Soziologin: "Kapitalismuskritik begegnet einem wenig"
Überrascht über die Selbstverständlichkeit, mit der der Kapitalismus durch alle Bevölkerungsschichten hindurch als selbstverständliche Gegebenheit begriffen wird, hat sich die Göttinger Soziologin Marliese Weißmann gezeigt. Weißmann forscht derzeit im Rahmen des Projekts "Reichtum als soziale Beziehung" über "intergenerationale Perspektiven auf die familiale (Re)Produktion von Reichtum". In der aktuellen Folge des ksoe-Podcast "361 Grad Sozialkompass" hat Weißmann Einblicke in diese Forschung gewährt und dabei festgehalten: "Kapitalismuskritik begegnet einem wenig" - jedoch nicht nur bei vermögenden Personen. Auch in anderen Einkommensschichten und sei eine "grundlegende Kritik am Kapitalismus kaum mehr zu finden".
Dies sei umso erstaunlicher, als die soziale Schere "weiter aufgeht: Vermögensungleichheit und Einkommensungleichheit steigen seit Jahrzehnten; über 50 Prozent des Vermögens wird vererbt oder verschenkt". Dies werde zwar kritisiert, aber es komme "kaum zu einer Mobilisierung", die diese Kritik bündle. Dies könne man etwa auch an europäischen Initiativen wie der Bürgerinitiative "Tax the rich" sehen, deren Ziel es ist, große Vermögen in der Europäischen Union zu besteuern, um den ökologischen und sozialen Wandel zu finanzieren. Diese scheiterte an der Hürde von einer Million Stimmen, die notwendig ist, damit die EU-Kommission sich damit befasst.
Im Rahmen der gemeinsamen Studie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen und der TU Dortmund führt Weißmann und ihr Team qualitative Interviews mit Personen aus Familien mit einem Vermögen ab einer Million Euro. Die Erhebung sei noch nicht abgeschlossen. Es zeige sich jedoch bereits, dass es eine große Scheu gebe, über dieses Thema öffentlich zu sprechen - aus Sicherheitsgründen, aber auch aus dem Bewusstsein heraus, dass die Vermögen bei der intergenerationellen Weitergabe Neid hervorrufen könnten. Daher werde gerade in familiären Kontexten auch großer Wert auf Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit gelegt. Es zeige sich dabei insgesamt, dass "Reichtum nicht nur Freiheit, sondern auch Bürde bedeutet" - von der Erwartung einer hohen Leistungsbereitschaft bis hin in den verpflichtenden familiären Zusammenhalt und die damit verbundenen Konfliktpotenziale.
Religion spiele im übrigen "keine sehr große Rolle" im Blick auf das Gefühl sozialer Verantwortung oder eines gewissen familiären Kodexes, wie es etwa von den C&A-Gründerfamilie Brenninkmeijer bekannt ist, die mit ihrer Stiftung Porticus auch zahlreiche religiöse Projekte finanzieren. Einige der befragten Familien und Personen würden sich zwar in kirchlichen Verbänden oder Einrichtungen engagieren, "aber nicht, weil sie selber besonders gläubig sind", sondern weil sie gefragt wurden und das Engagement der Kirchen in diesen Bereichen gut fänden, so Weißmann.
Die Folge kann unter https://www.ksoe.at/podcast/151215/ueber-geld-reden nachgehört werden. Sie ist erschienen im Rahmen der zweiten Staffel des Podcasts "361 Grad Sozialkompass" der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), die dem Generalthema Wohlstand gewidmet ist. (Infos: www.ksoe.at/podcast)
Quelle: kathpress