Bischof Scheuer: "Demokratie ist kein Fertigprodukt"
"Das Leben ist ein Weg, der Glaube ist ein Prozess, die Demokratie kein Fertigprodukt, die Wissenschaft eine Methode": Mit diesen Worten hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer im Wiener Stephansdom zur Förderung von gesellschaftlichem Zusammenhalt und einem lebendigen Demokratieverständnis aufgerufen. Zum Nationalfeiertag warnte der stellvertretende Vorsitzende der Bischofskonferenz in seiner Predigt zur "Österreich-Feier" vor Nationalismus und ideologischen Gegensätzen. Es gelte, das nationale Erbe mit Bedacht zu bewahren und gleichzeitig gegen Intoleranz und Ungerechtigkeit einzutreten. "Die Nation bleibt ein Garant für Recht und Gerechtigkeit", so Scheuer, und fügte hinzu: "Wir brauchen den Solidaritätsmotor Nation, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken."
Eine lebendige Demokratie sei weder fertig noch ein Ideal, meinte der Linzer Diözesanbischof. Zur Freiheit und Selbstbestimmung gehörten Verantwortung, Empathie und Mut zur Vernunft genauso wie "das Wissen um die eigenen Grenzen und auch die Fähigkeit, damit zu rechnen, einmal falsch zu liegen".
Gegen die zunehmende Erosion demokratischer Werte und der Europäischen Union unter dem Vorzeichen des Nationalismus rief der Bischof zu Wachsamkeit auf: "Die Legitimität der liberalen Demokratie wird da und dort gezielt untergraben", warnte Scheuer. Auch dürfe man die nationale Identität nicht als "vergangen und erledigt" betrachten, da dies unweigerlich zu einem Verlust an Kultur, Geschichte und Gedächtnis führe. "Was ist mit der Gedenkkultur, was mit dem Erinnern an Orte wie Mauthausen und Gusen?", fragte Scheuer in Anspielung auf die historische Verantwortung anlässlich der "Österreich-Feier" zum Nationalfeiertag im Stephansdom.
Auch gesellschaftlicher Zusammenhalt und ein lebendiges Demokratieverständnis seien in Anbetracht der Krisen, Zuspitzungen und Debatten keine Selbstverständlichkeit, so der Bischof.
Politik mehr als Machtstreben
In seiner Predigt verwies Scheuer auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft: "Politik ist nicht bloß das Streben nach Machtanteilen. Es geht um den Dienst am Gemeinwohl", sagte er und plädierte für eine Demokratie, die "keine fertige Lösung" sei, sondern als Prozess immer wieder Verantwortung und Mut erfordere.
In Bezug auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft, darunter ökologische und soziale Krisen, rief Scheuer zur Bewahrung einer lebendigen Demokratie auf. Demokratie sei ein Prozess, der Verantwortungsbewusstsein und Empathie erfordert. "Wir könnten auf die Krisen fixiert sein, an den Katastrophen kleben. Dann aber hätten wir keine Energie mehr für eine Veränderung", so der Bischof, der auch vor einer "bloßen Empörung" angesichts von Problemen warnte. Letztere schaffe kein Vertrauen, und "ein eingeengter Blickwinkel führt zu einem Tunnelblick".
Dialog schützt vor "unterschiedsloser Liberalität"
Eine Warnung sprach der Bischof in Anbetracht einer "unterschiedslosen Liberalität" aus, die in Kälte und Gleichgültigkeit münden könne. "Wer aber an dieser unterschiedslosen Liberalität, an dieser schlechten Gleichheit Anstoß nimmt, gilt als intolerant. Eine solche Liberalität, die unterschiedslos den Menschen gleiches Recht widerfahren lässt, eine unterschiedslose Güte gegen alles, schlägt letztlich um in Kälte und Rohheit gegen jedes", so Scheuer wörtlich. Der Bischof ermutigte die Gläubigen, sich als "Pilger zwischen den Lebenswelten" zu sehen und den Dialog mit unterschiedlichsten Gruppen zu suchen - sei es mit Pflegebedürftigen, Flüchtlingen oder in der Wissenschaft.
Scheuer ermutigte die Gläubigen abschließend, "wie ein Bäumchen der Hoffnung" in die Gesellschaft hineinzuwachsen, um damit in einer Zeit vielfältiger Krisen zur Stärkung von Frieden und Zusammenhalt beizutragen. "Vertrauen, Anerkennung des Rechts und Freundschaft sind Nahrung für die Demokratie - und ohne sie wäre unser Zusammenleben gespenstisch", so der Bischof.
Tradition
Die musikalische Gestaltung des Gottesdienstes, der mit der "Missa solemnis" von Anton Bruckner, Bläsermusik und einer Lichterprozession gefeiert wurde, ehrte Österreichs kulturelles Erbe. Zum Abschluss erklangen das "Te Deum", die Bundeshymne und die Pummerin - die größte Glocke Österreichs und Oberösterreichs symbolischer Beitrag zum Wiederaufbau des Stephansdoms nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Wiener Stephansdom gilt, durch den nachkriegsbedingten Wiederaufbau, als Nationalkirche. Erheblichen Anteil an dem Wiederaufbau nach der Zerstörung des Jahres 1945 hatten die einzelnen Bundesländer, von denen in den Folgejahren jedes für sich einen Beitrag geleistet hat.
Der mit der feierlichen Wiedereröffnung von 1952 begonnenen Tradition folgend, wird jedes Jahr einer der österreichischen Diözesanbischöfe zur Feier eingeladen. Nach der Steiermark, Niederösterreich, dem Burgenland, Kärnten und Wien in den vergangenen Jahren ist in diesem Jahr Oberösterreich in St. Stephan präsent. Der Feier 2024 stand daher der Linzer Bischof Manfred Scheuer vor.
Quelle: kathpress