Christen in Syrien: Zwischen Freude und Angst
Syrien war stets für seine starke christliche Minderheit bekannt. Dabei ist die Situation für die Christen von Region zu Region unterschiedlich. Aktuell soll es nach verschiedenen Schätzungen noch maximal 500.000 Christen im Land geben, verlässliche Zahlen sind aber nicht zu bekommen. Die Menschen vor Ort hätten nach dem Sturz von Machthaber Baschar al-Assad jedenfalls gemischte Gefühle, brachte es am Montag der in Wien lebende syrische Priester Hanna Ghoneim gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress auf den Punkt. Er sprach von "Freude und Angst. Freude, dass etwas Neues kommen wird und Angst vor dem Chaos."
Vor Beginn des Krieges im Jahr 2011 hatte Syrien rund 21 Millionen Einwohner. Mindestens 5,5 Millionen davon flohen seither ins Ausland. Mehr als 6 Millionen wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land. Vor dem Krieg war Syrien jedenfalls ein Land, in dem viele Völker und Religionen ihren Platz hatten, wie aus Daten des Linzer Nahost-Hilfswerks "Initiative Christlicher Orient" (ICO) hervorgeht, mit 76 Prozent Sunniten, 12 Prozent Alawiten, 7 Prozent Christen, 3 Prozent Schiiten sowie Drusen, Jesiden, Juden und andere Minderheiten.
Spätestens seit Kriegsbeginn vor 13 Jahren war es aber kaum mehr möglich, verlässliche statistische Angaben zu eruieren. Das betraf und betrifft auch die Zahl der Christen. Insgesamt sollen vor dem Krieg noch bis zu 1,5 Millionen Christen in Syrien gelebt haben. Optimisten schätzen, dass es jetzt noch 500.000 Christen gibt, es könnten aber auch nur mehr 300.000 sein. 400 christliche Pfarren existieren noch landesweit.
Ein Beispiel, das die Problematik der Zahlenangaben illustriert: In der Millionenstadt Aleppo lebten vor dem Krieg 120.000 Christen. Nach dem Ende der Kämpfe in der Stadt 2017 waren es noch zwischen 30.000 und 50.000. Freilich gingen nicht alle anderen ins Ausland, manche fanden auch in anderen Teilen des Landes Unterschlupf.
In und um die Stadt Homs, die ebenfalls heftig umkämpft war, soll es 2018 noch bis zu 70.000 Christen gegeben haben. Auch Homs wurde in den ersten Jahren des Krieges schwer zerstört. Ab 2017/18 begannen die Kirchen mit dem materiellen und seelsorglichen "Wiederaufbau" ihrer Gemeinden.
Große christliche Vielfalt
In keinem anderen Land lebten (und leben) so viele christliche einheimische Kirchen friedlich neben- und miteinander wie in Syrien: Vertreten sind die Griechisch-orthodoxe (47 Prozent der Christen), Armenisch-apostolische (15 Prozent), Melkitisch Griechisch-katholische (15 Prozent) und Syrisch-orthodoxe (14 Prozent); weiters gibt es Gläubige der Syrisch-katholischen und Armenisch-katholischen Kirche, Maroniten, Assyrer und Chaldäer sowie einige wenige "römische" Katholiken und Protestanten.
Fast alle dieser Kirchen sind etwa in der Innenstadt von Damaskus mit eigenen Kirchen präsent. Die Christen konzentrieren sich auf die Städte Damaskus, Homs, Aleppo und Umgebung, die Mittelmeer- und Bergregion, aber auch den Nordosten des Landes (Kamishli, Hassaka und Chaburtal), der unter kurdischer Kontrolle steht.
Unübersichtliche Lage
Die Christen genossen im bisherigen Regierungsgebiet in religiösen Angelegenheiten weitgehende Freiheit. Das lag auch daran, dass das Regime von Präsident al-Assad, das sich auf die religiöse Gruppe der Alawiten stützte, in den Christen natürliche "Verbündete" gegen die sunnitische Mehrheit sah. Wie es nun in Zukunft weitergeht, ist ungewiss. In den vergangenen Tagen wurden keine islamistisch motivierten Übergriffe auf Kirchen bzw. Christinnen und Christen gemeldet.
In den von der Türkei und den von ihr unterstützten bzw. kontrollierten Milizen okkupierten Gebieten in Nordsyrien gibt es aufgrund von Übergriffen der Milizen schon seit Jahren so gut wie keine Christen mehr. Die Situation ist laut Experten für Christen noch gefährlicher als in der Region Idlib, wo sich die Rebellen unter der Führung der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) sammelten.
In Idlib hatten vor dem Krieg noch rund 10.000 Christen gelebt. Davon befanden sich zuletzt nach Angaben verschiedener kirchlicher Stellen noch gut 600, meist ältere Personen, vor Ort. Das kirchliche Leben war streng auf die Innenräume der Kirchen beschränkt. Es durften etwa keine Glocken geläutet werden, die Frauen mussten sich in der Öffentlichkeit ebenfalls wie Muslimas kleiden, christliche Symbole - Kreuze oder Statuen - waren in der Öffentlichkeit verboten. Gottesdienste in den Kirchen konnten stattfinden.
Im kurdisch kontrollierten Gebiet im Nordosten des Landes leben zwischen 50.000 und 150.000 Christen. Genauere Zahlen gibt es nicht. Die Bedingungen für die Kirchen sind recht gut. Das religiöse Leben kann sich frei entfalten. Im Kurdengebiet gibt es sogar christliche politische Parteien.
Quelle: Kathpress