Linz: "Dies Academicus" unterstreicht Relevanz von Baukultur
Rein individuell gedachte Raumaneignungen sollten "auf zukunftsfähige kollektive Aneignungsprozesse hin" geöffnet werden. Das sei ein wesentlicher Beitrag, "der Gerechtigkeit Raum (zu) geben", wie der deutsche Theologe Martin Schneider seinen Vortrag beim "Dies Academicus" am Donnerstag an der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz betitelte. Für den Professor an der School of Transformation and Sustainability der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ist es entscheidend für die gerechte und nachhaltige Gestaltung sozialer Räume, dass sich Bürger als kollektive Eigentümer "eigeninitiativ für ihr Recht auf gemeinsame Räume engagieren". Schneider plädierte für ein Eigentumsverständnis, "bei dem nicht das solitäre, sondern das relationale Ich im Mittelpunkt" stehe.
Baukultur als Thema des öffentlichen Interesses stand im Mittelpunkt des diesjährigen "Dies Academicus" mit dem Titel "Res Publica Baukultur". Fachleute aus Wissenschaft, Architektur, Kirche und Gesellschaft kamen bei dieser Veranstaltung zu Wort, zu der die KU Linz in Kooperation mit der Kammer der Ziviltechniker, Architekten und Ingenieurkonsulenten für Oberösterreich und Salzburg eingeladen hatte. Im Zusammenhang mit der oberösterreichischen interuniversitären "Plattform Baukultur" wurden Fragen diskutiert, "die uns alle angehen: nach dem Menschsein, der Gestaltung sozialer Gefüge und nach unserem Umgang mit Welt und Umwelt", wie es in einer Aussendung der KU Linz am Freitag hieß.
Baukultur meine nicht nur "gebaute Objekte", sondern immer auch dynamische Prozesse und erfordere ein hohes Maß an Kommunikation, Diskussion und Vermittlung, betonte Veronika Müller, Assistenz-Professorin am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur der KU Linz und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schwerpunkt Baukultur & baukulturelles Erbe. In diesem Sinne sei auch der "Dies Academicus" selbst ein Diskussionsbeitrag zu Kontexten und Aufgaben von Baukultur ebenso wie zur Frage nach Umsetzbarkeiten und Möglichkeiten.
Ganz in die Praxis und zu konkreten Beispielen führte der Vortrag von Bettina Götz, freischaffende Architektin und Professorin an der Universität der Künste Berlin. Als "Anwält:innen der Öffentlichkeit", nicht als "bloße Dienstleister" wollte sie Architektinnen und Architekten verstanden wissen. Deren vorrangige Aufgabe sei es, öffentliche Räume bzw. "Räume der Offenheit" zu gestalten. Wie dies umzusetzen ist und man etwa durch die Schaffung von Gemeinschaftsbereichen der heute üblich gewordenen Verdichtung und Beengung entgegenwirken könne, zeigte Götz u. a. anhand eines Innsbrucker Wohnheimprojekts und einer Quartierentwicklung im dritten Wiener Bezirk.
In der abschließenden Podiumsdiskussion betonte Franz Flotzinger, Geschäftsführer des Oberösterreichischen Gemeindebundes, die Notwendigkeit baukultureller Kompetenz bei Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung, erinnerte aber auch an durch beschränkte personelle Ressourcen, rechtliche Rahmungen und knappe finanzielle Mittel eingeengte Spielräume. Michaela Haunold, Leiterin der Sozialberatungsstellen der Caritas Linz, lenkte die Aufmerksamkeit auf marginalisierte Gruppen, die in solchen Entscheidungsprozessen kaum Gehör finden: Menschen in Armut bzw. armutsgefährdete Menschen, wohnungslose und obdachlose Menschen. Architektin Daniela Allmeier schließlich, die mit dem Ingenieurbüro "Raumposition" auf Stadt- und Raumentwicklungsprozesse spezialisiert ist, ließ mit der paradoxen Formulierung aufhorchen, dass zu Baukultur auch das Nicht-Bauen gehöre. Immer miteinbezogen werden müsse der Wert von nicht-verbauten Räumen, von Leer- und Freiräumen, von Naturflächen. Nur ein Diskurs, der sich Konflikten stellt und diese auch konstruktiv austrägt, sei Zeichen einer gelebten Baukultur.
Quelle: kathpress