Paralympics-Sieger: "Mir half der Glaube, aber ich bin kein Prediger"
Mittwochabend wurden in Paris die Paralympics eröffnet. Dieses Mal nicht mit dabei ist Thomas Geierspichler, der zwar das sportliche Limit geschafft hätte, allerdings trotzdem nicht berücksichtigt wurde, weil das Kontingent beschränkt war. Im Interview mit der "Kleinen Zeitung" sprach der Behindertensportler dieser Tage über die Kraft der Hoffnung, seinen Glauben und die Kunst des Verzeihens. "Die Wende meines Lebens war rückblickend nicht der folgenschwere Unfall, sondern drei Jahre später, als ich gelernt habe, damit umzugehen. Einerseits durch den Glauben und andererseits durch die Begegnung mit Menschen, die ihn mir auf völlig neue Weise nahegebracht haben. Und dann natürlich durch den Sport", so Geierspichler wörtlich.
1994 verunglückte Geierspichler auf dem Heimweg von einer Diskothek als Beifahrer eines Freundes, seither ist er von der Hüfte abwärts gelähmt. Als Rennrollstuhlfahrer wurde er fünfmal Weltmeister, sechsmal Europameister und Paralympics-Sieger über 1.500 Meter sowie im Marathon, wo er auch den Weltrekord hält. Das Interview, das "Kleine Zeitung"-Chefredakteur Hubert Patterer mit Geierspichler führte, ist ein exklusiver Vorabdruck aus dem Jahrbuch 2025 der Diözese Gurk zum Thema "Quellen der Hoffnung", das Mitte November erscheinen wird.
Er wollte über den Sport zurück ins Leben finden, so Geierspichler. "Und wenn ich es trotz all der Barrieren geschafft habe, steckt diese Kraft in jedem von uns drinnen. Bei mir war es ein Zusammenwirken von Vertrauen, Hoffnung und Glauben", so der Paralympics-Sieger: "Mir half der Glaube, aber ich bin kein Prediger. Ich will meinen Glauben niemandem aufbinden. Man muss seine Rucksäcke, in die man seine ganzen Ängste und Verzagtheiten gestopft hat, ausleeren. Der Rucksack muss leer sein."
Es helfe, "sich die Endlichkeit bewusst zu machen". Er denke sein Leben vom Ende her, "ganz konkret und bildlich vom Sterbebett her, und von dieser imaginierten Perspektive blicke ich zurück auf meine jetzige Situation. Dann spüre ich eine Dringlichkeit, das, was mir wichtig ist, bewusster zu leben." Man solle keinen Stress bekommen, "aber es hilft mir, Entscheidungen entschlossener und rascher zu treffen".
"Ich strebe nach Heilung"
Man müsse lernen, sich selbst anzunehmen: "Wenn du sagst, ich nehme die Situation an und als solche wahr, dann bedeutet das ganz emotionslos: Ich habe da eine ernsthafte Situation, was sind meine Möglichkeiten? Ich strebe nach Heilung. Ich strebe danach, das Mögliche in den Blick zu nehmen. Und in dem Moment, wo du die Umstände akzeptierst, aber nicht das Ende, fängst du wieder zu leben an. Deswegen passieren da Heilungen. Davon bin ich überzeugt. Weil du dich trotz der scheinbar ausweglosen Lage wieder auf den Weg machst. Es geht um Hoffnung, Kraft und Vertrauen."
Freilich: "Die Hoffnung als Grundhaltung bedeutet ja nicht, dass es mir taugt, dass ich an den Rollstuhl gefesselt bin. Ich bin nicht glücklich, weil ich im Rollstuhl bin. Ich bin glücklich, obwohl ich im Rollstuhl bin. In den dunklen Momenten hilft mir dann mein Werkzeugkoffer. Er gibt mir die Kraft, dass ich mich wieder auf das Ziel rückbesinne."
Als er zum Glauben fand, konnte er auch immer mehr vergeben, so Geierspichler im Blick auf den Unfalllenker: "Es kam dann auch der Moment, wo ich mit ihm geredet habe. Ich habe gemerkt, dass ich einen Schuldschein bei ihm habe, aber wo will man den einlösen? Wir haben uns dann umarmt, und ich habe ihm gesagt, dass ich ihm verzeihe." Er habe erkannt, "dass das Verzeihen, das Entschuldigen und Loslassen eigentlich einen selbst freigibt und ihm in der Bewältigung natürlich auch hilft".
Zu seiner Nichtberücksichtigung für die Paralympics in Athen meinte Geierspichler: "Nach der Olympiade ist vor der Olympiade. Schließlich bedeutet sie ja nur eine Zeitspanne. Ich versetze einfach die Zielfahne um vier Jahre nach vorn, also: Los Angeles, 2028."
Im Jahrbuch 2025 der Diözese Gurk zum Thema "Quellen der Hoffnung" werden neben Geierspichler als Autoren u.a. auch der Benediktiner David Steindl-Rast, Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler, der Jesuit P. Andreas Batlogg, der Theologe Jan-Heiner Tück und der Politikanalyst Thomas Hofer zu Wort kommen.
Quelle: kathpress