Katholische Kirche widmet sich Formen "spiritueller Gewalt"
"Spirituelle Gewalt" ist ein oft übersehenes Problem im kirchlichen Kontext: Obwohl sie in der "Rahmenordnung" der katholischen Kirche in Österreich zum Umgang mit Missbrauch und Gewalt erwähnt wird, blieb eine umfassende Untersuchung bislang aus. Eine Fachtagung am Donnerstag im Salzburger Kolpinghaus stellte dieses Thema in den Fokus. Teilnehmende waren u.a. der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, der Salzburger Weihbischof Hansjörg Hofer, Generalvikare, Regenten von Priesterseminaren sowie zahlreiche Fachleute, die sich intensiv mit Missbrauchsfällen und Präventionsarbeit befassen. "Nicht alles, was fromm klingt, ist christlich, nicht jede Spiritualität ist heilsam", warnte der Innsbrucker Pastoraltheologe Johannes Panhofer laut einem Bericht der Erzdiözese Salzburg.
In seinen Begrüßungsworten skizzierte Weihbischof Hofer das Tagungsthema "Spirituelle Gewalt" mit Begriffen wie Machtmissbrauch, Kritikverbot und zunehmender Abhängigkeit. Seelsorge, die den Menschen in Kontakt mit Gott bringen möchte, erfordere die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz, unterstrich Hofer.
Ergänzungsbedarf der "Rahmenordnung"
In Beiträgen von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachbereiche wurde die Frage beleuchtet, wie eine gelungene, professionelle Seelsorge aussehen kann, "die auch in geistlicher Hinsicht nicht verletzt und vor Verletzungen aktiv schützt", wie es in der Aussendung heißt. Die 2021 in dritter Auflage von Bischofskonferenz und Ordensgemeinschaften beschlossene "Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich - Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt" anerkennt, dass "Spirituelle Gewalt" bzw. "Geistlicher Missbrauch" zwar kein neues Phänomen, "aber dennoch nicht ausreichend wissenschaftlich erfasst und bearbeitet" sei. So gebe es z. B. keine zufriedenstellende Definition oder klare Abgrenzung zu anderen Gewalt- und Missbrauchsformen. "Bei Vorliegen neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse werden diese bei zukünftigen Auflagen der Rahmenordnung Berücksichtigung finden", hatten die Bischöfe und Ordensverantwortlichen damals angekündigt.
Die Fachleute bei der Salzburger Tagung forderten eine genauere Auseinandersetzung mit dem Thema. Es gebe "Handlungsbedarf für das Verfassen von Definitionen und Kriterien, für Sensibilisierung, für die Verankerung im Kirchenrecht und als fixen Bestandteil in Ausbildungen sowie für die Umsetzung im Alltag", so der Tenor unter den Teilnehmenden aus Wissenschaft und Gewaltschutzorganisationen, wie den Stabsstellen Prävention, Ombudsstellen oder Diözesankommissionen.
"Asymmetrische Beziehungen"
Judith Könemann, Professorin am Institut für Religionspädagogik und Pastoraltheologie an der Universität Münster, plädierte dafür, das Phänomen der spirituellen Gewalt als eine eigene Form der Gewalt zu benennen. "Missbrauch ist immer eine Form von Gewalt, findet in Vertrauensbeziehungen statt und ist immer mit Machtausübung verbunden. Das Setting ist immer durch eine asymmetrische und damit bereits in sich machtförmige Beziehungskonstellation bestimmt."
Geistliche Gewalt kann laut Könemann etwa "zunehmend zum Verlust des eigenen Selbstgefühls, Selbstwerts und des Vertrauens in die eigene Wahrnehmung" führen und in weiterer Folge "zum Verzicht auf eigenes Denken und Fühlen". Geistliche Gewalt weise zudem Parallelen zur psychischen Gewalt auf hinzu komme die Dimension der Transzendenz und die Legitimation durch "im Namen Gottes" und "im Namen der Kirche".
Den Kopf nicht ausschalten
Für Prof. Bernd Hillebrand, Pastoraltheologe und -psychologe an Uni Graz, "sind es manchmal schon die kleinen und alltäglichen Routinen von kirchlicher Spiritualität, die als alternativloser Vollzug Zwang und Gewalt verursachen". Er plädierte dafür, Alternativen für bestehende Rituale und Spiritualitätsformen zu suchen sowie in reflektierter Weise den eigenen Gefühlen zu trauen und "den Kopf nicht auszuschalten". Sich "erwählt" zu fühlen und ein entsprechendes Berufungserlebnis zu haben, könne unter Druck setzen - sowohl die Betreffenden selbst oder andere, mit denen sie in Verbindung stehen, wies Hillebrand hin. Dadurch entstünden "Asymmetrien in den Beziehungen", die verbunden mit Autoritätssystemen leicht zu spiritueller Gewalt führen können.
Der Salzburger Generalvikar Harald Mattel beleuchtete auf der Tagung unter dem Titel "Erstbeichte & Erstkommunion" mit spiritueller Gewalt im Kontext der Kinder- und Jugendpastoral. Eine moderne Sakramentenkatechese müsse kindgerecht die geistliche Selbstbestimmung fördern und jede Art von Zwang ausschließen.
Die alle zwei Jahre stattfindende Fachtagung wurde veranstaltet von den Diözesanen Stabsstellen für Prävention von Missbrauch und Gewalt im Auftrag der Generalvikare Österreichs. (Infos: www.ombudsstellen.at)
Quelle: kathpress