"Ein prophetischer Text"
Theologen würdigen Abu Dhabi-Erklärung
"Ein prophetischer Text"
Theologen würdigen Abu Dhabi-Erklärung
Als einen "prophetischen Text" haben österreichische Theologen das vor fünf Jahren veröffentlichte "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt" bezeichnet. Die auch als Erklärung von Abu Dhabi bekannt gewordene Erklärung war von Papst Franziskus und dem Großimam der Al Azhar-Universität, Ahmed el-Tayeb, am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi unterzeichnet worden. In einer aktuellen Folge des Theologie-Podcasts "Diesseits von Eden" haben nun die Innsbrucker Theologin Prof. Michaela Quast-Neulinger und der Grazer Religionswissenschaftler Prof. Franz Winter den Text analysiert und im Blick auf seine Bedeutung für den interreligiösen Dialog betrachtet. Der Text habe diesbezüglich "epochalen Charakter", so Winter, harre aber weiterhin der Umsetzung.
Das gemeinsame Schreiben betont u.a. die Geschwisterlichkeit aller Menschen, es wendet sich gegen Gewalt und Terror im Namen der Religion und unterstreicht eine "Kultur des gegenseitigen Respekts" als Handlungsgrundlage des interreligiösen Dialogs. In Folge inspirierte der Text die UN-Resolution, die den 4. Februar als Internationalen Tag der menschlichen Geschwisterlichkeit einführen sollte. In Abu Dhabi wurde außerdem infolge der Erklärung ein großes Bauprojekt - das "Abrahamic Family House" - umgesetzt; ein von Star-Architekt Sir David Adjayes geschaffener Komplex, der eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge umfasst und laut Quast-Neulinger die architektonische Umsetzung des dialogischen Grundgedanken des Dokuments darstellt. Quast-Neulinger hatte unlängst mit einer Delegation aus Österreich an einem interreligiösen Dialogforum in Abu Dhabi teilgenommen.
Als zentrale, noch weiter mit Leben zu füllende Punkte der Erklärung bezeichnete Quast-Neulinger die Betonung der Religionsfreiheit, der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung und der Frauenrechte. Dass diese Punkte in einem Dokument festgehalten wurden und dies von einem höchstrangigen Vertreter des sunnitischen Islam unterzeichnet wurde, sei insbesondere innerhalb der islamischen Welt wie ein "Befreiungsschlag" aufgenommen worden, berichtete die Theologin. Gleichwohl müssten den Worten auch entsprechende Taten folgen. "Aber die Signalwirkung darf nicht unterschätzt werden", so Winter über das Dokument. Quast-Neulinger: "Es ist ein Text, der in die Zeit hineingesprochen wurde und der nun auf Umsetzung hofft. Ein Text, der den Auftrag erteilt, weiterzuarbeiten."
Zugleich verwiesen beide Theologen auch auf Leerstellen - etwa darauf, dass das Dokument eine Krise des traditionellen Familienverständnisses attestiere und zugleich die Familie als Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme anführe, ohne auf etwaige problematische Geschlechterordnungen und Rollenverteilungen hinzuweisen. Gleiches gelte für Religion an sich: Sie stelle sich mancherorts als Grundlage von Problemen dar - auf die der Text mit dem Appell zu einem "Mehr an Religion" antworte.
Alle bisherigen Folgen des von den theologischen Fakultäten in Österreich getragenen Podcasts können unter https://diesseits.theopodcast.at nachgehört werden.
Quelle: Kathpress