Caritas zeigt "Ungerechtigkeiten des Pflege-Fleckerlteppichs" auf
Wer auch immer Österreich in den kommenden Jahren regieren wird, klar ist für die Caritas jedenfalls, "dass die Reform der Pflegelandschaft ein ganz zentrales Kapitel im nächsten Koalitionsübereinkommen darstellen wird müssen". Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler betonte am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in einem Wiener Pflegewohnhaus: "Unsere Hand ist ausgestreckt und wir sind bereit, hier unsere Expertise aus der Praxis einzubringen." Klaus Schwertner, Caritasdirektor der Erzdiözese Wien, attestierte der aktuellen Türkis-Grün-Koalition "hier wirklich herzeigbare Schritte", aber: "der große Wurf steht noch aus". Es gebe "Ungerechtigkeiten des Pflege-Fleckerlteppichs" in Österreich, die es zu beseitigen gelte.
Argumente liefert der Caritas die Ökonomin Ulrike Famira-Mühlberger vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO. Sie visualisierte im Auftrag der Caritas die fragmentierte österreichische Pflege- und Betreuungslandschaft. Untersucht hatte das WIFO für das nun vorliegende 20-Seiten-Dokument die "zum Teil gravierenden Unterschiede" zwischen den Bundesländern und auch, wie Österreich im internationalen Vergleich aufgestellt ist, wenn es um die Pflegeversorgung geht.
So hat sich laut Famira-Mühlberger gezeigt: Vom Fachkräftemangel werden in den kommenden Jahren nicht alle Bundesländer in gleicher Weise betroffen sein. In Österreich sei Art und Umfang des geförderten Pflegeangebots ebenso unterschiedlich wie Tarifen und individuelle bzw. familiäre finanzielle Belastung. "Ebenso sind erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Auslastung und des Betreuungsverhältnisses, also des Personalschlüssels, bekannt", fasste die WIFO-Expertin zusammen.
"Wir benötigen eine tiefgreifende Systemreform in der Pflege und wir brauchen diese Reform rasch", betonte Schwertner. Er verwies auf jüngste Personalbedarfsprognosen, wonach sich die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen in Österreich bis 2050 mehr als verdoppeln und der Bedarf an Pflegekräften "dramatisch" steigen werde. Allein bis zum Jahr 2030 würden in ganz Österreich knapp 50.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt, u.a. auch deswegen, weil pflegende Angehörige - die aktuell den Großteil der Pflege und Betreuung übernehmen - dazu immer seltener in der Lage seien. Tödtling-Musenbichler und Schwertner unisono: "Wenn wir jetzt nicht handeln, droht die Pflege selbst zum Pflegefall zu werden."
Konkrete Reformvorschläge
Konkret fordert die Caritas Reformen in vier zentralen Bereichen: Der "Fleckerlteppich" in der Pflege müsse aufgegeben werden; das Pflegegeldsystem müsse überdacht werden; es brauche ein "Zukunftspaket" für Pflegekräfte und eine zeitgemäße Pflege benötige Digitalisierung und Planung.
Tödtling-Musenbichler forderte, dass alle in Österreich die Pflege erhalten müssen, die sie oder er benötigt - unabhängig von Wohnort oder Einkommen. "Der aktuelle Pflege-Fleckerlteppich hat eine Wohnort-Lotterie zur Folge: Ob und wie die Menschen versorgt werden, hängt davon ab, wo sie wohnen", beklagte die Caritas-Präsidentin. Sie trat für "einheitliche Versorgungs-, Qualitäts- und Finanzierungsstandards vom Boden- bis zum Neusiedlersee und eine langfristig gesicherte Finanzierung der Pflege" ein.
Beim Pflegegeld möchte die Caritas auf Prävention und soziale Teilhabe statt auf "Defizitorientierung" setzen. Gesundheit und Selbstständigkeit länger zu erhalten und Abhängigkeit hinauszuzögern "hilft den Menschen und spart langfristig Kosten", unterstrich Tödtling-Musenbichler. Anstatt zu warten, bis pflegebedürftige Menschen Fähigkeiten verlieren, die dann mit Pflegegeld ausgeglichen werden, müsse das Pflegegeldsystem der Zukunft präventiv ansetzen und soziale Bedürfnisse berücksichtigen.
Für die benötigten zusätzlichen Pflegekräfte forderte Schwertner ein umfassendes Personalpaket, "das bessere Arbeitsbedingungen, eine weitere Stärkung des Ausbildungsbereichs, Verbesserungen beim Gehalt und mehr Dienstplansicherheit sicherstellt". Vor allem werde es nötig sein, die mobile Pflege zu attraktivieren und auch die Gehaltslücke, die zur stationären Pflege besteht, zu schließen.
Als nicht zeitgemäß erachtet der Wiener Caritas-Direktor, dass die Finanzierung der Pflege heute vom Finanzausgleich und von jährlichen Tarifverhandlungen abhänge, die noch dazu in neun Bundesländern unterschiedlich ausfallen. Schwertner: "Die Pflege benötigt eine langfristige und sichere Finanzierung über den Finanzausgleich hinaus und die Schaffung eines Pflege-Digitalisierungsfonds." Gerade bei Dokumentationspflichten oder Dienstplanerstellung könnten Pflegekräfte durch Digitalisierung und KI nachhaltig entlastet werden.
51 Caritas-Pflegewohnhäuser in Österreich
Die Caritas führt in Österreich 51 Pflegewohnhäuser und ist laut eigener Aussage mit 2,5 Millionen mobilen Einsatzstunden eine der größten Organisationen im Bereich Pflege und Betreuung in Österreich. Rund 6.300 Mitarbeitende pflegen und betreuen knapp 38.000 Kundinnen und Kunden in der Pflege. Daneben ist die Caritas in mehreren Bundesländern auch in der Hospizarbeit im Einsatz. Ferner unterstützt die Caritas pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen mit zahlreichen Beratungsstellen und kostenlosen Unterstützungsangeboten.
(Link zur WIFO-Studie: www.wifo.ac.at/publication/pid/54845471)
Quelle: kathpress