Caritas-Präsidentin: Umfassende Sozialreformen notwendig
Nora Tödtling-Musenbichler, seit Februar 2024 Präsidentin der Caritas Österreich, hebt in einem Interview mit dem Magazin "trend Premium" (Ausgabe 12. Juli) die anhaltend hohe Spendenbereitschaft und Solidarität in Zeiten zahlreicher Krisen hervor. Angesichts steigender Armutszahlen - 336.000 Menschen gelten in Österreich als "absolut arm" - sei aber auch eine umfassende Sozialreform, strukturelle Maßnahmen gegen Armut vonseiten der Politik und ein gerechteres Steuersystem nötig. "Unser Sozialsystem versagt dabei, Menschen vor Armut zu schützen, und schafft es noch weniger, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen", so die Caritas-Präsidentin.
Konkret schlug Tödtling-Musenbichler eine Erhöhung der Ausgleichszulage auf die Armutsgefährdungsschwelle, eine Anhebung der Nettoersatzquote des Arbeitslosengeldes und eine Reform der Sozialhilfe hin zu einer neuen Grundsicherung vor.
Gefragt nach der Spendeninitiative von Marlene Engelhorn plädierte die Caritas-Präsidentin auch für vermögensbezogene Steuern wie die Erbschaftssteuer, die sie als "sinnvollen Ansatz" bezeichnete - "vorausgesetzt, diese sind sorgfältig gestaltet". Und weiter: "Als Caritas sehen wir uns dazu verpflichtet, auf die grundsätzliche Notwendigkeit einer solidarischen Gesellschaft hinzuweisen." Auffallend sei, dass in Österreich im EU-Vergleich eine deutliche Ungleichheit in der Besteuerung von Arbeit und Vermögen mit einer der niedrigsten Vermögensbesteuerungen vorherrsche.
Mit Blick auf das diesjährige "Superwahljahr" betonte Tödtling-Musenbichler die Notwendigkeit von Information, Sachlichkeit und einer klaren Wertehaltung. "Hier gibt es in der öffentlichen Debatte definitiv noch Luft nach oben." Die Caritas-Präsidentin betonte, dass sie "weder schwarz noch rot noch blau" sei, sondern im Auftrag jener Menschen sei, die benachteiligt sind. Konkret heiße dies, "Not sehen und handeln". Das Anliege sei dabei, mit allen Parteien im konstruktiven Austausch zu sein.
Hohe Spendenbereitschaft
Trotz der Herausforderungen durch Inflation, Migration, Klimakatastrophen und geopolitische Konflikte sei die Spendenbereitschaft in Österreich weiterhin hoch, so Tödtling-Musenbichler. Die Caritas verzeichnet einen großen Anteil an älteren Spender sowie eine zunehmende Unterstützung durch Unternehmen und Großspender. Insgesamt seien 17.694 hauptamtliche und 46.000 freiwillige Mitarbeiter bei der Caritas tätig, was die Solidarität in der Gesellschaft widerspiegle.
Trotz steigender Kirchenaustritte bleibe das ehrenamtliche Engagement bei der Caritas stabil und sei im Sozial- und Gesundheitsbereich sogar gestiegen, erklärte die Theologin. Die Organisation beobachte jedoch einen Trend hin zu kurzfristigem, episodischem Engagement, was den gesellschaftlichen Veränderungen entspricht, erklärte Tödtling-Musenbichler. Durch die aktuelle Kampagne "Es g'hört viel mehr g'holfen!" wolle die Hilfsorganisation zudem Menschen für die Sozialbranche begeistern und dem Fachkräftemangel in der Pflege und Betreuung entgegenwirken.
Internationale Hilfe und Finanzierung
Positiv erwähnte Tödtling-Musenbichler die Erhöhung des Auslandskatastrophenfonds, fordert jedoch eine langfristige finanzielle Absicherung der Entwicklungszusammenarbeit. Österreich liege mit 0,38 Prozent der Wirtschaftsleistung für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit unter dem EU-Durchschnitt von 0,52 Prozent und weit unter den international vereinbarten 0,7 Prozent. "Angesichts der multiplen Krisen können wir an diese und eine künftige Bundesregierung nur einen dringenden Appell richten, diesen Trend rasch umzukehren", mahnte die Caritas-Präsidentin.
Quelle: kathpress