Vatikan-Expertin: Schönborn hat die Weltkirche vorangebracht
In einem aktuellen Sonderdruck würdigt die Zeitschrift "Christ in der Gegenwart" Kardinal Christoph Schönborn zu dessen 80. Geburtstag (22. Jänner). Unter den Expertinnen und Experten, die verschiedene Aspekte von Schönborns Leben und Wirken und Leben beleuchteten, ist auch die österreichische Vatikanexpertin Gudrun Sailer. Sie beleuchtet die Verdienste des Kardinals um die Weltkirche bzw. seine vielfältigen Rollen und Aufgaben im Vatikan in den vergangenen Jahrzehnten. "Kardinal Schönborns theologische Expertise, die in seiner Zeit als Bischof nachreifte, hat die Weltkirche vorangebracht, und sein Weitblick, seine Art der Konfliktlösung und sein Format bleiben in Rom in Erinnerung", so Sailer wörtlich. Gudrun Sailer arbeitet bei "Vatican News" und ist Autorin zahlreicher Vatikan-Bücher.
Christoph Schönborn wurde 1980 als junger Ordensmann Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission im Vatikan. Kardinal Joseph Ratzinger, damals noch Erzbischof von München und Freising, hatte Schönborn empfohlen, er kannte ihn von der Universität Regensburg. Wenig später übernahm Ratzinger in Rom als Präfekt der Glaubenskongregation auch die Leitung der Theologenkommission. Die Wertschätzung zwischen dem Lehrer Ratzinger, der später Papst wurde, und dem Schüler Schönborn, "der ebenfalls das Zeug dazu hatte", sollte die Jahrzehnte überdauern, so Sailer. Auch als es punktuell kriselte.
Von 1987 bis 1992 wirkte Schönborn als Sekretär des Komitees, das den Katechismus der Katholischen Kirche erarbeitete. Federführend war Kardinal Ratzinger, der wiederum seinen Schüler Schönborn hinzubat. Sailer: "Schönborns Wirken in Rom, sein Intellekt und sein ganzer Habitus, der Vermittlungsgeschick mit Savoir-faire und Diskretion vereint, trugen ihm 1991 die Ernennung zum Weihbischof in Wien ein." Als 1995 die Missbrauchskrise rund um den damaligen Wiener Erzbischof Hans-Hermann Groër Österreich erschütterte und Rom beunruhigte, habe Johannes Paul II. wieder auf Schönborn gesetzt.
1996 hielt der neue Wiener Erzbischof auf Einladung Johannes Pauls II. die Fastenexerzitien für Papst und Kurie. - Eine hohe Auszeichnung für Schönborn, "der pausenlos zwischen seiner zerrissenen Ortskirche und der Zentrale vermitteln musste", wie Sailer erläutert. "In Rom habe ich gesagt: ,Moment! Ganz so schlimm ist es in Österreich nicht, wie ihr glaubt.' Und in Österreich habe ich gesagt: ,Bitte schauen wir, dass wir wieder zusammenkommen.' Es waren harte Jahre", gab der Kardinal zu Protokoll.
Bestvernetzter Kirchenmann Österreichs
Schönborn diente drei Päpsten. Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus. Sie beriefen ihn nach und nach in rund ein Dutzend Funktionen der Römischen Kurie. Jeder Kardinal übernehme derartige vom Papst zugewiesene Ämter, "doch bei Schönborn waren es auffallend viele", so die Vatikan-Expertin. Über die Jahre habe es der Wiener Erzbischof wohl auf Hunderte Vatikan-Versammlungen gebracht: "So wurde Schönborn der international bestvernetzte Kirchenmann, den Österreich je hatte."
Er habe sich den Respekt vatikanischer wie weltkirchlicher Größen erworben, "weil er viel zuhörte, das Gehörte mit seinem immer reicher werdenden theologischen und pastoralen Wissen abglich und dann mit Anmerkungen kam, die oft genug Blockaden lösten". Nachsatz: "Mauscheleien mied er ebenso wie die üblichen Bischofs-Quartiere in Rom, stattdessen nächtigte der Kardinal in einer Kammer bei den Kleinen Schwestern vom Lamm."
Im Letzten habe der Kardinal eine Art "grandseigneurale Distanz" zu fast allen Akteuren des Mikrokosmos Vatikan gehalten. Mit Benedikt XVI. indes "blieb es bei der alten Vertrautheit und dem gegenseitigen Du".
Nicht weniger als neun Bischofssynoden und zwei Papstwahlen habe Schönborn mitgestaltet, und im Kreis seiner Mitbrüder aus Österreich absolvierte er im Vatikan fünf bischöfliche Ad Limina- Besuche, "die von Mal zu Mal entspannter wurden", was auch Schönborns Verdienst sei. Sein Ansehen in Rom habe es ihm 2009 sogar erlaubt, "bei Papst Benedikt die beispiellose Rücknahme einer bereits erfolgten Weihbischofs-Ernennung für Linz zu erwirken", so Sailer.
Konflikte mit Rom
Selbst betont pastorale Wortmeldungen des Kardinals hätten offenbar wenig an seinem Ruf in Rom gekratzt: "Er freute sich 2014 über den Sieg der Drag Queen Conchita Wurst beim Song-Contest und betonte, queere Menschen verdienten Respekt: hochgezogene Augenbrauen in Rom, mehr nicht." Schönborn habe das Dokument der vatikanischen Glaubensbehörde, das den Segen für homosexuelle Paare verbot, kritisiert, und 2023 sei schließlich ein zweites Dokument gefolgt, das den Segen erlaubte. Bei der Amazoniensynode 2019 habe Schönborn beanstandet, dass es wirklich nicht mehr zeitgemäß sei, Frauen von den dauerhaften liturgischen Laiendiensten auszuschließen: "Papst Franziskus stellte die Frauen den ungeweihten Männern am Altar gleich."
Zugleich habe der Wiener Kardinal als erster ranghoher Kirchenmann 2009 den bosnischen Wallfahrtsort Medjugorje besucht, als Rom schwere Vorbehalte gegen die dortigen Marienerscheinungen hegte. 2024 habe der Vatikan schließlich grünes Licht für Wallfahrten nach Bosnien-Herzegowina gegeben.
Sailer: "Noch mehr als den Einfluss des Kardinals illustrieren diese Wendungen vielleicht, dass er mit den Jahren ein treuer Bischof im Sinn von Franziskus wurde, einer, der manchmal vor, manchmal inmitten, manchmal hinter dem Volk Gottes hergeht. Und einer, der Dogmatik nicht als Denkverbot lebt."
Eine ernsthafte Verstimmung mit Rom habe es allerdings 2010 gegeben, als der Missbrauchsskandal in Deutschland losbrach. Schönborn, der aus und seit den Schrecken der Causa Groër in den 1990er-Jahren gelernt hatte, fand es demnach schwer erträglich, "wie Kardinaldekan Angelo Sodano bei der Palmsonntagsmesse auf dem Petersplatz Papst Benedikt zu verteidigen suchte, indem er die Vorwürfe als 'Gerede der herrschenden Meinungen' abtat". Eine Beleidigung der Opfer sei das, sagte Schönborn im Anschluss zu Medienleuten in Wien, der zudem ergänzte, dass Sodano seinerzeit als Kardinalstaatssekretär auch die Aufklärung der Causa Groër behindert habe.
Schönborns Bemerkung habe jedenfalls das eherne kuriale Schweigegebote gebrochen. Sodano, öffentlich düpiert, habe sich an Benedikt XVI. gewandt, "der seinen Lieblingsschüler nach Rom zitierte, wo er sich beim Papst in Sodanos Anwesenheit dafür entschuldigen musste, Sodano kritisiert zu haben".
Die Episode zeige, so Sailer, "wie weit 2010 in der Missbrauchsfrage die Lernkurven zwischen einigen Ortskirchen und Rom auseinandergegangen waren". Schönborn habe sich jedenfalls in seinem Kurs nicht beirren lassen. 2019 habe er rückblickend erklärt, in der Groër-Krise hätten einige "im Vatikan gelogen" und Opfer verunglimpft, um die Kirche zu schützen.
Theologe und Mittler
Den amtierenden Papst Franziskus habe Schönborn schon vor langer Zeit in Buenos Aires kennengelernt, weil beide Erzbischöfe den relativ neuen Frauen-Bettelorden der Kleinen Schwestern vom Lamm förderten, Bergoglio in Argentinien und Schönborn in Österreich. Als Bergoglio Papst wurde, habe er dem Wiener Kardinal wichtige Aufgaben anvertraut. "Als langjähriger Ordinarius für die Ostkirchen in Österreich nicht nur im Westen, sondern auch im Osten des Kontinents eindrucksvoll dicht vernetzt, beriet Schönborn den lateinamerikanischen Papst in manch heikler Frage Europa betreffend", so Sailer.
Seine Stärke als Theologe und Mittler habe der Kardinal etwa bei der Familiensynode 2014/2015 ausgespielt. Der Knoten der Synode sei demnach die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion gewesen, so Sailer: "Es ging hoch her. Irgendwann, so erzählt man sich, warfen die anderen das Handtuch und sahen nur noch gebannt zu 'den Deutschen'. Dort sorgte der Kardinal aus Wien für den entscheidenden Kompromiss, den das Papstdokument Amoris Laetitia in einer Fußnote fasst." Schönborn habe das Schreiben von Franziskus der Öffentlichkeit vorgestellt, "und auf Schönborn - nicht auf den Präfekten der Glaubenskongregation Müller - verwies Franziskus öffentlich, als Fragen kamen".
Sailer blickte abschließend auch auf das nächste Konklave: "Wann immer die Papstwahl ansteht, wird Kardinal Schönborn - sofern am Leben - zwar nicht mehr zu den Wählern und wohl auch nicht mehr zu den 'papabili' gehören. Aber dass die älteren und jüngeren Kardinäle der Weltkirche, ehe sie in der Sixtina zur Wahlurne schreiten, den Rat des großen alten Österreichers für eine Kirche der Zukunft suchen werden, daran kann kein Zweifel bestehen."
Quelle: kathpress