Polak: Pastoraltheologie muss gegenwärtige Gotteskrise in Blick nehmen
Leerstellen und offene Baustellen pastoraltheologischer Forschung wurden am zweiten Tag der Fachtagung zum 250. "Geburtstag" des Faches Pastoraltheologie an der Universität Wien aufgezeigt. In zwei Panels diskutierten u.a. die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak über die "sozioreligiöse Transformation" des Glaubens, ihr Kollege und Mitorganisator der Tagung, Prof. Hans Pock, attestierte indes in einem Panel über Seelsorge und Diakonie das Fehlen einer theologisch-wissenschaftlichen Befassung mit dem diakonischen bzw. caritativen Handeln.
Ausgehend von sozialwissenschaftlichen bzw. religionssoziologischen empirischen Studien zeigte Polak auf, wie stark sich die religiöse Landkarte in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Angesichts eines starken Rückgangs des Gottglaubens und speziell des Glaubens an ein christliches Gottesbild sei es nicht mehr gerechtfertigt, nur von einer "Transformation" zu sprechen, sondern von einem "Einbruch" bzw. einem Verdunsten des Glaubens. Das würde jedenfalls aus den jüngsten Daten aus dem heurigen Frühjahr hervorgehen, denen zufolge etwa der Glaube an Gott oder eine göttliche Wirklichkeit von nur mehr 22 Prozent der Befragten geteilt wird. 35 Prozent gingen von einem "höheren Wesen", einer Energie oder einer geistigen Macht aus, auch der Anteil der Indifferenten steige weiter an.
"Klar ist: Das christlich formatierte Gottesbild ist heute ein Minderheitenphänomen", so Polak. Das müsse auch in der Pastoraltheologie zu Konsequenzen führen, appellierte die Theologin. Zwar gebe es durchaus in einzelnen Gruppen eine bleibende "Offenheit für Transzendenz", doch solle man sich dies theologisch "nicht zu schön ausmalen": "Wir müssen uns damit anfreunden, dass es auch Menschen gibt, die den von den Kirchen verkündeten Gott nicht mehr brauchen. Denen der Gottglaube nicht mehr fehlt." Damit jedoch dürfe man sich nicht abfinden - dies entspreche einer "Selbstaufgabe", - vielmehr müsse "Die Gotteskrise in den Fokus der Reflexion" treten. Diesen Befund gelte es zu reflektieren, ohne gleich nach Konsequenzen für die pastorale Praxis zu fragen, mahnte Polak zu mehr Bedacht.
Suche nach religiöser Sprachfähigkeit
Diskutiert wurden die religionssoziologischen Befunde anschließend mit dem Wiener muslimischen Theologen Prof. Ednan Aslan, der oberösterreichischen Jugend- und Festivalseelsorgerin Victoria König, dem Berliner Religionssoziologen Prof. Hubert Knoblauch und dem Wiener Religionspädagogen David Novakovits.
Alle Diskutanten plädierten dabei für eine Erneuerung der religiösen Sprachfähigkeit - es sei gerade bei jungen Menschen eben diese religiöse Sprachunfähigkeit, die es ihnen schwer mache, sich in den tradierten Religionen und Glaubensformen zurecht zu finden. Hier müsse man in der Pastoraltheologie genauer hinschauen auf die "Refiguration" und Transformation des Religiösen bei jungen Menschen, mahnte Knoblauch. Religiöse Fragen und Erfahrungen seien weiterhin gefragt - nur würden diese anders artikuliert, verwies er etwa auf moderne Formen der Kommunikation im digitalen Raum. Es sei jedenfalls zu kurz gegriffen, nur von einem Niedergang bzw. einer "linear fortschreitenden Säkularisierung" auszugehen - es gebe heute eine große Gleichzeitigkeit verschiedenster Entwicklungen.
Dem pflichteten auch Victoria König und David Novakovits bei, die ganz unterschiedliche Arten von religiösen Prägungen bei Jugendlichen feststellten - von Jugendlichen, die über praktisch-soziales Engagement mit Religion in Kontakt kommen über die klassische Auseinandersetzung etwa in Gruppen- bzw. Jungschar-Stunden bis hin zu Menschen mit einer "starken Sehnsucht, existenziellen Fragen und gleichzeitiger Sprachunfähigkeit". Hier würden nicht selten evangelikale bzw. charismatische Gruppierungen andocken können - mit zum Teil schwierigen binären Codes von richtig-falsch und schwarz-weiß. "Das fällt aber bei vielen jungen Menschen auf fruchtbaren Boden". Hier würde sie sich mehr Engagement der Kirchen wünschen, "auf junge Menschen zuzugehen und mit ihnen auf Augenhöhe den Dialog zu suchen".
Einblicke in die sich verändernden religiösen Bindungen junger Menschen in islamischen Milieus bot Ednan Aslan. Zwar stelle gerade in Migrationsgesellschaften Religion weiterhin einen starken "Identitätsmarker" für junge Menschen dar - aber gleichzeitig würde es in islamischen Ländern Säkularisierungsschübe und einen Vertrauensverlust in tradierte Formen der religiösen Erziehung und Ausbildung geben. Für die westlichen Gesellschaften prognostizierte Aslan einen weiteren Verlust konfessioneller Bindungen, auf den es in der Theologie wie etwa im Religionsunterricht rechtzeitig zu reagieren gelte. "Existenzielle Fragen" würden zu verbindenden Momenten, auf die man gemeinsam und nicht mehr konfessionell getrennt antworten müsse.
Caritas-Wissenschaft: Leerstelle in Österreich
Auf eine Leerstelle in der theologischen Forschung verwies Prof. Johann Pock zur Eröffnung des letzten Panels der Tagung über "Gutes Leben für alle - Seelsorge und Diakonie als Herzstück christlichen Handelns". So würde der Bereich caritativen Handelns im Studienplan der Theologie heute ebenso fehlen wie eine gezielte Caritas-Wissenschaft als Forschungsgegenstand, wie dies etwa in Passau oder Freiburg in Form von Masterstudiengängen existiere. "Dabei gehört die Caritas zum Kerngeschäft christlicher Kirchen", das nicht nachrangig zur Gemeindepastoral oder Sakramentenpastoral behandelt werden dürfe, mahnte Pock.
Dem pflichtete bei einem Panel unter anderem Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler bei: Innerhalb der Kirche stelle sie immer wieder eine unangemessene Abwertung des caritativen Dienstes fest gegenüber der Liturgie oder der Verkündigung. Dies dürfe nicht gegeneinander ausgespielt werden. Schließlich bilde die Caritas als tätige Nächstenliebe "einen wichtigen Grundvollzug von Kirche", der nicht einfach an die Institution Caritas delegiert werden dürfe, sondern im Kern des kirchlichen Lebens seinen Platz haben müsse. Dabei gelte es auch, neue Themen in den Blick zu nehmen und u.a. etwa mit Mitteln der katholischen Soziallehre zu reflektieren, wie etwa die Themen Einsamkeit, Menschenhandel, Migration, Ausbeutung, Klimagerechtigkeit.
Als ein Laboratorium für die Zukunft pastoraler Arbeit beschrieb der Grazer Theologe und Pflegewissenschaftler Andreas Heller die Krankenhausseelsorge bzw. den Palliative Care-Bereich. Mit der Aufwertung dieses Bereichs in den vergangenen 30 Jahren zu einer heute selbstverständlichen Form des Umgangs mit Alten und Sterbenden habe sich eine "kleine Sensation" ergeben, so Heller, die man auch theologisch wahrnehmen müsse. Galt etwa früher der Bereich der Krankenhausseelsorge als "völlig abgewerteter" Bereich, für den es keine besondere Kompetenz bedurfte, so seien Seelsorgerinnen und Seelsorger heute in diesem Bereich vielfach kompetent und gefordert zu interdisziplinärer Arbeit. Hier könne auch die Pastoraltheologie lernen, was es bedeute, dass Kirche nur Kirche ist, wo sie dies "für andere" ist, so Heller. "Wir müssen einfach raus aus der Binnenperspektive der Selbstbehauptung."
Der orthodoxe Wiener Theologe Prof. Ioan Moga schließlich zeigte auf, wie die caritative Praxis in der Orthodoxie bereits jetzt eine mit der Liturgie gleichrangig gesehene Selbstverständlichkeit darstelle. Dies habe Vor-, aber auch Nachteile: So sei das caritative Handeln in diesen Gemeinden stark an die "Community" vor Ort und ihre Vernetzung gebunden. Auch gebe es eine starke Priesterzentrierung - doch breche dies langsam auf in Richtung einer stärkeren Projektarbeit und Professionalisierung, so Moga.
Panels auch schon am Montag
Bereits am Montag wurden Schwerpunkte der pastoraltheologischen Arbeit an der Wiener Fakultät bei Panels diskutiert. Den Auftakt bot etwa das Panel unter dem Titel "Epochenwandel - theologische Situationsanalyse", bei dem Gabriele Eder-Cakl (Österreichisches Pastoralinstitut), Yuval Katz (Institut für Religionswissenschaft, Wien) und Johannes Kaup (ORF-Religion) zu Wort kamen. Dabei zeigte sich Eder-Cakl überzeugt, dass es aus pastoraler Sicht wichtig sei, dass sich Christinnen und Christen "als Teil der Lösung" der Probleme der Gegenwart verstehen müssten. Der Auferstehungsglaube sei Motor dieser Hoffnung. Auch gelte es, wach auf die Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft zu blicken, die nicht überall so negativ seien, wie man gemeinhin meine: "Wir sehen an vielen Orten wie etwa auch bei der Matura-Aktion 'BeBlessed', dass sich junge Menschen verbinden wollen", so die Pastoraltheologin. Auch in der digitalen Welt gebe es "Gebet, Seelsorge, Glaube - das stimmt mich zuversichtlich." Entscheidend allerdings für die künftige Glaubwürdigkeit der Kirche sei der Umgang mit den Frauen - bzw. die Ermöglichung von Teilhabe auf allen Ebenen, so Eder-Cakl.
Der jüdische Religionswissenschaftler Yuval Katz zeigte sich skeptisch gegenüber der Rede von einer Zeitenwende: Gewiss, die Menschen seien heute weniger optimistisch als früher im Blick auf die Zukunft; doch sei dies noch kein hinreichendes Kriterium, um tatsächlich eine Zeitenwende festzustellen. Tatsächlich gebe es - wie auch Eder-Cakl meinte - in vielen Bereichen durchaus Fortschritte und Entwicklung zum Besseren hin.
Der Journalist Johannes Kaup zeichnete seinerseits das Bild einer von Unsicherheit und dem Gefühl des "schwankenden Bodens" bestimmten Gegenwart. "Viele Menschen fühlen, dass sie etwas verlieren könnten und erwarten in Zukunft Verluste". Das "Fortschrittsversprechen der Moderne" sei brüchig geworden; zugleich herrsche gerade in einer Zeit beschleunigter "Transformationsprozesse" eine "Transformationsmüdigkeit" vor. Den Kirchen beschied Kaup angesichts dessen die Chance, Kräfte der Hoffnung neu freisetzen zu können, wenn es ihr gelinge, für Kooperationen gerade jenseits der eigenen kirchlichen Blase in der Zivilgesellschaft offen zu sein. Schließlich gebe es weiterhin eine Sehnsucht nach der "transzendenten Dimension, die uns allen gemeinsam ist", zeigte sich Kaup überzeugt.
Interdisziplinäre Panels zeigen Bandbreite
Die ganze thematische Bandbreite, mit dem sich das Fach Pastoraltheologie heute auseinandersetzt, wurde im Rahmen der Wiener Fachtagung zum 250. "Geburtstag" des Faches in weiteren, bewusst interdisziplinär angelegten Panels sichtbar. Nach dem Eröffnungspanel, das im Zeichen einer Situationsanalyse stand, folgten weitere Panels zum Thema "Von Gott reden im Heute" und zum Thema "Werte-Gesellschaft- Politik".
Über die Frage einer zeitgemäßen Rede von Gott tauschten sich dabei Prof. Pock, die Erlangener evangelische Theologin Prof. Ursula Roth, der Wiener Fundamentaltheologe Prof. Jakob Deibl und die Digital-Expertin und Leiterin des Bereichs "Pastoral im digitalen Raum" der Erzdiözese Wien, Stefanie Sandhofer aus. Pock plädierte für eine "mutige Weiterentwicklung" zeitgemäßer Verkündigungsformen, in denen nicht nur auf klassische Medien und Formen der Vermittlung von Glaubensinhalten geblickt werden müsse. Nur so könne die Rede von Gott auch gesellschaftlich breit wahrgenommen werden und politische Kraft entfalten. "Es braucht viel Kreativität, um auf den neuen Areopagen bestehen zu können - aber ich glaube es lohnt sich", so Pock.
Roth plädierte dafür, in der Pastoraltheologie wie auch in der empirischen Beforschung der Glaubensrealität einen "breiteren Blick" zu wagen und so auch Glaubensformen in den Blick zu nehmen, die nicht im Bereich klassischer Kirchlichkeit und kirchlicher Vollzüge liegen. Vorbehalte gegenüber einer "allzu vollmundigen Rede von Gott in der Öffentlichkeit" äußerte Jakob Deibl. Die Vokabel Gott sei "ambivalent" - schließlich würde als "der Abwesende schlechthin" ebenso in Erscheinung treten wie als "überall präsent". Gerade in der Pastoral brauche es daher eine große Sensibilität für die Vielfalt dessen, was Menschen mit "Gott" verbinden.
Stefanie Sandhofer gab schließlich Einblicke in das von ihr mit initiierte Projekt "weilmaglaubn.at", wo sie und eine Mitstreiterin über das "Alltagsleben mit Gott* & Kirche" schreibt bzw. im Rahmen dessen Videos produziert. Es sei überraschend, wie viele Menschen sie auf diese niederschwellige Form der direkten Kommunikation, bei der sie auch viel von sich preisgebe, erreiche, so Sandhofer. Eine zeitgemäße Pastoral müsse wagen, nicht nur neue Formen und Medien zu nutzen, sondern auch die eigene Sprache überdenken. In der digitalen Welt gehe es "nicht darum, dass wir unseren Glauben auf andere übertragen, sondern dass wir die Kraft sichtbar machen, die der Glaube uns gibt".
Werteforschung im Fokus
Im dritten Panel des Tages stand eine wichtige Säule der Wiener Pastoraltheologie im Fokus: die Werteforschung. Einen kursorischen Überblick über die Entwicklungen in diesem Bereich von den Anfängen bis zum heutigen überfakultären "Netzwerk Interdisziplinäre Werteforschung" boten die Theologen Christian Friesl und Patrick Rohs. Empirische Werteforschung sei heute eine wichtige Basis moderner Pastoraltheologie und sei auch "hochrelevant", um die "Zeichen der Zeit" fundierte deuten zu können, so Friesl.
Detailliertere Blicke warf Friesl etwa auf den hohen Stellenwert, den die Befragungen über die Jahrzehnte der Familie beimessen; doch auch das "volatile Vertrauen in Institutionen" sei ein wichtiger Ankerpunkt für die Werteforschung. Um dieses Vertrauen zu stärken, brauche es "Ressourcen, Verlässlichkeit und Beteiligung" - ähnliches gelte für die Demokratie selbst. Hier bestehe auch eine Aufgabe für die Pastoraltheologie. Rohs wies weiters darauf hin, dass Österreich zwar im europäischen Vergleich weiterhin über eine "überdurchschnittliche Ausprägung von Zusammenhaltsressourcen" verfüge, dass jedoch in den letzten Jarhen und forciert durch gesellschaftliche Krisen "der soziale Zusammenhalt stark beansprucht" und somit prekär wurde. Angesichts dessen und einer weiteren Individualisierung brauche es verstärkt "Lernorte für ein gelingendes Miteinander und den demokratischen Austausch" sowie eine verstärkte Wertebildung, so Rohs.
Diskutiert wurden diese Thesen u.a. von der Wiener Sozialwissenschaftlerin Prof. Sylvia Kritzinger und der Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät, Prof. Andrea Lehner-Hartmann. Letztere unterstrich, dass es zentral sei, "Demokratie als Lebensform" zu begreifen, um ins Schwanken geratene Werte zu stärken. Indem man politische Beteiligungsformen in der Praxis erlebe, stelle sich die Erfahrung der Selbstwirksamkeit ein, die wiederum Vertrauenswerte heben könne. "Wir müssen außerdem lernen, unterschiedliche Positionen in den Dialog zu bringen, ohne einander gleich als Feinde abzustempeln", so Lehner-Hartmann.
Einblicke aus der gesellschaftlich-sozialen Praxis bot außerdem der frühere Caritas-Generalsekretär, frühere Grünen-Geschäftsführer und nunmehrige Geschäftsführer des Bündnisses für Gemeinnützigkeit, Stefan Wallner. Der attestierte Vertrauensverlust in die politischen Institutionen sei nicht zuletzt auch für die wichtige Arbeit der NGOs eine große Herausforderung, so Wallner. Schließlich sei die politische Öffentlichkeit der zentrale Umschlagplatz der NGO-Arbeit. Wenn das Vertrauen in Medien und diese kritische Öffentlichkeit schwinde, schwinde auch die Basis der Arbeit der NGOs. "Wir erleben eine völlige Disruption der Öffentlichkeit", so Wallner. Für die NGOs folge daraus, dass sie künftig nicht nur ihr Kerngeschäft betreiben müssen, "sondern wir uns auch um die Voraussetzungen unserer Arbeit kümmern müssen" - und das Vertrauen in den Diskurs, die Öffentlichkeit, die Medien und die Demokratie fördern müssen.
Quelle: kathpress