"Vom Staub befreit"
200 Jahre Anton Bruckner in Linz
"Vom Staub befreit"
200 Jahre Anton Bruckner in Linz
Nicht nur im Linzer Dom "brucknert" es im Jubiläumsjahr zu Ehren des 200. Geburtstags des berühmten Komponisten "heftig", wie die Diözese Linz mitteilte. Etliche Konzerte, Ausstellungen und Publikationen widmen sich 2024 dem Leben und Werk Anton Bruckners (182-1896) und zeichnen ein neues Bild des Künstlers. Genie, Exzentriker, primitiver Provinzler - Bruckner erschien in den letzten 200 Jahren durch verschiedene Linsen in vielen Facetten. Die Kunstreligion erhob ihn etwa zum "Musikant Gottes", aber auch die Nationalsozialisten verehrten ihn als "deutschen Meister". "Bruckner ist zum Mythos geworden", doch diesen könne man heuer endlich vom Staub befreien, erklärte die Wiener Musikwissenschaftlerin und Historikerin Elisabeth Theresia Hilscher.
Als konservativ-katholischer und unterwürfiger Mensch wurde Bruckner von den Schriftstellern Ernst Decsey und Victor Leon in ihrem Trivialstück "Der Musikant Gottes" dargestellt, das diese anlässlich von Bruckners 100. Geburtstag verfassten. Vor wenigen Jahren gab es im Kreis der deutschen Komponistin, Musikpädagogin und Hochschullehrerin Adelheid Geck sogar Bestrebungen, Bruckner seligsprechen zu lassen. "Gott sei Dank hat die katholische Kirche hierfür insbesondere seit Papst Franziskus strenge Kriterien", erklärte Hilscher im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Der Zuschreibung "Musikant Gottes" stehe sie kritisch gegenüber. Der Mythos vom "Propheten", der seine Musik direkt von Gott empfangen habe, sage mehr über die Mythen-Erfinder aus als über Bruckner, schrieb Hilscher in einem Artikel zu dessen Religiosität in der Theologisch-praktischen Quartalsschrift (ThPQ 1/2024) der Katholischen Privatuniversität Linz.
"Bruckner war religiös und als Lehrerkind und Sängerknabe im Stift St. Florian im katholischen Oberösterreich von der Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts geprägt", räumte Hilscher ein. Ein "klassischer Kirchengeher" sei Bruckner aber nicht gewesen. In seiner zweiten Lebenshälfte, die Bruckner in Wien verbrachte, habe er "still und heimlich im Privaten" gebetet. Neben einem Tischkreuz befand sich in seiner Wohnung, hinter einem grünen Vorhang versteckt, auch ein Sterbebild seiner Mutter, vor dem er in schwierigen Zeiten betete. "Er ging berufsbedingt in die Kirche, wenn er Orgeldienst hatte. Es ist aber nicht bekannt, dass er Andachten besuchte oder Wallfahrten machte", führte Hilscher weiter aus. Er sei auch nicht bei Benefizveranstaltungen aufgetreten oder habe Geld für wohltätige Zwecke gespendet, wie viele Musiker es damals machten.
Bruckner und die Gretchenfrage
In der Rezeptionsgeschichte seiner Werke wurde Bruckners Frömmigkeit und ihr Einfluss auf sein musikalisches Schaffen immer wieder kontrovers diskutiert. Dabei hat Bruckner die Faust'sche Gretchenfrage "Wie hältst du's mit der Religion?" nie selbst beantwortet. "Bruckner war ein verschlossener Mensch", erklärte die Musikwissenschaftlerin und Theologin Elisabeth Maier dazu im Kathpress-Interview. Weil persönliche Glaubenszeugnisse, abgesehen von seinen akribisch geführten "Gebetsaufzeichnungen", fehlen, "interpretiert das Thema jeder Forscher und jede Forscherin durch die eigene Brille", so Maier, die seit über 50 Jahren über Bruckner forscht. In ihrem neuen Buch "Anton Bruckner", das im Oktober erscheint, will sie "faktenbezogene und klischeebefreite" Blicke auf sein Leben werfen.
Seine Gebetseintragungen führte Bruckner auch nicht in seinem aktuellen Kalender, wie Maier in einem Artikel zur Frömmigkeit des Komponisten schrieb. Wahrscheinlich, um seine religiöse Praxis vor der Öffentlichkeit im damals "aufgeklärten", liberalen Wien und vor seinen Schülern, die Zutritt zu seiner Wohnung hatten, zu verbergen. Fakt ist, dass Bruckner als Stiftsorganist von St. Florian und als Dom- und Stadtpfarrorganist in Linz ein angestellter Kirchenmusiker war, der große Messen, ein Te Deum und eine Vielzahl an liturgischen Einzelwerken komponierte. "Die große religiöse Linie in seinem Schaffen betraf, abgesehen von den Kirchenwerken, sein unglaubliches Arbeitsethos und Streben nach Vollkommenheit", erklärte Maier. Er habe versucht, sein Talent bestmöglich auszuschöpfen, weil er sich gegenüber einer höheren geistlichen Instanz verantwortlich gesehen habe.
Vom Kirchenmusiker zum Sinfoniker
Bruckner wollte vor allem als großer Sinfoniker verstanden werden, erklärte Hilscher im Interview. "Als Bruckner Mitte 40 war, stürzte er in eine tiefe Lebenskrise", beschrieb die Forscherin Bruckners Entwicklung weg von der Kirchenmusik, der ihn von Linz nach Wien führte. "Die Kirchenmusik ist unter allen Musikrichtungen am stärksten reglementiert, denn es gilt, die Liturgie, ihre Längen und Abfolgen zu beachten", so die Musikwissenschaftlerin. Das sei wahrscheinlich der Grund, warum Bruckner sich in seiner zweiten Lebenshälfte von diesen Vorgaben mehr und mehr abgewandt hat.
"Das Korsett der Kirchenmusik war ihm zu eng und er wollte sich musikalisch selbst verwirklichen", führte Hilscher aus. Bruckners zuletzt komponierte Messe in F-Moll hätte in ihrer Überlänge jeden liturgischen Rahmen gesprengt, und auch sein "Te Deum" sei für den Konzertsaal geschrieben worden. Im Bruckner-Geburtstagsmonat September wird Hilscher das Programm von "radio klassik. Stephansdom" intensiv mitgestalten. Täglich wird sie das Werk und Leben Bruckners unter einem anderen Schwerpunkt betrachten. "Heuer ist der ideale Zeitpunkt dafür, Bruckner von Mythen zu befreien", so Hilscher, die auch in anderen Veranstaltungen im Jubiläumsjahr einen modernen und zeitgemäßen Umgang mit dem Komponisten verortet.
Bruckner im "High-Tech-Labor"
Musikalisch wird Bruckner heuer insbesondere im Linzer Mariendom mit einer Reihe von Konzerten in die Gegenwart geholt. Einen "Swinging Bruckner" präsentiert etwa die deutsche Organistin Lilo Kunkel bei ihrem Konzert "Bruckner at Night" am 29. August um 20 Uhr. Im Linzer Mariendom wartet sie im Rahmen des Linzer "Domorgelsommer" mit einer Variation seines Klavierstücks in Es-Dur auf. Festival-Programmchef und Domorganist Wolfgang Kreuzhuber, der die Kunst der Orgelimprovisation mit seinem berühmten Vorgänger teilt, holte Bruckner mit seinem Improvisationskonzert "Bruckner Today" am Festtag Mariä Himmelfahrt ins Heute.
Das "Ars Electronica Festival" (4. bis 8. September) in Linz versetzt Bruckner in ein "High-Tech-Labor", das am 4. September mitten im Linzer Mariendom aufgebaut wird. Ein Team aus Kunstschaffenden, Organisten, Informatikern und Physikern hat für das Orgelkonzert "BruQner - The Sound of Entanglement" um 20 Uhr eine Installation mit Lasern und optischen Effekten gestaltet. Dirigiert wird Bruckners "Perger Präludium" von verschränkten Photonen, die das Stück lenken, "wie es kein Mensch der Welt könnte", heißt es im Programm.
Das 12-köpfige Ensemble "NoFive" lässt um 23.30 Uhr Bruckners Fünfte mit dem ikonischen "Seven Nation Army"-Riff der White Stripes verschmelzen. Das Konzert mit dem Titel "Bruckner x Pop x No Wave", das auch Elemente des amerikanischen Komponisten Glenn Branca einfließen lässt, "formt eine avantgardistische Soundscape irgendwo zwischen Hoch- und Popkultur", so der Programmtext.
"Toni on Tour"
Die "KinderUni" Oberösterreich bietet in Kooperation mit der Oberösterreichischen "KulturEXPO" im Rahmen des Programms "Toni on Tour" einen Musik-Workshop für Kinder im Alter zwischen 5 bis 15 Jahren an. In "Toni's Kopfkino" können sie zu Bruckners Melodien, die in Form von moderner Pop-Musik aufgelegt werden, mit bunten Pastellkreiden kreativ werden.
Einem "verminten Feld der Vorurteile und Fehldeutungen, die uns die ältere Bruckner-Literatur hinterlassen hat", steht im Stift St. Florian derzeit die Ausstellung "Wie alles begann. Bruckners Versionen" entgegen, durch die an ausgewählten Tagen der künstlerische Leiter der "OÖ KulturEXPO", Norbert Trawöger, führt. Die Ausstellung zeigt bis zum 27. Oktober eine Vielzahl von Dokumenten aus dem Stadtarchiv und gibt Einblick in die Lebens- und Schaffensstationen Anton Bruckners, die medial mit Hörstationen aufbereitet und von personeller oder digitaler Kulturvermittlung begleitet werden, wie es im Programmtext heißt.
Quelle: Kathpress