Jäggle: Regierung unter FPÖ-Führung für Juden "worst case"
Mit großer Sorge blickt Prof. Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, auf die aktuelle innenpolitische Situation in Österreich. Besonders für die Jüdinnen und Juden in Österreich sei eine Regierung unter FPÖ-Führung politisch der "worst case". Die antisemitischen Tendenzen im Land würden dadurch noch verstärkt, zeigte sich Jäggle im "Kathpress"-Interview pessimistisch. Jäggle äußerte sich anlässlich des bevorstehenden "Tages des Judentums", den die Kirchen am 17. Jänner begehen.
Seit dem 7. Oktober 2023 habe sich die Situation für die Jüdinnen und Juden ohnehin schon deutlich verschlechtert. So seien verstärkt polizeiliche Maßnahmen zur Sicherung jüdischen Lebens in Österreich notwendig. Jüdinnen und Juden seien auch angehalten, aus Sicherheitsgründen keine religiösen Symbole in der Öffentlichkeit zu tragen. Viele Freundschaften seien zerbrochen. Jüdinnen und Juden in Österreich müssten sich etwa für die israelische Kriegsführung in Gaza rechtfertigen. Eltern hätten aus Sicherheitsgründen ihre Kinder aus öffentlichen Schulen genommen.
Für Jäggle ein besonderes Alarmsignal: "Jüdisches Leben ohne Angst ist ein wichtiger Indikator für die Humanität einer Gesellschaft." Der Antisemitismus mit seinen vielen Gesichtern diskriminiere und bedrohe letztlich nicht nur Jüdinnen und Juden: "Er vergiftet die Gesellschaft, untergräbt die Demokratie und ist im Widerspruch zum christlichen Glauben", so der Präsident des Koordinierungsausschusses.
26. Auflage des "Tages des Judentums"
Erfreut zeigte sich Jäggle über die Entwicklung der Initiative "Tag des Judentums". Den Tag des Judentums gibt es seit dem Jahr 2000, er wird heuer zum 26. Mal begangen. Das Christentum ist von seinem Selbstverständnis her wesentlich mit dem Judentum verbunden. Damit dies den Christen immer deutlicher bewusst wird, hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) als eigenen Gedenktag jeweils am 17. Jänner eingeführt. Dabei sollen sich die Christen in besonderer Weise ihrer Wurzeln im Judentum und ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden. Zugleich soll auch das Unrecht an jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte thematisiert werden. Dies erfolgt im Rahmen von Gottesdiensten und weiteren Gedenk- und Lernveranstaltungen.
Die Bedeutung des "Tag des Judentums" sei auch dadurch gestiegen, dass er immer mehr Aufmerksamkeit auf lokaler Ebene gewonnen habe. "Der 'Tag des Judentums' ist ein deutliches Zeichen der Verbundenheit und Solidarität mit den Jüdinnen und Juden in Österreich", so Jäggle. Es sei freilich wichtig zu betonen, dass es im Dialog zwischen Christen und Juden nicht um theologische Verhandlungen, Kompromisse oder gar Bekehrungsversuche gehe, sondern darum, einander besser zu verstehen und um das gemeinsame Bemühen, die Gesellschaft besser zu gestalten.
Jäggle verwies in diesem Zusammenhang auch auf den Rabbiner Arie Folger, der anlässlich des "Tages des Judentums" vor einem Jahr betont hatte, dass es zwischen Judentum und Christentum unüberbrückbare theologische Differenzen gebe. So wie Christen keine Änderungen der jüdischen Lehre einfordern sollten, sei es auch umgekehrt. Eine Ausnahme sah Folger damals allerdings, wenn es darum geht, gegen religiöse antisemitische Elemente in der christlichen Lehre aufzutreten.
"Tag des Lernens"
Dieser Problematik ist auch der "Tag des Lernens" im Vorfeld des "Tages des Judentums" am 9. Jänner gewidmet, wenn es um den christlichen Umgang mit den Pharisäern" geht. Die Veranstaltung an der Universität Wien steht unter dem Motto "Die Pharisäer waren keine 'Pharisäer'" (Dekanatssitzungssaal der Katholisch-theologischen Fakultät, Universitätsring 1, Stiege 8, 2. Stock).
An den Pharisäern im Neuen Testament wird gemeinhin nichts Positives gesehen, erläuterte Jäggle. Somit würden mit dem negativen Bild der Pharisäer unterschwellig immer auch antijüdische Ressentiments mittransportiert. Jäggle: "Die Verunglimpfung der Pharisäer ist gleichbedeutend mit einer Verunglimpfung der Juden." Dem gelte es entgegenzuwirken: "Es braucht einen neuen, differenzierten und wertschätzenden Zugang zu den Pharisäern."
Grußworte beim Tag des Lernens sprechen u.a. Oberrabbiner Jaron Engelmayer und der armenisch-apostolische Bischof und Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Tiran Petrosyan. Den Hauptvortrag hält die amerikanische Theologin und Neutestamentlerin Amy-Jill Levine, die für ihre interdisziplinäre Arbeit im Bereich der jüdisch-christlichen Studien bekannt ist. 2019 war sie die erste Jüdin, die am Päpstlichen Bibelinstitut (Rom) über das Neue Testament gelehrt hat.
Lernen, gedenken, feiern
2019 führte der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit gemeinsam mit Partnern eine Dreiteilung des "Tages des Judentums" ein; auf einen "Tag des Lernens", einen "Tag des Gedenkens" und einen "Tag des Feierns" (am eigentlichen "Tag des Judentums" am 17. Jänner).
Der "Tag des Gedenkens" ist heuer am 13. Jänner um 19 Uhr im Bezirksmuseum Josefstadt (Schmidgasse 18, 1080 Wien) der Synagoge Josefstadt Neudeggergasse gewidmet. Die Synagoge in der Neudeggergasse war 1903 erbaut und im Jahr 1938 bei den der Novemberpogromen zerstört worden. Zum Gedenken an die Jüdinnen und Juden in der Josefstadt wurde 1998 der Verein "Verlorene Nachbarschaft" gegründet, der die Erinnerung und Beforschung der zerstörten Synagogen mit einer eindrucksvollen Aktion ins Rollen brachte. 1999 erschien die Publikation "Verlorene Nachbarschaft: Die Wiener Synagoge in der Neudeggergasse - ein Mikrokosmos und seine Geschichte." Die Autorinnen und Autoren begaben sich auf die Suche nach den jüdischen NachbarInnen von einst und hielten ihre Erinnerungen in Wort und Bild fest. Jäggle dazu: "Das zeigt, was möglich ist, wenn eine lokale Gruppe eine Initiative setzt".
Beim "Tag des Gedenkens" werden Bezirksvorsteher Martin Fabisch und der Generalsektretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Benjamin Naegele, Grußworte sprechen. Gedanken zum Gedenken kommen von der evangelischen Pfarrerin Julia Schnizlein. Vor der Veranstaltung gibt es eine Führung durch das Bezirksmuseum und die Ausstellung "Ich wollte Wien liebhaben, habe mich aber nicht getraut" über das Leben der Schriftstellerin Lore Segal (1928 - 2024).
Segal wuchs in Wien in der Josefstadt auf und musste miterleben, wie die Nazis 1938 die Wohnung ihrer Familie "arisierten". Lore konnte am 10. Dezember jenes Jahres mit dem ersten Kindertransport nach England entkommen, ihren Eltern gelang es, später nachzukommen. Die Mehrzahl von Lores Verwandten und deren Angehörige fielen jedoch dem NS-Terror zum Opfer. Sie verarbeitete ihre Kindheitserinnerungen in ihrem in den USA mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk.
Gottesdienst zum "Tag des Judentums"
Der zentrale Gottesdienst zum "Tag des Judentums", den der Ökumenische Rat der Kirchen gemeinsam mit dem Koordinierungsausschuss veranstaltet, findet am 17. Jänner um 18 Uhr in der katholischen Ruprechtskirche in Wien (Ruprechtsplatz 1, 1010 Wien) statt. Mit dabei sind u.a. Kirchenrektor P. Alois Riedlsperger, der ÖRKÖ-Vorsitzende Bischof Tiran Petrosyan, der evangelische Superintendent Matthias Geist, der methodistische Stefan Schröckenfuchs, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld und die altkatholische Bischöfin Maria Kubin, die die Predigt halten wird. Weiters wirken mit der syrisch-orthodoxe Chorepiskopos Emanuel Aydin, Kanokikos Patrick Curran von der Anglikanischen Kirche, P. Alexander Lapin von der Griechisch-orthodoxen Kirche sowie Prof. Jäggle.
Quelle: kathpress