Neues NGO-Netzwerk wirbt für "Demokratieministerium"
Für eine "Demokratieoffensive" in Österreich will sich ein Bündnis von Nicht-Regierungsorganisationen einsetzen, das sich im Zuge der laufenden Koalitionsverhandlungen gegründet hat. 21 führende Organisationen aus den Bereichen Soziales, Umwelt- und Tierschutz, Kirchen und Menschenrechte sind am "Österreichischen Netzwerk Zivilgesellschaft" beteiligt, hieß es am Dienstag bei der Vorstellung in Wien. Zu den ersten Vorschlägen an die Chefverhandler Karl Nehammer (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (NEOS) zählen die Schaffung eines Demokratieministeriums, eines Demokratiefonds sowie eines Demokratierates mit Bürgerbeteiligung.
Das neue Netzwerk ist laut Angaben seiner Sprecherin Ursula Bittner von Greenpeace die "bislang größten zivilgesellschaftlichen Demokratie-Initiative des Landes". Beteiligt sind die Katholische Aktion - bei der Pressekonferenz vertreten durch die Katholische Jungschar -, sowie unter anderem Diakonie, Volkshilfe, Armutskonferenz, Attac, SOS Mitmensch, Fridays for Future und die IG Kultur Österreich. Man wolle in Zukunft weiter wachsen und verstehe sich als "positive Demokratiebewegung" zur Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas, hieß es seitens der Bündnispartner. Bittner: "Wir haben zu lange angenommen, dass Demokratie selbstverständlich ist - sie muss aktiv geschützt und weiterentwickelt werden."
Demokratie am Kipppunkt
Derzeit stehe die Demokratie in vielen Teilen der Welt und auch in Österreich an einem "Kipppunkt", nannte die Sprecherin als Gründungsimpuls. Das Vertrauen in die Demokratie sinke und immer mehr Druck laste auf unabhängigen Interessenvertretungen, auf dem Rechtsstaat sowie auch auf den Medien. Sichtbar werde der "erhebliche Handlungsbedarf" im Abrutschen Österreichs bei Rankings wie dem Korruptionswahrnehmungsindex oder der Pressefreiheit, sowie auch im Demokratieindex, der bei nur 57 Prozent liegt. Die Demokratie und auch damit verbundene Werte wie Chancengleichheit, Meinungsfreiheit und gesellschaftliche Mitgestaltung müssten "durch mehr echte Teilnahme gestärkt werden - sonst wenden sich Menschen extremen Kräften zu", so Bittner.
Als konkretes "Leuchtturmprojekt" und "Zeichen gegen die zunehmende Frustration und Abwendung von der Demokratie" forderte Erwin Berger von der Volkshilfe im Namen des Bündnisses die Einrichtung eines Demokratieministeriums. Initiativen zum Schutz der Grundrechte und zur Förderung demokratischer Initiativen sollen dort gebündelt werden und Gesetze und Verordnungen einem systematischen "Demokratiecheck" unterzogen werden. Ein ebenfalls vorgeschlagenes Demokratie-Förderungsgesetz und ein Demokratiefonds sollten Projekte zur Bürgerbeteiligung, Programme gegen digitale Desinformation, Demokratiebildung und andere demokratiebezogene Initiativen fördern und die Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Überhörte Stimmen sichtbar machen
Diakonie-Experte Martin Schenk verwies auf historische Vorbilder eines Demokratiefonds wie etwa den New Deal in den USA, der in der Zwischenkriegszeit mit Förderprogrammen für Künstler und Schriftsteller Stimmen aus der Bevölkerung sichtbar gemacht habe. "Auch Österreich braucht jetzt eine systematische Förderung von Initiativen, die überhörte Stimmen hörbar machen", sagte Schenk, der damit auch auf die weitere Forderung eines "Demokratierates" nach dem Vorbild des Klimarrates verwies. Lebendig sei die Demokratie erst dann, wenn sich Menschen ernst genommen fühlten - "egal, ob man viel oder wenig Geld hat, ob man krank ist, ob man gesund ist, ob man alt ist oder jung, ob man in der Stadt oder auf dem Land wohnt", so Schenk.
Landesweite Bürgerdialoge
Zur Überbrückung der Kluft zwischen Bevölkerung, Politik und Verwaltung schlägt das Bündnis außerdem die Abhaltung landesweiter Bürgerdialoge vor. "Wir müssen Vertrauen wiederherstellen, indem wir den Austausch zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft fördern", erklärte Veronika Schippani-Stockinger als Vertreterin der Katholischen Aktion. Demokratie dürfe sich nicht nur auf den Gang zur Wahlurne alle paar Jahre beschränken, sondern müsse den Alltag der Menschen durchdringen.
Besondere Aufmerksamkeit fordert das "Österreichischen Netzwerk Zivilgesellschaft" für Kinder und Jugendliche. Diese seien nicht nur die Zukunft, sondern bereits Teil der Gegenwart, erklärte Schippani-Stockinger und verwies gegenüber Kathpress auf Partizipations-Projekte der von ihr als Bundesvorsitzenden geleiteten Katholischen Jungschar. Wenn Entscheidungen Kinder betreffen, müssten diese auch einbezogen werden und ausreichend Gehör finden. Die Zeit dränge für ein aktives Eintreten für Demokratie auf allen Ebenen, denn: "Wir sollten nicht so lange zuschauen bis wir dann draufkommen, wir hätten besser mitreden sollen", so die Sprecherin.
Gemeinsame Positionen
Gemeinsame Ziele hat das Netzwerk in einer zehn Punkte umfassenden Erklärung zusammengefasst. Die Positionen reichen von der Sicherung der Grund- und Menschenrechte über den Ausbau des Sozialstaats bis zu Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Geschlechterungerechtigkeit. Weitere Grundsätze betreffen eine gerechte Klimapolitik, die Stärkung unabhängiger Justiz und Medien sowie die Förderung von Chancengleichheit in der Wirtschaft. (Infos: https://www.oenz.at)
Quelle: kathpress