Sozialethikerin sieht demokratiepolitisch hoch riskante Situation
Sehr besorgt angesichts der aktuellen innenpolitischen Situation in Österreich hat sich die Wiener Sozialethikerin Prof. Ingeborg Gabriel gezeigt. "Wir befinden uns in der demokratiepolitisch riskantesten Situation, die ich je erlebt habe", so Gabriel im Interview mit der Kooperationsredaktion der heimischen Kirchenzeitungen.
Sie würde sich eine Analyse der Probleme und Möglichkeiten wünschen, die Österreich als relativ kleines Land in der weltpolitischen Situation hat. "Das kommt mir zu kurz. Es geht, auch in den Medien, meist um die parteipolitisch taktische Ebene. Inhalte werden vernachlässigt."
Eindringlich mahnte Gabriel eine sachorientierte, realistische Politik in einem europäischen Kontext ein, der für Österreich unverzichtbar sei. Es brauche Zusammenhalt und nicht Polarisierungen. Die geopolitische Situation sollte dazu führen, "dass wir in Österreich und in der EU näher zusammenrücken. Das wäre die staatspolitische Verantwortung, auch der FPÖ."
Die Demonstrationen gegen die FPÖ sehe sie ambivalent, so Gabriel: "Einerseits ist das ein fundamentales Recht, andererseits polarisieren wechselseitige Schuldzuweisungen nach dem Platzen der ersten Verhandlungen das Land weiter, und wir brauchen mehr Zusammenhalt." In der mittelalterlichen Debattenkultur habe es eine Grundregel gegeben: "Kritik setzt voraus, die Wahrheitselemente in der anderen Position zu sehen. Eine derartige Aufforderung klingt heute direkt provokant."
Demokratien seien angewiesen auf "Vertrauen, Hoffnung und Wohlwollen, also die drei großen christlichen Tugenden - ein wenig umformuliert". Die Frage sei: "Wie kann das wechselseitige Vertrauen, wie kann eine Zukunfts- und Hoffnungsperspektive und wie kann grundsätzliches Wohlwollen gestärkt werden."
Eine der großen Herausforderungen sei der Graben, der u.a. durch den Abbau von Infrastruktur in den letzten Jahrzehnten zwischen Stadt und Land entstanden sei. Studien zeigten europaweit, dass rechtspopulistische Parteien vor allem am Land gewinnen.
Aufgabe der Kirche wäre es, soziale Probleme aufzuzeigen und Vertrauen, Hoffnung und Wohlwollen zu stärken. Das sei auch die Aufgabe jedes Einzelnen, so Gabriel. Sie verwies auf ein Zitat von Papst Franziskus aus seinem Schreiben Laudato si: "Man soll nicht meinen, dass die kleinen Bemühungen die Welt nicht verändern. Diese Handlungen verbreiten Gutes in der Gesellschaft, das über das Feststellbare hinaus Früchte trägt." - "Ich finde dieses Zitat sehr motivierend", so Gabriel.
Quelle: kathpress