NGOs fordern dringende Verbesserungen beim EU-Saatgutrecht
139 Organisationen aus 23 europäischen Ländern - darunter die Dreikönigsaktion, Welthaus Diözese Graz-Seckau, Brot für die Welt und weitere acht NGOs aus Österreich - fordern Nachbesserungen beim EU-Saatgutrecht, das am 9. /10. Dezember bei der nächsten EU-Agrar-Ratssitzung auf der Tagesordnung steht. Die Organisationen wandten sich mit einem am Montag veröffentlichten Brief an die 27 EU-Landwirtschafts-Minister sowie an den neuen EU-Gesundheitskommissar Oliver Varhelyi. "Der aktuelle Gesetzesvorschlag bedroht die Vielfalt unserer Kulturpflanzen sowie das Recht unserer Bäuer:innen auf ihr eigenes Saatgut massiv", so die an Brüssel gerichtete Warnung.
Der vorliegende Vorschlag der EU-Kommission "gefährdet die europäische Landwirtschaft", hieß es. Unterstützt wird das Anliegen einer Neuformulierung von zivilgesellschaftlichen und bäuerlichen Initiativen, regionalen Saatgut-Betrieben sowie Naturschutz- und Entwicklungsorganisationen. Aus Österreich sind das neben den genannten kirchlichen NGOs auch ARCHE NOAH, BirdLife, Demeter, Die Umweltberatung, Erde und Saat, FIAN, Global 2000 und Sortenwerkstatt. Die Unterzeichner des offenen Briefs beriefen sich auch auf die 160.000 EU-Bürgerinnen und -Bürger, die die Petition "Hoch die Gabeln für die Vielfalt" (www.hochdiegabeln.at) unterschrieben.
Die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der lokal angepassten Kulturpflanzenvielfalt müsse oberste Priorität haben, lautet eine der Forderungen an die EU-Politik. Auch müssten die Ernte und Weitergabe, der Tausch und Verkauf von eigenem Saatgut für landwirtschaftlich Tätige legal möglich sein. Die Vermarktung von vielfältigen und lokal angepassten Sorten durch regionale Saatgut-Produzenten müsse erleichtert werden und neu zugelassene Sorten dürften nicht von Pestiziden oder synthetischen Düngemitteln abhängig sein.
Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission stelle Weichen in eine problematische Richtung, so die NGOs. Das im Völkerrecht verankerte Menschenrecht von Bäuerinnen und Bauern, ihr eigenes Saatgut weiterzugeben, würde durch den vorliegenden Entwurf eingeschränkt, gab Sigrun Zwanzger vom Welthaus der Diözese Graz-Seckau zu bedenken. Sie formulierte auch ökologische Argumente: "Lokales, angepasstes Saatgut sichert vor allem in Zeiten des Klimawandels die Absicherung von Ernten, da es meist viel trockenheitsresistenter ist und keine zusätzlichen Kosten für den Kauf oder auch notwendige Düngemittel entstehen."
Erstmals sollen Aktivitäten zur Rettung seltener Sorten wie die Weitergabe von Edelreisern seltener Apfelbäume oder von Saatgut gefährdeter Bohnen-Sorten als "Vermarktung" reguliert werden. Dem halten die Protestierenden entgegen: Wer sich - wie viele Gärtner und Bäuerinnen - oft ehrenamtlich für die Rettung der Vielfalt für künftige Generationen engagiert, leiste viel für die Ernährungssicherheit. Sie dürften nicht "mit komplexen Vorschriften bestraft" werden, die für den kommerziellen Saatgut-Markt gedacht sind, wie Expertin Magdalena Prieler von ARCHE NOAH darlegte.
EU-Saatgutrecht in Diskussion
Zum Hintergrund: Die EU-Kommission hatte im Juli 2023 einen Entwurf für eine Neuregelung der Erzeugung und Vermarktung von Saatgut und Vermehrungsmaterial (z.B. Edelreiser oder Saatkartoffeln) vorgelegt. Im April 2024 forderte das EU-Parlament Verbesserungen, um landwirtschaftliche Vielfalt und bäuerliche Rechte zu schützen. Die Landwirtschaftsministerien der EU-Mitglieder arbeiten noch daran. Den in Österreich zuständigen Minister Norbert Totschnig und seine 26 Kollegen forderten die NGOs in ihrem Brief auf, "dem Druck der Agrar-Industrie zu widerstehen, und die Grundlage für ein nachhaltiges, widerstandsfähiges und vielfältiges Lebensmittelsystem zu schaffen".
Erst nach einem Beschluss im Agrar-Rat starten die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Rat und Parlament voraussichtlich im Frühjahr 2025.
(Link: https://www.arche-noah.at/media/offener_brief_zu_pflanzlichem_vermehrungsmaterial.pdf)
Quelle: kathpress