Schönborn Abschieds-Interview
Kirche steht für Demokratie und Menschenrechte
Schönborn Abschieds-Interview
Kirche steht für Demokratie und Menschenrechte
Die Kirche steht für eine liberale Demokratie auf der Basis der Menschenrechte und der Freiheit. Das hat Kardinal Christoph Schönborn bei einem Pressegespräch Montagnachmittag in Wien betont. In diese liberale Gesellschaftsform "kann das Christentum Elemente einbringen, die für ihre Zukunft entscheidend sind", zeigte sich Schönborn überzeugt. Und er nannte explizit die Würde jedes Menschen und die Transzendenz-Offenheit jedes Menschen. Nachsatz: "Diese Dimensionen werden für die Zukunft sehr wichtig sein."
Der Wiener Erzbischof zeigte sich besorgt ob der weltweiten Zunahme an totalitären Regimen: "Wir müssen uns fragen: Worauf basiert unsere freiheitliche Ordnung?" Schönborn zitierte einmal mehr das Axiom des deutschen Staats- und Verfassungsrechtlers Ernst Wolfgang Böckenförde: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." - Diese Voraussetzungen zu stärken, sei heute die Aufgabe nicht nur der Kirche, "sondern aller, die an der Sinnfrage nicht einfach vorbeigehen". Zugleich erteilte der Kardinal einmal mehr einer institutionellen Verbindung von Staat und Kirche, wie sie etwa während des Ständestaates in der Zwischenkriegszeit gegeben war, eine deutliche Absage.
Zugleich plädierte der Kardinal für eine deutliche Präsenz des Christentums auch in der Öffentlichkeit. Das beinhalte etwa auch die Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Einrichtungen. Schönborn: "Das hat überhaupt nichts Exklusives. Das Kreuz richtet sich nicht gegen jemanden, sondern ist ein Zeichen, das große Zeichen der Versöhnung, die Vertikale und die Horizontale. Und warum sollen wir uns dieses Zeichens schämen?"
Und der Wiener Erzbischof fügte hinzu: "Die Stadt Wien hat das Kreuz im Wappen. Deswegen ist ja Wien noch nicht ein Hotspot der katholischen Frömmigkeit - aber das Zeichen ist wichtig."
Warnung vor Beliebigkeit
Eine liberale Grundhaltung dürfe allerdings nicht mit einer "Grundhaltung der Beliebigkeit" verwechselt werden, so Schönborn im Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs, ebenso aber auch im Blick auf den Dialog der Religionen: "Man kann das sehr schön in dem Bild von der weitgespannten Brücke ausdrücken, einer Brücke zwischen den Menschen, zwischen den Religionen." Die Voraussetzung für eine weitgespannte Brücke seien tiefe Fundamente.
Eine eigene gefestigte Haltung im Glauben sei in diesem Sinne auch Voraussetzung für den Dialog der Religionen. Schönborn: "Was soll ein gläubiger Moslem mit mir reden, wenn für mich alles beliebig ist? Und wenn ich nicht vor seiner oder ihrer religiösen Haltung auch Respekt und Wertschätzung habe?" Beim Dialog der Religionen gehe es um einen "Dialog in religiöser Tiefe und nicht in der Oberflächlichkeit". - In dieser Hinsicht verdanke er sehr viel seinem Lehrer Joseph Ratzinger, "bei dem ich studiert und mit dem ich Jahrzehnte zusammengearbeitet habe, und der entgegen dem Bild, das oft von ihm gezeichnet wurde, ein sehr offener und sehr weitsichtiger Mann war".
Schönborn erinnerte daran, dass er fünf Jahre intensiv an der Erarbeitung des Katechismus der katholischen Kirche mitgearbeitet habe, sozusagen dem Kompendium der Orthodoxie bzw. Rechtgläubigkeit: "Was glaubt die Kirche? Was lehrt die Kirche? Was sind die Glaubensüberzeugungen der Kirche? Und ich halte es nach wie vor für sehr wichtig, zu wissen, was eigentlich mein Glaube ist. Glauben und Wissen gehören einfach ganz innig zusammen."
"Interessiere dich für den Nächsten!"
Auf die zunehmenden Vereinsamungstendenzen in der Gesellschaft angesprochen, zitierte der Kardinal einmal mehr André Heller mit seinem Wort von der "Welt-Muttersprache Mitgefühl". Es brauche mehr Mitgefühl bzw. Interesse aneinander. Schönborn: "Wie kann es sein, dass man jahrelang, vielleicht jahrzehntelang am selben Stock wohnt und nicht weiß, wer der Nachbar ist? Das ist ein Defizit an Menschlichkeit, das eigentlich unfassbar ist." Deshalb sein Appell: "Interessiere dich für den Nächsten! Du darfst dich nicht wundern, dass sich niemand für dich interessiert, wenn du dich nicht für die anderen interessierst! Es ist sehr einfach. Und es ist ein solcher Zugewinn an Menschlichkeit, sich zu interessieren."
Schönborn warnte vor einer weiteren Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander und plädierte eindringlich für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er verwies auf die Nachkriegszeit. Bei allen Fehlern sei man sich bewusst gewesen: "Aufbauen können wir dieses Land nur gemeinsam." Und so gelte: "Auch die heutige Krise bewältigen wir nur gemeinsam."
Das sei letztlich auch das, was Papst Franziskus mit dem Synodalen Prozess für die Kirche will: "Synodalität heißt, gemeinsam auf dem Weg sein. Das brauchen wir auch in der Politik und in allen Bereichen der Gesellschaft", so Kardinal Schönborn.
Kirchliche Erneuerung braucht glaubwürdige Christen
Eine Erneuerung der Kirche braucht vor allem glaubwürdige Christen, führte Schönborn weiter aus. Als Beispiel verwies der Wiener Erzbischof u.a. an die Flüchtlingshelferin Maria Loley, die dieser Tage ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte: "Ich war fasziniert von dieser Frau, weil ich den Eindruck hatte: Das, was sie sagt, lebt sie auch. Das, was sie lebt, ist glaubwürdig. Das haben viele Menschen gespürt, unabhängig, ob sie jetzt engagierte, aktive Christen waren oder nicht."
Ein anderes Beispiel sei der Benediktinermönch David Steindl-Rast. "Was macht die Faszination dieses fast 100-jährigen Mönches aus? Das ist diese ganz geerdete und überzeugende Spiritualität." Auch P. Georg Sporschill, mit dem er seit 50 Jahren befreundet ist, habe ihn mit seinem lebenslangen Engagement zutiefst beeindruckt. Fazit: "Wir brauchen solche geistlichen Menschen, an denen man sich orientieren kann."
Abnehmende Kirchenmitgliedschaft
Schönborn räumte ein, dass ihn die rückläufige Entwicklung der Mitgliederzahlen der katholischen Kirche sehr schmerze. "Die Zahl der Katholiken in der Erzdiözese Wien ist in meiner Amtszeit um rund 20 Prozent zurückgegangen. Ich verbuche das nicht als ausschließlich als meinen Fehler, aber ich möchte es auch nicht schönreden."
Die gesellschaftliche "Großwetterlage" beschrieb der Kardinal so, dass die Bindung an Institutionen insgesamt sehr nachgelassen hat. Diese Entwicklung habe auch mit der Wohlstandsgesellschaft zu tun, "weil man weniger Gespür hat, dass es auf das Miteinander ankommt". Es gebe aber sehr viele Menschen, die auf der Suche sind nach dem Sinn und Antworten auf die großen existenziellen Fragen. Und hier habe das Christentum ein großes Angebot, "wir haben tiefe Ressourcen".
Es sei faszinierend, so Schönborn, "dass Menschen, die mit dem Christentum nicht aufgewachsen sind und kaum Berührung hatten, in unserer Zeit den christlichen Glauben als etwas Neues entdecken". Er denke an Frankreich, das ihm sehr vertraut ist: "Dieses Jahr zu Ostern haben 13.000 Erwachsene um die Taufe gebeten. Was bewegt sie? Sie kommen nicht aus traditionellem katholischem Milieu, doch sie sind auf der Suche nach Sinn. Und ich glaube, wenn wir insgesamt als Religionsgemeinschaft etwas Sinnvolles tun wollen für diese Gesellschaft, dann ist es, die Sinnsucher und die Sinnfrage überhaupt zu stärken."
Plädoyer für offene Kirche
Darauf angesprochen, dass er vermeintlich die Erneuerung der Kirche eher von neuen Gemeinschaften als traditionellen Pfarren erwarte, sprach Schönborn von einem "Mythos", an dessen Entstehung er selbst vielleicht nicht ganz unschuldig sei. "Es stimmt, dass ich eine echte Sympathie für die neuen Gemeinschaften habe, denen ich auch selber viel verdanke", sagte er. Diese Gemeinschaften seien im Zug des Zweiten Vatikanischen Konzils entstanden "und haben ja auch viel bewegt in Europa und in der ganzen Welt". Aber er sei "absolut nicht der Überzeugung, dass die Volkskirche oder sagen wir der Katholizismus überholt ist". Schönborn brach in diesem Zusammenhang eine Lanze für kirchliches Brauchtum und Volksreligiosität und meinte wörtlich: "Ich sehe keinen Gegensatz zwischen Gemeinschaften, die intensiv ihren Glauben zu leben versuchen, und einer diffusen Präsenz einer christlichen Herkunft unseres Landes. Das ist beides gut."
Auf die vielen Reformprozesse in der Kirche angesprochen, räumte Schönborn ein, dass die Gefahr bestehe, zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. "Alle Gemeinschaften und gesellschaftlichen Gruppierungen haben die Tendenz und die Gefahr, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen. Das ist sehr menschlich, aber es ist schade, weil es auf die Dauer langweilig wird."
Eindringlich appellierte der Erzbischof an die Pfarrgemeinden, offen zu sein für Hinzugezogene bzw. neue Mitglieder: "Wenn jemand Fremder in den Gottesdienst kommt - spricht man ihn an, lädt man ihn ein?" Die vielfach festzustellende Selbstbezogenheit "ist ein großes Übel". Es brauche Interesse für die Menschen - und für Gott. Das lege er auch den Priesteramtskandidaten immer sehr ans Herz.
Eine Reform der Kirche müsse deshalb stets mit mehr Offenheit einhergehen. Schönborn: "Ich kenne Gemeinden, wo das spürbar ist, wo ein Interesse an Neuen da ist, die sich beteiligen wollen." Offenheit brauche es aber nicht nur für suchende Menschen, die andocken wollen, sondern auch anderen Religionen gegenüber. "Wie gehen wir mit unseren muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern um? Interessiere ich mich für sie, oder bin ich nur in Abwehrhaltung?", so Schönborn.
Auf den seit rund 15 Jahren laufenden Reformprozess in der Erzdiözese Wien angesprochen, meinte der Kardinal, dass die strukturellen Reformen sehr weit fortgeschritten seien, es aber wohl keinen Endpunkt geben wird. 2010 bei der dritten Diözesanversammlung habe er die drei großen Zielsetzungen der Reform benannt: Erstens "Mission first", zweitens "Jüngerschaft". Und drittens "Strukturreform". Leider, so der Erzbischof, "sind wir mehr bei der Strukturreform hängen geblieben, die natürlich dringend notwendig ist". In der Frage der Mission als Grundauftrag Jesu gebe es in der Kirche in Österreich "noch viel Luft nach oben".
Synodaler Prozess
Auch beim Thema Synodalität bzw. dem weltweiten Synodalen Prozess sei natürlich die Gefahr groß, "dass man sich wirklich nur um sich selbst dreht", so Schönborn weiter. Synodalität sei aber, so wie Franziskus es versteht, die Anwendung eines Kernbegriffs des Zweiten Vatikanischen Konzils, nämlich der Kirche als Gemeinschaft. Der Papst wolle mit dem Thema Synodalität sozusagen den 'Modus operandi' in den Fokus nehmen: "Wie funktioniert Gemeinschaft in der Kirche?"
Das berge die Gefahr in sich, "dass man um das Funktionieren der Kirche kreist". Es sei aber legitim, denn "jedes Unternehmen muss sich auch fragen: Wie sind die Abläufe bei uns?" Hier gehe es zuerst einmal darum zu schauen, "dass die Abläufe transparent sind und partizipativ". Das sei das Kernanliegen des Synodalen Prozesses.
Zölibat und Frauenfrage
Auf das beim Synodalen Prozess heftig diskutierten Frauenthema und den Zölibat angesprochen, sagte der Kardinal: "Ich bin als Ordinarius für die katholischen Ostkirchen für eine ganze Reihe von verheirateten Priestern mit ihren Familien zuständig. Das ist ein Thema, das dutzende Male abgehandelt worden ist. Und die Antwort darauf ist klar: Die Möglichkeit, verheiratete Priester zu haben, ist eine Möglichkeit, die es in der Kirche gibt, auch in der katholischen Kirche." Er habe schon Verheiratete zum Priester geweiht, "mit der Erlaubnis von Rom".
Die Frauenfrage sei weltweit sicher "eine der brennenden Fragen für die Kirche und für die Gesellschaft insgesamt", betonte Schönborn: "Und sie ist nicht vom Tisch. Sie wird auch nicht vom Tisch sein, weil Geschlechtergerechtigkeit ein nach wie vor berechtigtes und notwendiges Thema ist."
Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien
Einmal mehr hat Kardinal Schönborn sich außerdem für eine Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Syrien ausgesprochen. Es sei ihm unbegreiflich, dass die Sanktionen immer noch aufrechterhalten werden, sie würden nur die Bevölkerung treffen. "Ich war selbst in Syrien und bin sehr informiert über die Lage vor Ort", so Schönborn wörtlich.
Der Kardinal hat im Vorfeld seines Abschieds als Erzbischof von Wien darum gebeten, von Geschenken an ihn Abstand zu nehmen. Stattdessen bittet er um Spenden für zwei Hilfsprojekte: zum einen für die St. Elisabeth-Stiftung der Erzdiözese Wien, die Mütter in Not und ihre Kinder unterstützt, und zum anderen für ein Altenheim der orthodoxen Kirche in Syrien. Letzteres Hilfsprojekt sei angesichts der unvorstellbaren Not in Syrien nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein, sagte Schönborn beim Pressegespräch, "aber es ist für mich ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Syrien, die wirklich Unglaubliches erlitten haben und immer noch erleiden."
Auf den Krieg im Heiligen Land angesprochen und darauf, ob Papst Franziskus nicht zu sehr Palästina zugeneigt sei, sagte Schönborn: "Ich brauche nicht dem Papst Noten zu geben, aber ich glaube, es ist immer richtig, die Not dort zu sehen, wo sie ist. Und sie ist zweifellos auf beiden Seiten." Und beides müsse angesprochen werden, "weil es auf beiden Seiten Menschen sind, die es sehr schmerzlich betrifft".
Auch zu den Beziehungen zur Russisch-orthodoxen Kirche wurde Schönborn befragt. Derzeit sei die Lage sehr schwierig, räumte Schönborn ein: "Ich bedaure sehr, dass es im Moment praktisch keine Möglichkeit gibt, im Dialog mit Moskau zu sein. Aber das wird nicht so bleiben."
Er kenne Patriarch Kyrill aus der Zeit, als er noch Metropolit war: "Er war oft in Wien. Wir hatten zu ihm gute Kontakte mit unserer Stiftung Pro Oriente, als er Außenminister der Russisch-orthodoxen Kirche war." Was sich aber jetzt abspiele, sei auch innerhalb der Orthodoxie eine große Wunde. Schönborn: "Das ist ja nicht nur für uns als katholische Kirche eine schwierige Situation, sondern vor allem für die orthodoxen Schwesternkirchen, weil es einen ganz tiefen Riss in die Orthodoxie selbst hineingebracht hat. Man kann nur hoffen, dass diese Zeit vorübergehen wird."
Als Beispiel einer ausgezeichneten Zusammenarbeit vieler Kirchen und Religionen in Österreich kam Schönborn auf die Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems zu sprechen, in der u.a. Religionslehrerinnen und Religionslehrer auf einer interreligiösen Basis ausgebildet werden. So gebe es neben den konfessions- und religionsspezifischen Fächern gemeinsame Grundprogramme für das pädagogische Rüstzeug. "Das ist ein phänomenales Projekt, das immerhin jetzt 20 Jahre existiert und eine in der Welt einmalige Sache ist", so Schönborn.
Und mit anderen Worten: "Es ist wirklich ein außergewöhnlich weitsichtiges Projekt, dass die, die in unserem Land in den öffentlichen Schulen den Religionsunterricht geben, miteinander ausgebildet worden sind."
Zeit traditioneller Kardinalssitze ist vorbei
Dass Papst Franziskus den nächsten Wiener Erzbischof wieder zu Kardinal ernennt, ist laut Kardinal Christoph Schönborn alles andere als eine ausgemachte Sache. Zur Journalistenfrage, ob ein neuer Kardinal aus Österreich nicht wünschenswert sei, meinte Schönborn: "Da müssen Sie den Papst fragen. Also, wenn nicht der Erzbischof von Paris Kardinal geworden ist, sondern der Bischof von Ajaccio in Korsika, dann verschieben sich ein wenig die Gewichtungen." Die traditionellen Kardinalssitze in Europa gebe es in der Form nicht mehr.
Der Papst habe in den letzten Jahren systematisch in fast jedem Land in Asien einen Kardinal ernannt, sogar in der Mongolei, wo es nur 1.600 Katholiken gibt. Franziskus komme aus Lateinamerika "und ich vermute, seine Einschätzung des Gewichts der Kirche in Europa ist vermutlich ein bisschen anders, als wir es erwarten würden", sagte Schönborn, der einen künftigen Kardinal für Wien dennoch nicht ausschloss: "Vielleicht wird es ja in Österreich eine sehr charismatische oder faszinierende Gestalt geben, die den Papst bewegt, dass er sie zum Kardinal ernennt."
Schönborn fügte hinzu, dass er bei den Kardinalsernennungen "überhaupt nichts mitzureden" habe. "Das einzige und letzte Mal, als ich einem Papst gesagt habe, es sei doch wichtig, dass der und der Kardinal werde, da ging es um ein Land der sogenannten Dritten Welt. Und der ist auch Kardinal geworden, aber vermutlich nicht wegen meiner Intervention, sondern weil es einfach wichtig war."
Die Kardinalsernennungen von Papst Franziskus könne man durchaus als eine Art Programm sehen: "Er geht, wie er selber gesagt hat, an die Peripherien, und das Kardinalskollegium hat sich in diesen elf Jahren, seit er Papst ist, massiv verändert. Der Wiener Erzbischof verwies darauf, dass Europa in naher Zukunft nur mehr 4 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen wird. Der Anteil der europäischen Kardinäle sei zugleich immer noch sehr hoch im Vergleich zur Weltkirche mit ihren 1,2 oder 1,3 Milliarden Katholiken.
Schönborn und die Päpste
Auf seine guten Beziehungen zu den Päpsten angesprochen, ging Schönborn zuerst auf Johannes Paul II. ein: "Er hat mich zum Bischof und zum Kardinal ernannt. Ich hatte vor allem mit ihm zu tun, als ich Redaktionssekretär des Katechismus war. Da gab es viele Begegnungen."
Inniger war das Verhältnis zu Papst Benedikt XVI.: "Ich war sein Student. In Regensburg, als er noch Professor war. Ich bin seit damals mit ihm durch den Schülerkreis in Verbindung geblieben. Und als er Präfekt der Glaubenskongregation war, hatte ich sehr viel mit ihm zu tun, weil ich in der Internationalen Theologenkommission war, die er geleitet hat. Und dann natürlich die Jahre der Zusammenarbeit über den Katechismus. Daraus ist auch eine persönliche Freundschaft geworden; die hatte ich in diesem Sinne nicht mit Johannes Paul II."
Papst Franziskus habe er bereits in Buenos Aires kennengelernt, als dieser dort noch Weihbischof war, "und zwar bei der mir sehr lieben Gemeinschaft vom Lamm. Ich bin mit dieser Gemeinschaft sehr verbunden. Sie hat drei Niederlassungen in Argentinien, die ich auch gut kenne." Bischof Bergoglio habe die Niederlassung in Buenos Aires begründet und sehr gefördert, "weil sie sehr stark hin auf die Gemeinschaft mit den Armen orientiert ist". So habe es sich ergeben, "dass ich zu Franziskus schon vor seiner Wahl eine Beziehung hatte, und die hat sich dann ausgeprägt".
Er bewundere alle drei Päpste sehr und bezeichnete sie als "wirklich große und sehr überzeugende Menschen". Das hat ihn aber nicht daran gehindert, "bei allen dreien auch da und dort Bauchweh zu haben". Auf Nachfrage wollte der Kardinal dann aber doch nicht sein Bauweh den dreien gegenüber konkretisieren, wartete aber mit Papst Paul VI. auf: "Ich hatte Bauchweh mit seiner Ostpolitik. Wir haben ja in Österreich den Kommunismus wirklich hautnah in der Nachbarschaft erlebt. Also da hatte ich manchmal, bei allem Respekt, die Sorge: Das ist zu blauäugig. Aber wer bin ich, das zu beurteilen?"
Zur Frage, ob er am Ende seiner Amtszeit als Erzbischof von Wien optimistischer oder pessimistischer auf die Welt blicke, antwortete er mit einem Ausspruch von Joseph Ratzinger: "Pessimismus und Optimismus, das sei eine Frage des Temperaments. Aber worauf es ankommt, sei die Hoffnung. Die Hoffnung ist keine Frage des Temperaments, sondern eine des Willens und Geistesüberzeugung." Und der Kardinal fügte hinzu: "Ich bin hoffnungsvoll."
Quelle: Kathpress