Islamische Glaubensgemeinschaft will Imame in Österreich ausbilden
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) will einen "österreichischen Weg" in der Imam-Ausbildung ins Leben rufen und hat mit einer Fachtagung in Wien am Montag die Diskussion über deren Grundzüge eröffnet. Ziel ist eine Ausbildung, die sich an den spezifischen Gegebenheiten und Bedürfnissen des Landes orientiert, an Universitäten verankert ist und die Abhängigkeit von ausländischen Institutionen minimiert. Dazu ist in Überlegung, eine eigene Akademie für Imame zu starten, erklärte IGGÖ-Präsident Ümit Vural bei diesem Anlass gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress. Hinsichtlich der Finanzierung oder eines angestrebten Zeitplans wurde vorerst noch nichts bekanntgegeben.
Österreich besitze mit der gesetzlichen Anerkennung des Islams seit 1912 und der Institutionalisierung der Glaubensgemeinschaft eine einzigartige Ausgangslage in Europa, um neue Maßstäbe zu schaffen, sagte der IGGÖ-Präsident. Mit den Universitäten Wien und Innsbruck sowie der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems gebe es bereits mögliche Partner für eine Imam-Akademie, um sowohl theologische als auch pädagogische Ansprüche zu erfüllen. Die Imam-Ausbildung solle dabei auch den Seesorge-Bereich umfassen und deshalb ähnlich wie sonst auch bei der Ausbildung von Priestern oder Rabbinern im Kernbereich der Glaubensgemeinschaft liegen.
Derzeit wirken rund 200 Imame in Österreich, die fast alle in anderen Ländern wie Türkei, Bosnien oder in arabischen Staaten ausgebildet wurden. "Das möchten wir ändern, indem wir auf die Expertise bestehender Gemeinden zurückgreifen und gleichzeitig internationale Best-Practice-Beispiele einfließen lassen", so Vural. Die Ausbildung solle dabei nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen offen sein. Aufgabe der IGGÖ werde es sein, nicht nur Fachwissen zu vermitteln, sondern auch "Brückenbauer" auszubilden - zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der Mehrheitsgesellschaft, zwischen Tradition und Moderne sowie auch zwischen den Religionen. "Interreligiöser Dialog wird ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung sein", versprach Vural vor den Tagungsteilnehmern, zu denen neben der gesamten IGGÖ-Spitze auch Militärbischof Werner Freistetter und Kultusamt-Leiter Florian Welzig zählten.
Großmufti offen für Zusammenarbeit
Auch wenn Eigenständigkeit angestrebt wird, soll es bei der Ausbildung Zusammenarbeit mit anderen Ländern geben. So wurde erst vor wenigen Tagen ein "Memorandum of Understanding" mit dem Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Husein Kavazovic, unterzeichnet, um Synergien in der theologischen Ausbildung und anderen Themen wie Halal-Standards zu nutzen. Kavazovic war auch selbst bei der Fachtagung zugegen und legte dar, dass die Muslime seines Landes wie sonst nirgendwo in Europa eine zugleich muslimische und europäische Identität entwickelt hätten. Sie seien bereit, ihre rund 150-jährige Erfahrung einer eigenen Imam-Ausbildung weiterzugeben, so der Großmufti.
Experten diskutierten einzelne Aspekte dieser Ausbildung. Bülent Ucar vom Islamkolleg Deutschland in Osnabrück betonte, dass universitäre Anbindung sowie die Akzeptanz vonseiten der anderen Religionsgemeinschaften und von Vertretern der Mehrheitsgesellschaft unbedingt vonnöten seien. Der Frankfurter Koranwissenschaftler Prof. Ömer Özsoy nannte die christliche Priesterausbildung mit Vermittlung fachwissenschaftlicher Kompetenzen an der Universität und der fachdidaktischen in religiösen Einrichtungen als praktikables Modell. Der Tübinger Pastoraltheologe Mahmoud Abdallah hob die Verortung der islamischen Seelsorge innerhalb der islamisch-theologischen Disziplinen hervor. Als eine "hybride Form" des Theologietreibens benötige sie interdisziplinäre Zusammenarbeit und "Lebensnähe", um heutigen Anforderungen gerecht zu werden.
Berufsbild noch nicht definiert
Auf die noch ausständige Definition des Berufsbildes "Imam" verwies der emeritierte Wiener Islamwissenschaftler Prof. Rüdiger Lohlker. Imame würden heute oft als Allrounder gefordert, als "Lehrer, Seelsorger, Mediator, Gemeindemanager und mehr. Sie sollen auch moderne Medien nutzen und kulturelle Vielfalt innerhalb der Gemeinschaft bewältigen, was fundierte Sprachkenntnisse erfordert", rief der Experte in Erinnerung. Dabei sei die zugeschriebene Rolle jedoch stark kontext- und kulturabhängig. In den USA umfasse sie u.a. Jugendarbeit, interreligiösen Dialog und Gefängnisseelsorge, während in Indien die Konfliktbewältigung im Fokus stehe und im arabischen Raum viele dieser Aufgaben als irrelevant gälten.
Auch auf eine notwendige Einbindung und Sichtbarkeit von Frauen wurde bei der Fachtagung hingewiesen - von der an der KPH Wien/Krems lehrenden Theologin Canan Bayram, die auf Errungenschaften einer Vielzahl muslimischer Frauen in der Frühzeit des Islam verwies. Erst in den jüngsten Jahrzehnten habe die Forschung in den historischen Quellen solche Vorbilder wiederentdeckt und Biografien weiblicher Gelehrter ans Licht gebracht. Die Moscheepädagogik müsse dies neu ins Bewusstsein bringen und Aufklärungsarbeit leisten, um Frauen Mut zu machen und damit zu mehr Gleichberechtigung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft wie auch in der Gesellschaft als Ganzes beizutragen, so Bayram.
Mehr Praxisnähe und klare Standards
Über Schwierigkeiten bisheriger Anläufe von Möglichkeiten für Imamausbildungen in Österreich - konkret die Bachelorstudien für Islamische Theologie an der Universität Wien (seit 2017) und Innsbruck (seit 2023) - sprach der in Innsbruck lehrende Theologe Zekirija Sejdini. Ernüchterung sei dem anfänglichen Enthusiasmus gewichen, da bisher keine Absolventen dieser Studiengänge als Imame in Moscheen tätig seien - begründet u.a. durch Desinteresse oder zu wenig finanzielle Ressourcen der Moscheegemeinden oder auch das Fehlen eines einheitlichen Berufsbildes. Werde auf solche Probleme reagiert, etwa durch weitere Professionalisierung, klare Standards, Vernetzung und mehr Praxisvermittlung, könne eine "realistisch und kooperativ" gestaltete Imam-Ausbildung in Österreich dennoch Zukunft haben.
Quelle: kathpress