Forscher: Spiritualität in Schulen als Ressource erkennen
Religiöse Aktivitäten fördern das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen nachweislich und helfen ihnen beim Aufbau psychischer Gesundheit und Resilienz gegenüber Herausforderungen des Lebens: Zu diesem Schluss kommen zwei Wiener Forscher in einer Publikation, die aus einem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) finanzierten Projekt hervorgegangen ist und sich an Schulen richtet. Religion und Spiritualität sind wertvolle Ressourcen, die insbesondere christliche Bildungseinrichtungen "behutsam, aber selbstbewusst" nutzen sollten, so der Bildungswissenschaftler Prof. Roland Bernhard von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems und Prof. Peter Stippl, Vizepräsident des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie.
Befragt man Menschen in psychischen Krisen nach ihren Bewältigungsstrategien in der Vergangenheit, nennen religiöse Menschen auffallend häufig den Glauben, so Stippl im Vorwort der Studie. Werde für diese Form der Resilienz schon in der Schule eine solide Basis gelegt, so sei dies eine "unersetzliche Ressource für gelingendes Leben", befand Stippl. Wichtig sei dies gerade in Zeiten einer Häufung psychischer Beschwerden unter Heranwachsenden.
Das Vorurteil, Religion sei generell schlecht für die Psyche, ist laut den Forschern unbegründet. Es treffe nur für gewisse "ungesunde, weltabgewandte" Formen der Religiosität zu, welchen man in christlichen Schulen heute ohnehin kaum mehr begegne. Die moderne Forschung, insbesondere die "Positive Psychologie", zeichne ein ganz anderes Bild: Die Bedeutung der Religiosität und Spiritualität für das persönliche Wohlbefinden und für ein erfülltes und glückliches Leben sei in der Wissenschaft längst anerkannt. Zudem sei das Thema mit bereits mehr als 5.000 Studien dazu auch bestens beforscht.
Weniger Ängste, mehr Selbstregulation
Ausgangspunkt für Bernhard und Stippl sind besonders größere Studienvergleiche. Darunter eine Metaanalyse von 850 Studien durch Alexander Moreira-Almeida (2006), die zeigt, dass Menschen, die regelmäßig religiösen oder spirituellen Praktiken nachgehen, seltener an Depressionen und Angstzuständen leiden. Andere Aspekte deckt eine Metaanalyse von Harold Koenig (2012) ab, demzufolge eine enge Beziehung zu Gott mit höherer Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen und sogar körperlichen Erkrankungen einhergeht. Diese Studien werden in der medizinischen Forschung häufig zitiert - bisher in über 2.500 Fachpublikationen; für Bernhard und Stippl ein Beweis, dass Religiosität längst als Ressource in der Betreuung und Therapie von Menschen gilt.
Weitere von den Wiener Wissenschaftlern zitierte Einzelstudien widmen sich speziellen Lebensbereichen: So wirkt sich Religiosität etwa signifikant positiv auf das Familienleben aus, reduziert Ehekonflikte und sorgt für mehr gegenseitige Unterstützung. Bei Jugendlichen ist Religiosität tendenziell mit weniger asozialem Verhalten wie Drogenkonsum und Drogenhandel verbunden, mit größerer emotionaler Selbstregulation, weniger Aggressionen und Süchten, späterem Beginn sexueller Aktivität und auch besseren Schulnoten.
Zusammenhänge lassen sich auch zu positiven Verhaltensformen und "Tugenden" nachweisen: Religiosität kann laut Forschung die Bereitschaft zur Vergebung, die Freundlichkeit und das Mitgefühl fördern, zudem sind Altruismus, Freiwilligenarbeit und Philanthropie bei Menschen, die an religiösen Aktivitäten teilnehmen, häufiger anzutreffen als in der Durchschnittsbevölkerung. Das Gemeinwohl fördert die Religion laut mehreren Studien insofern, als sie oft ein Gefühl der Verantwortung für andere vermittelt - was sich etwa in Freiwilligenarbeit oder sonstigem Einsatz für andere äußert.
Sinn, Gemeinschaft und Gebet
Unter den vielen Ursachen der von Bernhard und Stippl aufgelisteten positiven Wirkungen von Religiosität sehen die Wissenschaftler drei für den Schulbereich besonders relevant: Einerseits suchen Menschen mit Gottesbeziehung weit eher nach einem Sinn in positiven wie negativen Ereignissen - was sie Studien zufolge besser mit Leiden umgehen lässt und dabei "wie ein Puffer gegen negative Erfahrungen und Emotionen" wirkt. Positiv ist weiters auch die soziale Unterstützung, Akzeptanz, Zugehörigkeit und Gemeinschaft durch religiöse Eingebundenheit, wie etwa in einer Jugendgruppe. Drittens "wirke" die religiöse Praxis selbst gesundheitsfördernd, besonders das Gebet und seelsorgliche Unterstützung.
Zwar löse Religiosität nicht alle Probleme, mit denen Kinder und Jugendliche in Österreich im Bereich der mentalen Gesundheit konfrontiert sind. "Christliche Schulen haben mit der Religiosität allerdings eine Ressource, deren positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit bisweilen noch zu wenig bekannt sind und möglicherweise noch stärker genutzt werden könnten", so die Schlussfolgerung von Bernhard und Stippl. Ihre Ergebnisse sehen sie als Plädoyer für eine "ganzheitliche Bildung, die über das Akademische hinausgeht und die spirituelle Dimension der jungen Menschen berücksichtigt".
Achtgeben sollten christliche Schulen freilich darauf, kein Kind mit Religiosität zu "überfahren", handle es sich dabei doch um einen "Bereich, den jeder für sich selbst entdecken muss", so Bernhard gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress. Stets gelte es die Freiheit des Einzelnen zu achten. Dennoch: "Eine persönliche Beziehung zu einem liebenden Gott kann Menschen sehr viel geben". Daher seien Lehrkräfte und Schulleitungen gut beraten, "ruhig auch mutige religiöse Angebote zu setzen" - wie etwa schön gestaltete Gottesdienste oder Gebete, die Kinder und Jugendliche zu tiefen Reflexionen bewegen können. Auch wenn bereits religiöse Ressourcen bei jungen Menschen vorhanden sind, können sie genutzt werden - etwa wenn in Krisen Lösungen gesucht werden.
(Link zur Studie: https://shorturl.at/AW6Qs)
Quelle: kathpress