1.700 Jahre Konzil von Nicäa: Theologie muss "Fährmannsdienst" leisten
Will man heute die Aktualität des Konzils von Nicäa (325) ermessen, so bedarf es des theologischen "Fährmannsdienstes der Übersetzung": Darauf hat der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück zum Auftakt eines Symposions hingewiesen, das derzeit an der Universität Wien unter dem Titel "Streitfall Nicäa" stattfindet und dem 1.700-Jahr-Jubiläum des ersten Ökumenischen Konzils der Kirchengeschichte gewidmet ist.
Das Konzil und sein nizänisch-konstantinopolitanische Bekenntnis sei von höchster ökumenischer Relevanz, werde es doch bis heute als einziges von der römisch-katholischen, der evangelischen und der orthodoxen Christenheit geteilt, so Tück. Und doch lägen 1.700 Jahre zwischen dem Konzil und der Gegenwart - eine Zeitspanne, die man nicht einfach so überspringen könne, führte Tück weiters aus. "Das Bekenntnis stammt aus der Spätantike, seine Sprache ist vielen fremd geworden, und diese hermeneutische Fremdheit sollte nicht einfach übersprungen werden. Es bedarf des Fährmannsdienstes der Übersetzung."
Markschies: In Nicäa Einheit in Vielfalt erkennen
Eine Rekonstruktion dieses "Streitfalls" aus kirchengeschichtlicher Sicht bot der evangelische Theologe, Professor für Antikes Christentum und Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Christoph Markschies, in seinem Festvortrag am Dienstagabend (5. November). Wolle man Nicäa in seiner Bedeutung ermessen, sollte man sich von gewohnten Kategorien theologiegeschichtlicher Zuschreibungen und Urteile möglichst frei machen und sie gleichsam zu "verlernen", so Markschies.
Erst wenn man sich etwa von einer allzu starren Fokussierung auf den trinitätstheologischen Streit ("Arianischer Streit") löse, könne der Blick auch auf andere wichtige Themen des Konzils wie die Frage eines einheitlichen Ostertermins oder auch die Frage einer das Konzil vorbereitenden theologischen Debatte über eine Standardisierung der Lehre ("Pre-Nicene Orthodoxy") frei werden: "Normalerweise wird das erste Reichskonzil als ein Schritt auf dem Wege zur endgültigen Fixierung eines einheitlichen Ostertermins in ein entsprechendes Narrativ eingefügt; vielleicht sollten wir auch diese klassische Optik verlernen und umgekehrt sehr viel stärker den Konsens auf dem ersten Reichskonzil im Rahmen der sonstigen kalenderbezogenen Aktivitäten des vierten Jahrhunderts kontextualisieren".
Begrüßenswert und gleichsam ein Zeichen für die lebenspraktische Relevanz des Themas, das bereits Nicäa bewegt hatte, seien in dem Kontext die aktuellen Versuche vom Ökumenischen Rat der Kirchen, des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaiois I., des Vatikans und anderer, sich auf einen gemeinsamen Ostertermin zu verständigen.
Markschies machte in seinem Vortrag zwei widerstreitende Deuteperspektiven aus, die es zu überwinden gelte: Die eine gehe davon aus, dass mit Nicäa eine bestimmte Phase in der Kirchengeschichte zu einem Ende komme; die zweite Perspektive sieht Nicäa als Moment einer längeren Entwicklung. Tatsächlich gebe es Belege für beide Lesarten - er persönlich favorisiere indes eine vermittelnde Lesart, die in Betracht zieht, dass es "schon vor dem Konzil eine Bemühung gab, neben einer legitimen Vielfalt von Positionen bestimmte einheitliche Standards von Lehre und Lebensordnung festzuhalten" und diese philosophisch zu grundieren.
Eine solche Sicht auf Nicäa würde außerdem der "Pluralität der Christentümer" entsprechen, die bereits im biblischen Zeugnis grundgelegt sei, führte Markschies aus. Dabei müsse gleichwohl immer wieder daran erinnert werden, dass eine "legitime Pluralität" und Vielfalt zugleich "auf eine letztliche Einheit" bezogen bleibe - folglich immer wieder "nach Konsens in der Vielfalt der Interpretationen gesucht" werden müsse. Dies entspreche schließlich auch dem protestantischen Prinzip der Einheit in Vielfalt.
Sechs Perspektiven
Das Symposion gliederte sich insgesamt in sechs "Perspektiven" auf Nicäa: Eine "Patristische Perspektive", bei der u.a. die evangelische Mit-Initiatorin, Prof. Uta Heil, der Frankfurter Althistoriker Harmut Leppin, der Freiburger Kirchenhistoriker Thomas Böhm sowie der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Drecoll über die theologischen und historischen Hintergründe des Konzils wie etwa den Arianischen Streit referierten. Darauf folgte am 5. November ein Teil zur Rezeption des Konzils in der Spätantike mit Vorträgen u.a. des Wiener Liturgiewissenschaftlers Hans-Jürgen Feulner. Der Debatte um das Verhältnis von "Judaisierung vs. Hellenisierung des Glaubens" widmeten sich Vorträge des Tübinger Judaisten Matthias Morgenstern sowie des Wiener Theologen Christian Danz und des Freiburger Dogmatikers Helmut Hoping.
Der Rezeption des Konzils in den unterschiedlichen christlichen Konfessionen widmeten sich schließlich Vorträge u.a. des orthodoxen Wiener Theologen Ioan Moga sowie des Wiener Kirchenhistorikers Thomas Prügl. Am letzten Tag des Symposions (6. November) stehen schließlich kunsthistorische und musikalische sowie systematisch-theologische Perspektiven auf dem Programm - u.a. mit Vorträgen der Wiener Theologin Dorothee Bauer, dem Innsbrucker Theologen Johannes Hoff sowie von Jan-Heiner Tück.
Quelle: kathpress