Graz: Elisabeth-Gössmann-Preis für Forschung zu Intergeschlechtlichkeit
Die Bochumer Theologin Katharina Mairinger-Immisch wurde am Donnerstag in Graz mit dem Elisabeth-Gössmann-Preis für ihre Forschung zur Intergeschlechtlichkeit in Theologie und Kirche ausgezeichnet. Im Interview mit der "Kathpress" plädierte Mairinger-Immisch für mehr Ambiguitätstoleranz - also die Anerkennung von Mehrdeutigkeit. Menschen ohne eindeutige Geschlechtsmerkmale - auf chromosomaler, hormoneller oder anatomischer Ebene - würden nicht den kirchlichen Normvorstellungen von Mann und Frau entsprechen. Nötig seien neue Leitlinien für den Umgang mit Betroffenen sowie ein Umdenken, das neben dem Ideal der binären Geschlechterordnung Offenheit und Vielfalt zulasse. Der Elisabeth-Gössmann-Förderpreis ging an die evangelische Theologin Louisa Sophie Schmacke aus Kiel.
Eine Absage erteilte die Theologin damit einerseits frühen operativen Eingriffen bei Kindern, um die Eindeutigkeit im Sinne der zweigeschlechtlichen Schöpfungsordnung herzustellen; andererseits kritisierte Mairinger-Immisch die starre Einteilung in "Mann" und "Frau".
Kirche wie Gesellschaft würde es leichter fallen, Vielfalt zuzulassen, wenn man die Kategorisierung in Geschlechter hinterfrage, zeigte sich die Theologin überzeugt. Der Grund: Das binäre Geschlechtsdenken halte der Komplexität biologischer Entwicklungsverläufe augenscheinlich nicht immer stand. Die Realität intergeschlechtlicher Menschen stelle die Kategorien "Mann" und "Frau" als normative Kategorie infrage. Dies sei nicht nur ein kirchliches, sondern ein gesamtgesellschaftliches und interreligiöses Thema, das angesichts globaler Tendenzen zu klaren Zuordnungen besonders herausfordernd sei, merkte Mairinger-Immisch an.
Theologisch verwies sie auf die Christologie, die den Widerspruch zwischen der menschlichen und göttlichen Natur Christi integriert. Dieses Denken könne auch auf Geschlechtervielfalt angewendet werden, um Raum für Vielfalt und Anerkennung zu schaffen, so Mairinger-Immisch, die in Wien promovierte.
Die Medizin habe intergeschlechtliche Kinder nach der Geburt oft einem Geschlecht "zugeordnet", was gesellschaftlich und theologisch kaum hinterfragt worden sei, erklärte Mairinger-Immisch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Theologische Ethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Arbeit beleuchtet die rechtlichen, sozialen und theologischen Herausforderungen, denen sich intergeschlechtliche Menschen gegenübersehen - einem weitgehend unbeachteten Thema, insbesondere im deutschsprachigen Raum.
Für Ambiguitätstoleranz
Seit den 1980er Jahren hat es Aktivismus und rechtliche Fortschritte für intergeschlechtliche Menschen gegeben, doch die Kirche habe lange geschwiegen, so Mairinger-Immisch. Der Theologin zufolge empfiehlt die christliche Tradition, etwa intergeschlechtliche Menschen einem Geschlecht zuzuordnen. "Die Kirche hat die Existenz von Menschen abseits der binären Geschlechterordnung weitgehend ignoriert oder sie medizinisch einordnen lassen", kritisierte sie.
Mit Blick auf die Kirchengeschichte verwies Mairinger-Immisch auf den Kirchenvater Augustinus, der Menschen mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen das Leben als Mann nahegelegt habe. Bis heute zeigt die katholische Kirche große Zurückhaltung, das Thema ernsthaft zu behandeln.
In ihrer interdisziplinären Forschung hat Mairinger-Immisch auch biografische und diskriminierende Erfahrungen von intergeschlechtlichen Menschen untersucht, die teils aus religiösen Gemeinschaften ausgeschlossen wurden - dies trifft sowohl Priester als auch Ordensleute oder Laien. Sie plädierte für eine "kontingenzsensible Theologie", die Ambiguitätstoleranz fördert, also die Fähigkeit, mehrdeutige und komplexe Gegebenheiten zu akzeptieren. Diese Haltung könne der Kirche helfen, vielfältige Lebensrealitäten anzuerkennen.
30 Jahre Frauen- und Geschlechterforschung in Graz
Die Verleihung des renommierten Elisabeth-Gössmann-Preises für hervorragende Arbeiten zur Frauen- und Geschlechterforschung fand im Rahmen des Symposiums "Macht - Gender - Religion" anlässlich 30 Jahre Frauen- und Geschlechterforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz statt.
Wie die Sprecherin des Gender-Schwerpunktes, die Theologin Martina Bär, in einem Interview auf der Website der Katholisch-Theologischen Fakultät betont, habe die theologische Frauen- und Geschlechterforschung in den vergangenen 30 Jahren sehr viel erreicht, indem sie religiöse Quellen von Geschlechterdiskriminierung offen gelegt und historisch neu eingeordnet habe. Ein rein männlicher Blick auf die Theologie sei aufgebrochen worden und zahlreiche Frauen seien durch die Bewusstseinsarbeit motiviert worden, "den Zusammenhang von Geschlechterordnung und Spiritualität kritisch zu hinterfragen" und eine geschlechtergerechte Kirche einzufordern. Gott sei schließlich nicht nur männlich, "sondern auch weiblich und im Grunde transgender", so Bär.
Quelle: kathpress