Bugnyar zu Nahost: Kaum Hoffnung auf kurzfristige Entspannung
Das zerstörte Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern, sowie fehlende Verhandlungsbereitschaft auf beiden Seiten prägt die angespannte Situation im Nahen Osten: "Es ist Krieg, definitiv", schildert der Rektor des Österreichischen Pilger-Hospizes in Jerusalem, Markus Bugnyar. Im Interview mit der Wochenzeitung "Die Furche" (Ausgabe 3. Oktober) beschreibt er die Lage ein Jahr nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und die aktuelle Eskalationsspirale. Mitten drinnen würden die Christen als kleine Minderheit im Heiligen Land "zwischen die Fronten geraten", so Bugnyar, der auf Vermittler von außen pocht - besonders die Vereinten Nationen und die Arabische Liga könnten hier eine Rolle spielen. In Jerusalem selbst sieht er kaum Hoffnung auf eine kurzfristige Entspannung.
Aktuell beobachtet Bugnyar eine hoch emotionalisierte Debatte: "Die einen haben sich eindeutig pro Israel, die anderen eindeutig pro Palästinenser positioniert. Und es ist sehr schwierig, mit Argumenten gegen das eine oder andere anzureden." In Europa würden die Debatten oft noch heftiger geführt als vor Ort im Heiligen Land. Der Pilger-Hospiz-Leiter spricht von "Stellvertreterkriegen in Familien und Freundeskreisen". Trotz Kritik an der israelischen Regierung würden die meisten die Militärschläge für gut befinden, weil man sich davon Sicherheit verspricht.
In dem Interview, das anlässlich der Präsentation seines neuen Buchs "Irdisches Jerusalem. Über Heiliges und Schwieriges" geführt wurde, erklärte Bugnyar, dass die Situation nach dem Terrorangriff der Hamas, bei dem rund 1.200 Menschen unmittelbar getötet und 239 als Geiseln genommen wurden, das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern nachhaltig zerstört habe. Hinzu kämen "grauenhafte Nachrichten und Bilder aus dem Gazastreifen und vom Schicksal der Zivilbevölkerung". "Das Vertrauen zwischen beiden Seiten ist seither komplett weg", so Bugnyar.
Der Angriff der Hamas habe einen Wendepunkt dargestellt, da die Gewalt und Brutalität des Angriffs in einem Ausmaß stattfanden, das bisher im Nahostkonflikt nicht bekannt gewesen sei. Sowohl bei Israelis als auch Palästinensern sei dadurch klar geworden, dass die bisherigen Mechanismen nicht mehr funktionierten.
Verhandlungen nötig, aber unmöglich
Solange der Krieg andauere, sei es unmöglich, die Konfliktparteien zu Verhandlungen an einen Tisch zu bringen. "Es braucht offensichtlich einen dritten Akteur, etwa die Vereinten Nationen oder Vertreter der Arabischen Liga, um eine Vermittlerrolle zu übernehmen." Zwar habe man in den letzten Jahren versucht, die Region zu stabilisieren, jedoch ohne das direkte Gespräch mit den Palästinensern zu suchen. "Das kann nicht funktionieren", so Bugnyars Fazit.
Hinzukommt der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah und der jüngste Angriff des Iran auf Israel. Nun müsse man davon ausgehen, "dass Israel antworten wird". Bugnyar weiter: "Ich rechne mit punktgenauen Angriffen auf militärische Einrichtungen, vielleicht auch Ölraffinerien."
Hospiz ein Zeichen der Hoffnung
Die jüngsten Raketenangriffe auf Israel erlebte Bugnyar in Jerusalem aus nächster Nähe: Am 1. Oktober teilte er ein Video, das vom Dach des Pilger-Hospizes aufgenommen wurde und den Einsatz der israelischen Raketenabwehr zeigt. Trotz des Krieges und der schwierigen Sicherheitslage sei das Hospiz - das seit 1863 Pilgern in der Jerusalemer Altstadt Unterkunft bietet - weiterhin geöffnet, berichtet Bugnyar. "Es kommen tatsächlich trotzdem Gäste, und wir haben auch immer wieder Übernachtungen. Wir sehen, dass die Zahl der Besucher bei uns im Kaffeehaus sogar steigt." Dabei treffen auch Israelis und Palästinenser aufeinander - wenn auch ohne direkten Dialog, aber allein das gemeinsame Verweilen sei in diesen Zeiten ein Zeichen der Hoffnung.
Die Rolle der christlichen Minderheit beschrieb Bugnyar als herausfordernd. "Wir spielen numerisch keine Rolle. Also sind wir unter der Wahrnehmungsschwelle von Israelis und Palästinensern, und trotzdem wissen beide, Israelis und Palästinenser, dass es uns gibt", beschrieb der Hospiz-Leiter die Situation. Für Israelis sei ein palästinensischer Christ primär Palästinenser und damit ein Sicherheitsrisiko, für Muslime gilt ein arabischer, palästinensischer Christ als "Einfallstor für westliche, sprich dekadente, Werte". Diese Sonderstellung eröffne aber auch positive Möglichkeiten, etwa bei sozialen Themen.
In einem aktuellen Aufruf bittet Bugnyar um Spenden für das Pilger-Hospiz: Man sei bisher zwar von den Raketen des Irans verschont geblieben, "doch der Krieg verschont uns nicht", schreibt der Priester. Man könne sich ein komplettes Zusperren des Hauses nicht leisten, auch fürchte man "massive Probleme, den Betrieb zum Neu-Start wieder hochzufahren". Die Spenden sollen den weiteren Betrieb aufrecht halten. (Österreichisches Hospiz - Sozialfonds, AT43 1919 0003 0015 0125, (Bankhaus Schelhammer und Schattera; www.austrianhospice.com)
Quelle: kathpress