Zulehner: Theologie soll Tools politischer Einmischung entwickeln
Raus aus dem elfenbeinernen Turm, auf zu einer neuen, auch politisch engagierten Weltzugewandtheit: Das hat der Wiener Theologe Paul Zulehner in einem Blog-Eintrag der Pastoraltheologie - und wohl auch der Theologie insgesamt geraten, um in einer zunehmend säkularen Kultur Zukunft zu haben. "Was derzeit, angetrieben durch rechtsextreme politische Populisten im Verein mit religiösen Fundamentalisten, geschieht, hat mit der Vision einer universellen Geschwisterlichkeit, wie 'Fratelli tutti' von Papst Franziskus sie fordert, nicht mehr viel zu tun, wie ja auch die Klimapolitik sich immer weiter von 'Laudato si" entfernt", so Zulehner. Der Praktischen Theologie riet er angesichts des aktuellen gesellschaftspolitischen Klimas, "Tools nachhaltiger politischer Einmischung zu entwickeln".
Der bald 85-jährige Theologe formulierte seine Überlegungen anlässlich des 250-Jahr-Jubiläums der Pastoraltheologie als universitäre Disziplin. Er selbst lehrte von 1984 bis 2009 am weltweit ältesten Lehrstuhl in Wien, der 1774 unter Kaiserin Maria Theresia zur Ausbildung der staatlichen Religionsdiener gegründet worden war. An der Universität Wien wird dieses Jubiläum mit dem Fachsymposium "250 Jahre Pastoraltheologie in Wien. Herkunft - Zukunft - Jetzt" am Montag und Dienstag gefeiert.
"Zu Recht streben moderne Universitäten nach mehr gesellschaftlicher Präsenz", und auch wenn die universitäre Wissenschaft keine politische Partei sei, müsse sie "aber politisch parteilich" sein, schrieb Zulehner in seinem Blog https://zulehner.wordpress.com. Auf Distanz ging er darin zur "rechtsextremlastigen" FPÖ und deren Obmann Herbert Kickl, der im jüngsten Nationalrats-Wahlkampf mit dem Slogan "Euer Wille geschehe" Sprachanleihen beim Vaterunser nahm. "Fehlt nur noch 'Mein Reich komme!'", kritisierte der Theologe den Politiker, der "Volkskanzler" werden will. Religion sei immer schon für politische Zwecke missbraucht worden. Und manche Religionsführer spielten dabei mit, verwies Zulehner auf das Beispiel des Moskauer Patriarchen Kyrill.
Warum nicht Theologen in die Politik?
Hier tue sich ein Feld für die künftige Praktische Theologie auf. Sie solle sich in sozialen Medien politisch einmischen, in Dialog mit Politik treten "und diese selbst praktizieren". Er kenne früher hauptamtlich in einer Kirche tätige Menschen, die sich lokal bis international politisch engagieren. "Warum machen nicht auch manche politisch sensible Pastoraltheologinnen und -theologen einen solchen Turn?", fragte Zulehner. Förderlich dabei könnte sein, dass "mit der Schwächung der Kirchen auch die Zahl der künftigen universitären Arbeitsplätze für PastoraltheologInnen fehlen werden".
Zulehner zitierte den Musiktheaterregisseur Roland Schwab, der über die weltpolitische Stimmung anlässlich einer Operninszenierung in Bayreuth gesagt hatte: "Wir riechen geradezu die Apokalypse." Es brauche eine Theologie des Krieges und eine Theologie der vielen Leiden, die er verursacht, nannte Zulehner eines von mehreren Zukunftsthemen seiner Disziplin. Damit verbunden gelte es das Scheitern der christlichen Friedensbewegung theologisch aufzugreifen mit Leitfragen wie: "Wie kann aus dem Leiden, in dem Gott mitleidet, ... ein gerechter Friede werden?" und: "Wie geht eine Praxis der Versöhnung?"
Auch mit dem Scheitern der Migrationspolitik müsse sich eine zukünftige Pastoraltheologie abmühen, so Zulehner weiter. Sowie mit dem Scheitern der Ökologiebewegung, verursacht durch eine "toxische Mischung eines neoliberalen Kapitalismus und einer diesen stützenden, ungebremsten Konsumwut".
"Theologie der Gottesleere"
Auch eine neue "Theologie der Gottesleere" sei heute angesagt, fügte der Theologe hinzu. "Gott, so sagen viel, sei aus der säkularen Kultur entschwunden. Genau das habe aber, so sagen sensible Säkulare, eine Leere, eine Lücke und eine Ratlosigkeit gerade in Leid und Krisen hinterlassen." Zulehner nannte als Beispiel den australischen Songwriter Nick Cave, der sein tiefes Leid über den Tod zweier Söhne nicht nur musikalisch verarbeitete, sondern auch mit der Einrichtung einer Website. Für den Austausch über unvorstellbare Trauer und sinnlosen Verlust, für tiefe Gespräche über Verletzlichkeit und unvermeidliche Verwüstungen im Leben habe Cave ein Millionenpublikum gefunden, berichtete Zulehner. Eine Pastoraltheologie der Zukunft werde sich gewiss wie bisher um Religionen und Kirchen kümmern. "Aber sie wird noch mehr eine Theologie der Säkularität, eine Theologie des Atheismus, entwickeln und von den Erfahrungen derer lernen, die an der Gotteslücke leiden", so Zulehner.
Das Evangelium werde - wie der Theologe erklärte - zunächst nicht durch universitäre Wissenschaft am Leben erhalten, "sondern allein durch Nachfolgende, darunter vorab junge Follower". Eine so gedachte, "Reich-Gottes-förmige" Kirche werde künftig in der Theologie eine neue Würdigung und Förderung erfahren, prognostizierte Zulehner. Er sieht die Aufgabe von Theologietreibenden auch darin, "mit ihrem Können dazu beizutragen, dass die Kirche an alten und neuen Orten lebendig und handlungsfähig bleibt".
Solche und weitere Zukunftsherausforderungen könne die Pastoraltheologie nur leisten, "wenn sie sich selbst liquidiert". Gemeint ist damit für Zulehner nicht ein Abschaffen, sondern ein "Verflüssigen". Das ermögliche es der Pastoraltheologie, in die Wissenschaften von Mensch und Gesellschaft "einzusickern", diese mit ihren Anliegen und Positionen zu inspirieren wie auch sich selbst anregen zu lassen.
Link: https://zulehner.wordpress.com/2024/09/20/zur-zukunft-der-pastoraltheologie
Quelle: Kathpress