Kirchen-Broschüre lädt zum Gespräch über "zeitgemäße Sexualpädagogik"
Um einen neuen, zeitgemäßen Zugang zu Sexualpädagogik bemüht sich die katholische Kirche in Österreich mit einer Orientierungshilfe, die am Donnerstagabend in Wien am Institut für Ehe und Familie (IEF) vorgestellt worden ist. "Dem Leben und der Liebe verpflichtet" ist der Titel einer knapp gehaltenen Broschüre, die statt konkreten Methoden Grundhaltungen formuliert und dabei eine Erziehung zu Liebe, Selbstachtung und Beziehungsfähigkeit in den Vordergrund stellt. Bischof Hermann Glettler als Leiter des Referats für Ehe, Familie und Lebensschutz der Bischofskonferenz betonte, es handle sich um eine "Einladung zum Gespräch", mit der die Kirche "anschlussfähig für unsere Zeit" sein wolle.
Der Bischof räumte ein, dass das Verhältnis von Kirche und dem Bereich Liebe, Sexualität und Erotik in der Vergangenheit oft schwierig gewesen sei, teils mit einer "bis hin zur Sprachunfähigkeit" belasteten Sprache. Trotz Durchbrüchen wie das "großartige" päpstliche Lehrschreiben über die "Freude der Liebe" ("Amoris laetitia", 2016) hielten viele der Kirche eine "Engführung und Doppelmoral" oder übermäßige Fixierung auf das sechste Gebot ("Du sollst nicht ehebrechen") vor. Jüngst habe auch die Weltsynode im Vatikan darauf hingewiesen - mit der Bitte um Vergebung, dass die Kirche oftmals "keine Freundin des Lebens" gewesen sei.
Mit der 16-seitigen Broschüre, Ergebnis eines mehrjährigen Nachdenkprozesses am IEF und von der Bischofskonferenz approbiert, wolle sich die Kirche mit einem Lebenszeichen in der Sexualpädagogik-Debatte zurückmelden - "selbstkritisch, aber auch selbstbewusst, weil wir Werte einbringen können und wollen", wie Bischof Glettler betonte. Sexualität werde darin als "positive Lebenskraft" und als äußerst wertvoller und sensibler Bereich der Entwicklung gewürdigt. Das gewählte Format sei weder Leitlinie noch ein Gesamtkonzept, sondern eine Anregung zur weiteren Diskussion, gerichtet besonders an kirchliche Schulen und Bildungseinrichtungen sowie an in der Kinder- und Jugendarbeit Tätige.
Der inhaltliche rote Faden der Orientierungshilfe ist die Beziehungsfähigkeit, wie Glettler darlegte. "Erst durch Beziehung erhalten Schlagworte wie Vielfalt, Selbstbestimmung, Lust und Spaß eine andere Dimension. Sexualpädagogik wird so zu einem verantwortlichen Hinführen zur Übernahme von Selbstverantwortung." Die personale Würde und Freiheit des Menschen stehe im Zentrum, ebenso wie die gegenseitige Ergänzung von Mann und Frau, die Fruchtbarkeit und das "Ja zum Leben". Betont würden jedoch auch die Pluralität von gelebter Sexualität und sexueller Orientierung, der Dialog mit der Sexualwissenschaft, der Schutz vor Missbrauch und die Rechte der Eltern.
An "leibfreundlicher Haltung" weiter arbeiten
Expertenlob erhielt die Publikation für deren "Anliegen, Inhalt und Haltung" von Susanne Pointner, Vorsitzende des Ausbildungs- und Methodenforums im Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP). "Man kann manches hinterfragen, aber genau das ist es ja: ein Dialogangebot", so die Therapeutin. Ansprechend ist für Pointner, "dass die Kirche sagt, es darf auch um Lust gehen". An einer "leibfreundlichen Haltung" gelte es kirchlicherseits weiter zu arbeiten - "in den Riten, Botschaften, Predigten und Ausbildungen". Die "Ermutigung zur Fruchtbarkeit", von der die Orientierungshilfe zeuge, könne sehr gut mit "frauenfreundlicher Haltung" und mit Einsatz für "positive Familienpolitik" einhergehen.
Es falle auf, dass sich die Kirche angesichts einer Vielzahl relevanter Themen im Schulbereich ausgerechnet zur Sexualpädagogik äußere, sagte bei der Präsentation die Wiener Schulamtsleiterin Andrea Pinz, die auch die Konferenz der Schulamtsleiter Österreichs leitet. Sexualpädagogik müsse "lebensweltsensibel, modernitätskompatibel und menschenfreundlich" sein, forderte sie. Überschneidungen sähe sie vor allem mit dem Religionsunterricht, zudem gehöre Sexualpädagogik zum "Kern der Schulkultur" an katholischen Schulen und sei auch in kirchlichen Einrichtungen der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung Thema.
Recht und Aufgabe der Eltern
Die Orientierungshilfe beschreibt Sexualaufklärung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen bei der Entwicklung ihrer Sexualität zuallererst als Aufgabe der Eltern. Deren Recht auf Mitsprache und Vorab-Information über sexualpädagogische Angebote in der Schule gelte es zu wahren, hieß es. Für Andrea Kahl, Leiterin des Arbeitskreises Betreuung und Bildung des Katholischen Familienverbands Österreich (KFÖ), ist diese Verständigung "Herzstück der Schulpartnerschaft". Die Broschüre helfe Eltern und liefere ein "Wording", um mit Lehrpersonen zu sprechen, sagte die Ethik- und Religionslehrerin, die bei der Präsentation vor allem als Mutter teilnahm.
"Das hier ist die Sprache unserer Gesellschaft", würdigte Prof. Wolfgang Mazal, Präsident des Österreichischen Instituts für Familienforschung, die Publikation der Bischofskonferenz. Erkennbar sei die Absicht der Kirche, keine Distanz zur wissenschaftlichen Sexualpädagogik zu wahren, das Thema positiv zu besetzen und den eigenen Standpunkt weiterzuentwickeln. Die Broschüre informiere gut über die derzeitige Verortung der Kirche und lade ein, sich damit auseinanderzusetzen und selbst zu reflektieren, so Mazal, der dem Board der Geschäftsstelle zur Qualitätssicherung von schulexternen Angeboten des Bildungsministeriums angehört. Eltern könnten sich dadurch auch motiviert sehen, das Thema etwa in Schulgemeinschaftsausschüssen einzubringen.
(Die Broschüre ist erhältlich unter office@ief.at sowie unter folgendem Link: https://www.ief.at/dem-leben-und-der-liebe-verpflichtet)
Quelle: kathpress