"Zwischen uns Gott": Glaube als familiäre Belastungsprobe
Die in Wien lebende Regisseurin Rebecca Hirneise kehrt in ihrem Dokudebüt "Zwischen uns Gott" in ihre süddeutsche Heimatstadt Mühlacker und zu ihrer fremd gewordenen, evangelischen Familie zurück. Nach Jahren der Distanz, in denen der Glaube zur familiären Belastungsprobe wurde, sucht sie den Dialog mit ihren Familienmitgliedern, um ihre je unterschiedlich ausgelegten Glaubenswahrheiten zu verstehen, die sie trennen. Hirneise, selbst Agnostikerin, geht der Frage nach, "wie sich die unterschiedlichen Glaubensausrichtungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken", so die Filmemacherin im Interview mit "Austrian Films". In intimen Nahaufnahmen, Gesprächsrunden und Erinnerungen erzählt der von Ruth Beckermann produzierte Film von tiefen Glaubenskonflikten im familiären Mikrokosmos.
Kirchliche Gesänge aus dem Off leiten den Film mit einer Totalaufnahme einer idyllischen Kleinstadt in Sachsen ein. Konträr dazu stehen Gefühle der Enge, die die Mutter der Regisseurin und ihre Tante Conny erlebten. Beide litten unter der religiösen Strenge, Tanz- und Kinoverboten ihrer methodistischen Eltern. Tante Conny ist gläubig geblieben, doch tief sitzen ihre Ängste vor einem strafenden Gott, wie sie in einem Interview erzählt. Letztendlich scheint es, als hätte die ultimative Vorstellung von "Himmel oder Hölle", wie sie etwa die Großeltern der Regisseurin oder ihre Tante Anette vertreten, die Familienmitglieder an unterschiedliche Pole versetzt.
Unüberbrückbare Differenzen
Hirneises Mutter Birgit hat sich vom Glauben abgewandt. Nach ihrer Scheidung verstieß sie die Mutter. "Du bist nicht mehr mein Fleisch und Blut", sagte diese beim Anblick einer Fotografie, die Birgit geschminkt und mit einem neuen Partner zeigt. Die Krankenschwester reagiert in einer Gesprächsrunde "allergisch", wenn ihre tiefgläubigen Geschwister Hartmut und Anette kein anderes Gesprächsthema als Religion finden. Hartmuts Vorstellung, dass es keine Ärzteschaft oder Krankenhäuser braucht, weil Menschen "gesund gebetet" werden könnten, sorgt für Konfliktpotenzial. Letztlich bleibt es bei wenigen Aufnahmen gemeinsamer Gespräche, die Hirneises Mutter und Tante vorzeitig verlassen.
Die Religion war auch ausschlaggebend für die Regisseurin und Fotografin, sich von ihrer Familie zu distanzieren: "Ich habe mich vor allem innerlich völlig distanziert und besonders das Missionarische seitens meiner Großeltern und mancher Onkel und Tanten nicht ausgehalten", erklärte sie in einem Interview. Doch der Versuch, den Glauben ihrer Familienmitglieder zu verstehen, trägt nun Jahre später den Film, auch wenn Szenen, die von unüberbrückbaren Differenzen zeugen, das Gelingen ihres Vorhabens immer wieder bedrohen.
"Heilungskonferenzen"
Die Regisseurin und zugleich Protagonistin im Film zeigt sich in Aufnahmen immer wieder verletzlich und kämpft damit, ihre persönlichen Ansichten gegenüber vermeintlich absolut geltenden Dogmen zu vertreten. Bei einem Besuch einer "Heilungskonferenz" im Hause ihres Onkels Hartmut habe sie ein Heiler gar gedrängt, sich im Swimmingpool taufen zu lassen, so Hirneise über den Entstehungsprozess des Films. Eine Szene im Film zeugt von ihrer Rebellion. Zuseher finden sie mit ihrer Tante Evmarie im Becken schwimmend. Auch Evmarie entspricht nicht den Glaubensvorstellungen ihres Mannes, wie sie sagt.
Dass selbst Gräben zwischen gläubigen Eheleuten herrschen, zeigt, wie heterogen die religiösen Ansichten der Familienmitglieder sind. Dass Hartmut, der nach einem Amerikaaufenthalt sogar seine eigene Freikirche gründete, daran glaubt, dass Krankheiten eine Infizierung mit dunklen Mächten bedeuten, ist für seine Frau Evmarie ein Tabuthema. Die mittlerweile dementen Großeltern Hirneises lebten aufgrund von religiösen Meinungsverschiedenheiten sogar einst auf verschiedenen Stockwerken des Hauses. Wochenlang trat der Großvater in Hungerstreik, als die Großmutter zur evangelischen Landeskirche übertreten wollte. Mittlerweile wurde all das vergessen.
Zarte Familienbande
Auch andere intime Filmaufnahmen zeigen, dass trotz aller Widrigkeiten hauchzarte Bande die Familie zusammenhalten. Hirneises Mutter pflegt ihre schwach gewordenen Eltern, und die Regisseurin erklärte nach Beendigung der Dreharbeiten: "Ich habe dann aber gemerkt, dass es Ebenen gibt, die mir zeigen, dass ich zur Familie gehöre. Es gibt Momente, die bewusst machen, dass trotz allem ein Band bestehen bleibt!"
Kinostart in Österreich ist der 21. Jänner. Die Filmvorführungen im Wiener Votiv Kino werden von einer Gesprächsreihe mit der Regisseurin und Gästen begleitet. Darunter Robert Schelander (Institut für Religionspädagogik, Univ. Wien), Johannes Modes (Albert Schweitzer Haus, Pastor) oder Nicole Dungl (Freikirche Wien). (Infos: votivkino.at)
Rebecca Hirneise ist in der süddeutschen Kleinstadt Mühlacker geboren und aufgewachsen und lebt und arbeitet mittlerweile seit mehreren Jahren in Wien. Bisher arbeitete sie unter anderem im Dokumentar- und Spielfilm- aber auch Experimentalfilmbereich. Nach einer Ausbildung zur Fotografin studierte sie Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe sowie Regie und Drehbuch an der Filmakademie Wien.
Quelle: kathpress