Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner wird 85
Auch 16 Jahre nach seiner Emeritierung ist der am Freitag sein 85. Lebensjahr vollendende Wiener Pastoraltheologe, Religionssoziologe und Werteforscher Paul M. Zulehner ungebrochen präsent als Analysator und Kommentator der religiösen Landschaft Österreichs und Europas. Der Jubilar hält Dutzende Vorträge pro Jahr, ist geschätzter Gesprächspartner in den Medien und bei Kirchenverantwortlichen. Seine bis 1959 zurückreichende Publikationsliste ist schier endlos - 100 Monografien, rund 60 Bücher, etwa 750 Artikel - und voll von aktuellen gesellschaftlichen sowie kirchenpolitischen Bezügen. Für 2025 hat der nimmermüde Zulehner auf seiner Website bereits zwei weitere Bücher angekündigt.
Der frühere Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien untersucht seit Jahrzehnten gesellschaftliche Entwicklungen, kommentiert sie im Licht des Glaubens und leitet daraus Handlungsimpulse für Kirche und Seelsorge ab. Gleichzeitig ist Zulehner eines der prominentesten "medialen Gesichter" der katholischen Kirche in Österreich. Bekannt für seine pointierten Formulierungen und die Fähigkeit, Theologie auch einer breiten Öffentlichkeit anschaulich zu machen, tritt er häufig als Diagnostiker sozialer, religiöser und kirchlicher Entwicklungen auf.
Zulehner will aber nicht nur kommentieren, sondern auch mitgestalten. So war er z.B. Mit-Initiator der Online-Petition "Pro Pope Francis", mit der bis zur Übergabe an den Papst im Februar 2019 fast 75.000 Personen ihre Unterstützung für dessen Kirchenkurs bekundeten. Nach der Weltbischofssynode im Oktober in Rom sprach sich der Theologe mehrfach dafür aus, den Ortskirchen wesentlich mehr Entscheidungsbefugnisse zuzuweisen und Frauen - nach einem Konzilsentscheid - den Zugang zu Weiheämtern zu ermöglichen. Zulehner fordert eine Kirche, die sich vom Dienstleistungscharakter verabschiedet und den Getauften wesentlich mehr Verantwortung einräumt.
"Hybrid-Theologe des 21. Jahrhunderts"
Die an der Synode als theologische Beraterin teilnehmende Linzer Pastoraltheologin Klara Csiszar, bezeichnete ihren früheren Uni-Lehrer einmal als "Hybrid-Theologen des 21. Jahrhunderts", weil er sich sowohl der christlichen Tradition als auch der modernen Welt verbunden fühle. Zulehner setzt seit jeher auf soziologische Instrumentarien zum "organisierten Wahrnehmen der Realität", wie er im Gespräch mit "Kathpress" erklärte. Die Welt sei immer ambivalent, "sie ist nicht so dunkel, wie die Fundamentalisten sie gerne hätten, und sie ist nicht so schön, wie die euphorischen Optimisten sie sehen".
Die "Säkularisierung", der Zulehner 1973 seine Habilititationsschrift beim Würzburger Pastoraltheologen Rolf Zerfaß widmete, hält er mittlerweile für einen untauglichen Begriff, um die "bunt" gewordene religiöse Landschaft heutiger westlicher Gesellschaften zu beschreiben. Wo immer Freiheit ist, ist Vielfalt, zitiert Zulehner gern den von ihm geschätzten US-Religionssoziologen Peter L. Berger (1929-2017). Dass die Kirchenbindung seit Jahrzehnten nachlässt, beschreibt der Wiener Theologe als Wiederannäherung an den "biblischen Normalfall" - nämlich als Minderheit "Salz und Licht der Welt" zu sein. Die Blütezeit des Nachkriegs-Katholizismus sei "erzwungen", gewesen, "jetzt haben wir eine gewählte Katholizität", die eine bewusste Entscheidung mündiger Menschen erfordere.
"Verbuntung" wird anschaulich
Die "Verbuntung der religiösen Landschaft" zeigt sich auch in Zulehners wucherndem Garten mit vielen von ihm gepflanzten Bäumen und Blumen. Körperlich - und geistig - fit hält sich der umtriebige 85-Jährige, wie er erzählt, durch regelmäßiges Jogging im Wald hinter seinem Haus in Wien-Hietzing.
Vielleicht kommen ihm ja deshalb "laufend" Wortschöpfungen in den Sinn wie "Gottesgerücht", "Dach über der Seele", "Übergang gestalten, statt Untergang verwalten", "Leutereligion" oder eben "Verbuntung". Seine Kirchenvisionen fasst der deklarierte Optimist Zulehner immer wieder neu in griffige Prognosen. Auch in kommenden Generationen werde es Menschen geben, die in christlichen Gemeinschaften leben und Dienste an der Gesellschaft leisten - im Sinne der Absicht Jesu, dass ein bisschen vom Himmel auf die Erde kommt. Gegen die sich ausbreitende, Polarisierung schürende Angst in der Gesellschaft setzt der Theologe auf den christlichen Glauben als Gegenkraft in Richtung einer "Kultur des Vertrauens" und traut Religionen zu, Anstöße zur "Hoffnung in einer taumelnden Welt" zu geben. Dass diese sich - wie aktuell in Russland - politisch instrumentalisieren lassen, empört ihn.
Biografische Notizen
Paul Michael Zulehner hatte 24 Jahre lang den Lehrstuhl für Pastoraltheologie an der Universität Wien inne. Seine wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit strahlt weit über die Grenzen Österreichs aus; seine besondere Sorge gilt der Unterstützung der Kirche in Ostmittel- und Osteuropa, der synodaler Öffnung der katholischen Weltkirche und dem Dialog der Religionen.
Zulehner wurde am 20. Dezember 1939 in Wien geboren, er studierte in Innsbruck, Wien, Konstanz und München Philosophie, katholische Theologie und Religionssoziologie. Bereits als 22-Jähriger promovierte er in Innsbruck beim Sozialethiker P. Johannes Schasching SJ zum Doktor der Philosophie. Seine Dissertation aus dem Jahr 1961 trug den auch heute aktuellen Titel "Religion ohne Kirche?". 1964 wurde er in Wien zum Priester geweiht, zwei Jahre später folgte in Innsbruck das theologische Doktorat mit einer Arbeit über Kirche und Austromarxismus. Ende der 1960er-Jahre war Zulehner in die Leitung des Wiener Priesterseminars eingebunden.
Über die Stationen Bamberg und Passau führte Zulehners Weg an die Universität Wien, wo er von 1984 bis zum Herbst 2008 den (weltweit ältesten) Lehrstuhl für Pastoraltheologie innehatte. Von 2000 bis 2007 war er zudem Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät.
Von 1985 bis 2000 war Zulehner auch theologischer Berater beim "Rat der Europäischen Bischofskonferenzen" (CCEE). Vor 30 Jahren gründete er das "Pastorale Forum zur Förderung der Kirchen in Ost(mittel)europa", 1994 die Arbeitsstelle für kirchliche Sozialforschung. Zulehner ist Mitglied der Europäischen und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Für seine Forschungen wurde er vielfach ausgezeichnet - so 2023 mit dem Kardinal-Innitzer-Preis - und mit zwei Ehrendoktoraten (Erfurt und Cluj-Napoca) bedacht.
Ein wichtiges publizistisches Organ, durch das sich Zulehner in aktuelle Debatten in Kirche und Gesellschaft einbringt, ist u.a. sein Blog https://zulehner.wordpress.com. Und auf der Website www.zulehner.org gibt es viel zum Nachlesen und Entdecken: "Genießen Sie das reichhaltige Material!", schreibt Paul Zulehner dazu auf der Website.
Quelle: Kathpress