen oder vorübergehend stationär aufzunehmen.
Straßenkinder schlafen auf Friedhöfen
In extrem prekärer Situation befinden sich jedoch auch die sogenannten "Friedhofskinder": Viele Straßenkinder Monrovias übernachten laut Wagner auf Friedhöfen. "Sie schlagen mit einem Meißel die Grabdeckel auf und schlüpfen nachts in die Gruften, um dort vor Regen oder Übergriffen geschützt zu sein", berichtete der Ordensbruder, der mit seinem Team - es umfasst insgesamt 20 Pädagogen und 30 Ehrenamtliche - in den Morgenstunden an diesem Ort Sozialarbeit betreibt und die Kinder ins Salesianer-Zentrum einlädt. An den Anblick der auf den Särgen schlafenden Kinder kann er sich bis heute nicht gewöhnen. "Sie leben bei den Toten, da sie in der Gesellschaft keinen Platz finden."
Globales Umdenken nötig
Während die Jugendhilfe-Projekte der Salesianer nur einem kleinen Teil der Betroffenen Perspektiven bieten können, wird sich die Straßenkinder-Problematik insgesamt nur durch strukturelle und auch globale Veränderungen verbessern, so die Überzeugung des Ordensbruders. Manche Hilfen für die Region wie die Einfuhr von Second-Hand-Kleidung oder von subventioniertem Reis sollten eingestellt werden, da sie die lokale Produktion zerstörten. Wichtig sei zudem engagierterer Klimaschutz im Globalen Norden - "denn die Länder, die für die Klimaveränderungen am wenigsten Verantwortung tragen, leiden unter ihnen am meisten", sagte Wagner. (Infos und Spendenmöglichkeit: www.jugendeinewelt.at/tagderstrassenkinder)
Quelle: kathpress