Ethiker Palaver: "Es gibt auch toxische Formen eines faulen Friedens"
Wenn man pauschal sage, Friede ist das Wichtigste, dann sei das falsch, so der Sozialethiker, Theologe und Präsident von "Pax Christi Österreich", Prof. Wolfgang Palaver, im Interview in den "Salzburger Nachrichten" (Freitag). "Es gibt ganz toxische Formen eines faulen Friedens. Die Herrschenden wollen ja Frieden", so Palaver wörtlich. Die meisten historischen Beispiele von Friedenskämpfern - ob Mandela oder Gandhi - seien als "Friedensstörer" ins Gefängnis gekommen. "Die Herrschenden wollen keine Leute, die soziale Gerechtigkeit oder das Ende von Diskriminierung einfordern. Sie wollen keine Unruhe." Palaver: "Frieden ist nur erstrebenswert, wenn es ein gerechter Friede ist. Manche Kreise, die ganz stark den Frieden betonen, vergessen das."
Wichtig sei, "dass man in Zeiten des Krieges oder der Düsternis nicht vergisst, dass Frieden langfristig vorbereitet werden muss". In Krisenzeiten rüste man auf, anstatt zu überlegen, wo sich Voraussetzungen für Frieden schaffen lassen. Dabei gebe es genügend Beispiele in der jüngeren Geschichte, dass gewaltfreie Konfliktlösungen erfolgreicher und nachhaltiger sind.
Das Beispiel, das ihn fasziniere, sei der gewaltfreie Widerstand, als man die Diktatur von Ferdinand Marcos auf den Philippinen stürzte. Zwei Österreicher, Hildegard Goss-Mayr und Jean Goss, seien monatelang vorher in Vorbereitungen und Trainings involviert gewesen. Palaver: "Da ist es gelungen, eine so große Volksbewegung auf die Füße zu stellen, dass schließlich das Militär, das der Diktator gegen das Volk einsetzen wollte, auf die Seite der gewaltfreien Revolution gewechselt ist." Ein zweites Beispiel sei die Samtene Revolution, die zum Ende des Kalten Krieges geführt hat.
Dass man mit Gewalt meist keine Konflikte lösen kann, zeigten hingegen unzählige Beispiele: "Denken wir an Irak, an Syrien. Denken wir an Afghanistan: 20 Jahre waren die Amerikaner dort. Wenn man da eine ehrliche Bilanz zieht, hat sich die Frage, durch Waffengewalt Konflikte zu lösen, erledigt." Das schlagende Gegenbeispiel sei freilich der Kampf der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland. "Das ist damals wohl nur mit Gewalt zu beenden gewesen", räumte der Theologe ein.
Palaver betonte, dass er sich nicht als "Pazifist" verstehe, er wolle auch den Begriff "Pazifismus" nicht verwenden. "Ich selber und auch die katholische Friedensethik sprechen eher von Gewaltfreiheit." Man müsse auch mit einem Missverständnis der gewaltfreien Tradition aufräumen. Gewaltfreiheit brauche eine lange Vorbereitung. "Eine Gesellschaft muss sehr gut vorbereitet sein, um durch Nichtkooperation eine Okkupation unmöglich zu machen", so Palaver: "Ob Demokratie oder Frieden - das muss täglich gestärkt werden. Und man muss auch den Preis dazu benennen. Das kostet Einsatz. Das muss man einüben. Wenn man ein Land erobert, braucht man ja Leute, die mitspielen. Wenn alle Leute sagen, wir spielen nicht mit, dann kannst du das Land nicht erobern. Aber das muss vorbereitet werden."
Im Blick auf die Ukraine sagte der Sozialethiker: "Ich bin nicht gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Menschen in der Ukraine müssen selbst entscheiden können, was sie unternehmen wollen." Zwei Aussagen von Gandhi hätten ihm sehr geholfen, die sich auf die Ukraine anwenden lassen. So habe Gandhi immer wieder betont, dass es Grade der Gewaltfreiheit und Grade der Gewalt gibt. "Gandhi war kein absolutistischer Pazifist. Er war jemand, der den Vorrang der Gewaltfreiheit als Lebensprinzip gesehen hat. Aber er war pragmatisch."
Weiters habe Gandhi gesagt: "Auch der gewaltfreie Kämpfer muss einen Unterschied machen zwischen der Gewalt der Verteidiger und der Gewalt des Aggressors." Diesen moralischen Unterschied müsse man festhalten, betonte Palaver. Es habe Friedensgruppen gegeben, die nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges denselben Brief an die russische und die ukrainische Botschaft geschickt hätten mit der sinngemäßen Aufforderung, beide sollten aufhören. Das verletze aber die ethische Einsicht, "dass es einen Unterschied gibt zwischen Aggressor und Verteidiger".
Gandhi warne aber auch davor, dass auf die Dauer die Gefahr groß sei, "dass man sich in der Verteidigung zunehmend dem Angreifer angleicht".
Quelle: kathpress