Nordirakischer Minister: Christen brauchen weiter Hilfe
Die Autonome Region Kurdistan bemüht sich nach Kräften, für die christliche Minderheit ein sicherer Hafen zu sein. Die Christen würden als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft gesehen. Das hat Ano Jahwar Abdoka, der einzige christliche Minister in der Regierung der irakischen Autonomen Region Kurdistan bei der ICO-Jahrestagung in Salzburg betont. Für ihn sei Kurdistan der sicherste Ort für Christen im Nahen Osten, so Abdoka. Nichtsdestotrotz bräuchten die Christen mehr Unterstützung und Solidarität aus dem Westen.
Der aus dem Irak für die Tagung nach Salzburg gekommene Politiker hielt am Montagabend den Hauptvortrag bei der Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient", die heuer ganz dem Irak gewidmet war. Ein Schwerpunkt lag auf der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Landes. Lebten bis 2003, als Saddam Hussein von den USA und ihren Verbündeten gestürzt wurde, noch bis zu 1,5 Millionen Christen im Irak, so sind es heute auch nach den optimistischsten Schätzungen nicht mehr als 400.000. 90 Prozent davon würden im Nordirak in Kurdistan oder der westlich davon gelegenen Ninive-Ebene leben. In der irakischen Hauptstadt Bagdad sollen noch 40.000 Christen leben, vielleicht auch ein wenig mehr. Genaue Zahlen gebe es nicht, mussten alle Experten, die bei der Tagung referierten, eingestehen.
Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner verwies in seinem Grußwort bei der Tagung auf die biblische Geschichte des Irak bzw. des Zweistromlandes. Es sei eigentlich tragisch, so Lackner, dass der Westen vom Irak nur ein Bild von Instabilität, Willkür und Terror habe. Der kulturelle, geschichtliche und religiöse Reichtum des Landes werde ausgeblendet. "Wir übersehen als Gesellschaft, dass der Irak seit den frühesten Tagen des Christentums altehrwürdige Heimat der Kirche ist", so Lackner wörtlich und weiter: "Wir übersehen die unzähligen Opfer und Märtyrer der Christen in dieser Region. Diese Opferbereitschaft der Christen im Irak erfüllt uns mit großer Demut." Es sei daher sehr zu begrüßen, dass sich die heurige ICO-Tagung mit dem Irak einer "für unsere globale christliche Identität so wichtigen Region" widme, sagte der Salzburger Erzbischof.
Verfolgung und Schutz
Schon lange vor dem Aufkommen der Terrororganisation IS war die Lage für die christliche Minderheit schwierig, so Minister Abdoka. Zwischen 2004 und 2012 wurden weit mehr als 1.000 Christinnen und Christen wegen ihres Glaubens von islamistischen Fundamentalisten ermordet; darunter im Jahr 2008 auch zahlreiche Geistliche, an erster Stelle der chaldäische Bischof von Mosul, Paulos Faraj Rahho. Dazu seien auch weit über 100 Kirchen zerstört oder geschändet wurden.
Von den weit über 100.000 Christen, die dann 2014 vor dem IS aus Mosul und der angrenzenden Ninive-Ebene fliehen mussten, sei bislang gerade einmal ein Drittel zurückgekehrt. Ein Drittel lebe in der Region Kurdistan, ein Drittel sei ausgewandert.
Dass Kurdistan für die Christen ein sicherer Hafen sei, veranschaulichte Minister Abdoka u.a. mit folgenden Zahlen: Die christliche Kleinstadt Ankawa, eine Nachbarstadt der Metropole Erbil, hatte 2003 rund 22.000 christliche Einwohner und es gab 3 Kirchen. Inzwischen hat die Stadt 75.000 Einwohner und 17 Kirchen. Die kurdische Regierung garantiere, dass auch die wichtigen Verwaltungsämter in der Stadt, vom Bürgermeister angefangen, von Christen besetzt sind. Zudem würden Wohnungen für junge Paare gefördert. Abdoka: "Ankawa ist die größte rein christliche Stadt im Nahen Osten." Und es sei die einzige Stadt im Nahen Osten, in die mehr autochthone Christen zuziehen als wegziehen würden.
Im Parlament der kurdischen Autonomieregion gebe es einige für Christen reservierte Sitze, dazu wurde u.a. auch eine eigene Behörde für die Angelegenheiten der Christen geschaffen. Es gebe zudem auch 50 staatliche aramäisch-sprachige Schulen, die von knapp 6.700 christlichen Kindern besucht werden. Die Christen seien auch insofern gut in Kurdistan integriert, als dass es einige tausend Männer gebe, die bei den kurdischen Peshmerga-Truppen oder weiteren Sicherheitskräften dienten.
Der Minister wies darauf hin, dass es im Nordirak auch noch einige kleine christliche Milizen gibt, diese hätten aber wenig Bedeutung. Die Christen als eigene Gruppen hätten keine militärische Stärke.
Die komplexe politische und gesellschaftliche Situation in Kurdistan wurde auch dadurch deutlich, dass es elf christliche politische Parteien gibt, wie Abdoka erläuterte. Möglicherweise der Vielfalt ein wenig zu viel, musste der Politiker auf Nachfrage einräumen. Abdoka ist auch Präsident der Christlichen Allianz, ein Zusammenschluss verschiedener christlicher Parteien und Organisationen. Seinen Abendvortrag eröffnete der Politiker mit einer Einladung zum gemeinsamen Vaterunser-Gebet.
Im Kathpress-Interview am Rande der Tagung berichtete Abdoka von politischen Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung in Bagdad - etwa, wenn es darum geht, dass man in Kurdistan ein irakisches Gesetz, das Alkohol verbietet, nicht umsetzt - oder auch von der immer noch bestehenden Gefahr des IS. Die Terrormiliz sei derzeit als Organisation keine große Gefahr, doch die Ideologie sei immer noch weit verbreitet, so der christliche Politiker, der 2016/17 bei den Peshmerga diente, die den IS bekämpften. Es brauche einen starken militärischen Sicherheitsapparat, genauso wichtig sei freilich Bildung und Aufklärung, um der Ideologie des IS beizukommen, so Abdoka.
Deutlich wurde bei der Tagung auch das latente Unsicherheitsgefühl, unter dem die Christen und weitere Minderheiten im Irak lebten. Auch wenn es aktuell keine konkrete Bedrohung gebe.
Zukunft für die Christen
Der österreichische Politikwissenschaftler und Irak-Experte Thomas Schmidinger zeigte sich im Kathpress-Interview am Rande der Tagung grundsätzlich optimistisch, dass die christliche Minderheit im Irak eine Zukunft hat. Zentrale Voraussetzung dafür sei freilich Stabilität im Land. Die Sicherheitslage bzw. auch die politische Lage sei komplex und wechselhaft. Derzeit sei es beispielsweise in der irakischen Hauptstadt Bagdad sehr sicher, dafür aber nicht im Nordirak in der Grenzregion zur Türkei. Die Türkei gehe dort verstärkt militärisch gegen die PKK vor. Das türkische Militär betreibe nicht nur zahlreiche Militärstützpunkte im Nordirak, sondern arbeite seit einigen Monaten in einigen Gebieten auch mit Straßensperren. Für die örtliche Bevölkerung in den teils christlichen Dörfern sei das natürlich eine immense Belastung, so Schmidinger, der derzeit in der nordirakischen Stadt Erbil forscht und lehrt.
Die Autonomie Kurdistans werde im Irak nicht grundsätzlich infrage gestellt, so Schmidinger weiter. Kurdistan werde aber künftig stärker mit der irakischen Zentralregierung zusammenarbeiten müssen, zeigte er sich überzeugt.
Sicherheitsfrage entscheidend
Der deutsche Irak-Experte David Müller bezeichnete in seinem Vortrag bei der Tagung die Sicherheitsfrage als die entscheidendste für die Zukunft der Minderheiten im Land. Vor allem seit 2011 sei das Land politisch fragmentiert, es gebe keine stabilen Regierungen, in das Machtvakuum würden zahlreiche Milizen drängen, die teils auch aus dem Ausland gesteuert werden.
Weiter große Probleme ortete der Experte in der grassierenden Korruption und dem traditionellen Patronagesystem, wonach Ämter und Jobs nach politischen Loyalitäten bzw. Großfamilienzugehörigkeit vergeben würden und nicht nach Qualifikationen. Das schwäche das Land natürlich, die Arbeitslosigkeit sei hoch, zudem sei man wirtschaftlich fast ausschließlich von Ölexporten abhängig. Der Irak müsse dringend Klein- und Mittelbetriebe etablieren, so Müller, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dazu brauche es freilich einen Mentalitätswandel, würden die allermeisten Menschen doch nur in die öffentliche Verwaltung drängen. Auch in die Landwirtschaft und den (religiösen) Tourismus müsste wesentlich mehr investiert werden, so Müller. Es brauche wohl auch Hilfe von außen für kleine regionale Initiativen, mit denen die Wirtschaft angekurbelt werden kann. Müller würdigte in diesem Zusammenhang die ICO, die auch in diesem Bereich einige kleinere Projekte im Nordirak betreibt.
"Irak - Quo vadis?"
Die Tagung im Salzburger Bildungszentrum St. Virgil steht unter dem Generalthema "Irak - Quo vadis?" Eröffnet wurde die Tagung vom Innsbrucker Bischof Hermann Glettler, der 2023 mit einer ICO-Delegation den Nordirak bereist hatte. Ein weiterer Vortragender war P. Jens Petzold. Der Mönch lebt in der nordirakischen Stadt Sulaimaniyya und hat dort das örtliche Marienkloster revitalisiert.
Berichte aus der Arbeit der ICO in den Ländern des Nahen Ostens sowie Gottesdienste rundeten das Programm ab. Die Tagung wurde von der Salzburger Pro Oriente-Sektion, der Kardinal König-Stiftung und dem Andreas Petrus Werk mitveranstaltet und unterstützt.
Die "Initiative Christlicher Orient" unterstützt seit mehr als 30 Jahren die Christen im Orient. Zahlreiche Hilfsprojekte werden jedes Jahr in Syrien, im Irak, im Libanon, in Palästina und in Jordanien umgesetzt.
(Infos: www.christlicher-orient.at)
Quelle: kathpress