Religionsvertreter: Religionsunterricht trägt zur Demokratisierung bei
Ein gemeinsames Bekenntnis dafür, dass der schulische Religionsunterricht zur Bildung von Demokratie beiträgt, haben Vertreter von neun Kirche und Religionsgemeinschaften am Montagnachmittag bei einer gemeinsamen Enquete im Wiener Rathaus abgelegt. Auch wenn Religionen selbst vielfach nicht demokratisch verfasst sind, sorgen sie für die Wahrung von Werten und Grundhaltungen, die für das Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft unerlässlich sind - zumindest unter bestimmten Voraussetzungen, erklärten über 100 Beteiligte aus Bildungspolitik, Schulämtern, Elternvereinen, Schüler- und Lehrerschaft sowie Glaubensgemeinschaften.
Bei der Enquete unter dem Motto "Gemeinsam.Zukunft.Bilden" vertreten waren von Seite der Kirchen die Katholische Kirche, die Evangelische Kirche, die Orthodoxe Kirche, die Freikirchen und die Altkatholische. Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft, die Israelitische Kultusgemeinde, die Alevitische Glaubensgemeinschaft und die Buddhistische Religionsgesellschaft waren vertreten.
Orientierung und Verantwortung
Religionsunterricht kann Heranwachsenden vor allem Orientierung für gutes Leben geben wie auch zur Übernahme von Verantwortung für sich, andere und die "Mitwelt" anregen, sagte die Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Prof. Andrea Lehner-Hartmann, in einem der Impulsvorträge. Chance und Anspruch bestünden darin, "Humanität zu befördern" - wobei es auch kritische Selbstreflexion brauche, zumal es auch religiös begründete antidemokratische Entwicklungen gegeben habe und gebe.
Als Teil menschlicher Lebensentwürfe müsse Religion auch in demokratische Prozesse inkludiert werden, so Lehner-Hartmann weiter, wie in die Bildung. Diese solle das Beurteilen lehren, ob religiöse Traditionen und Praktiken die Realität des Menschen ernst nähmen oder aber ideologisch missbraucht würden, um den Menschen für andere Zwecke einzuspannen. Weiters vermittle religiöse Bildung idealerweise auch die Analyse und Kritik negativer Entwicklungen in der Gesellschaft. Bezugspunkte dazu lieferten religiöse Quellen, stünden diese doch im Gegensatz zu einer einseitigen Ausrichtung auf Effizienz und Fortschritt und lieferten eine Anerkennung des Menschen vor jeder Leistung.
Mündigkeit und "Antwortversuche"
Angesichts der großen religiösen und weltanschaulichen Pluralität müsse der Religionsunterricht dazu beitragen, Schülerinnen und Schüler religiös mündig zu machen und Orientierung für ein Zusammenleben in Frieden und Verantwortung zu geben.
Ein fixes Gedankengebäude zur eigenen Religion werde dabei nicht vermittelt, sondern "Antwortversuche" auf zentrale religiöse Fragen wie "woher kommen wir, wohin gehen wir, welchen Sinn hat das Leben?", so Lehner-Hartmann. Da der moderne Mensch gezwungen sei, seinen Glauben selbst zu wählen, sollten dadurch "Wege und Kriterien sichtbar werden, wie ein eigener Glaube gefunden werden kann". Dabei lasse ein guter Unterricht offen, ob die Schüler ihre Antworten in einer bestimmten Religion fänden - "oder einen individuellen Lebensglauben ausbilden".
Verschiedene Perspektiven einnehmen
Religiöse Mündigkeit ist in pluralistischen Gesellschaften auch aus islamischer Sicht ein Ziel des Religionsunterrichts, verdeutlichte der islamische Theologe Prof. Zekirija Sejdini. Das Einüben einer kritischen Reflexion des eigenen Glaubens sowie der Respekt vor unterschiedlichen Perspektiven lasse besser mit Vielfalt im Glauben und in der Weltanschauung umgehen. Das Schaffen von Verständnis für unterschiedliche religiöse Perspektiven könne soziale Spannungen und Missverständnisse vermeiden, so der Professor am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik der Universität Innsbruck.
Demokratiefördernd seien Religionen auch, sofern sie Respekt und Anerkennung fördern und Vielfalt als Teil der Schöpfung und Ausdruck des göttlichen Willens sehen, betonte Seijdini. Sie kultivierten Respekt, Gerechtigkeit, Solidarität und andere Grundwerte, "die Demokratie alleine nicht hervorbringen kann", ohne dabei jedoch die einzige Quelle dafür zu sein.
Alles kann anders kommen
Auch für die Entwicklung einer sogenannten "Kontingenzsensibilität" sah der Religionspädagoge den Religionsunterricht gefragt: Zunehmend sei heute ein Verständnis nötig, "dass vieles auch anders sein könnte, als es gegenwärtig ist" - im Glauben wie auch in anderen Lebensbereichen. Wer diese Perspektive einnehme, könne Unsicherheit als Bereicherung verstehen, sich für Neues öffnen und bewusst werden, "dass die Wahrheit eine ewige Sehnsucht bleibt, die von einer einzelnen Religion oder einem einzelnen Menschen niemals vollständig erfasst werden kann".
Religion aus dem Bildungsprozess auszuklammern, birgt in den Augen des muslimischen Experten hingegen Gefahren: Fehle fundiertes Wissen und kritisches Urteilsvermögen, könnten religiöse Konzepte leicht missverstanden oder missbraucht werden.
Vielfalt als Chance und Gefahr
Dankbar darüber, "wie gut der interreligiöse Dialog in Wien funktioniert", äußerte sich Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS), der den Anwesenden für deren Beiträge dazu dankte. In der großen Vielfalt in der Gesellschaft liege nicht nur eine Chance, sondern es gebe auch Gefahren wie etwa die der Entfremdung, angesichts derer dem Religionsunterricht wichtige Aufgaben zukomme. Wiederkehr nannte als Beispiele die Weitergabe von Werten an die nächste Generation, "da die liberale Gesellschaft auf Werten wie Respekt und Anerkennung basiert".
Quelle: kathpress