EGMR-Urteil: Staaten dürfen Sterbe- und Suizidbeihilfe verbieten
Die Mitgliedsstaaten des Europarates dürfen weiterhin Suizidbeihilfe verbieten, auch mithilfe des Strafrechts, und somit die Bürger, Ärzteschaft und Gesellschaft vor Sterbehilfe und deren Auswirkungen schützen: Das besagt ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), auf welches das Wiener Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in seinem jüngsten Newsletter verweist. Bekräftigt worden sei, "dass es kein Menschenrecht auf assistierten Suizid und Tötung auf Verlangen gibt, und dass strafrechtliche Verbote vor lebensgefährdenden Handlungen schützen", begrüßte IMABE-Juristin Antonia Busch-Holewik die Entscheidung der Höchstrichter in Straßburg.
Anlass gab ein ungarischer Bürger, der mit seiner Klage gegen Ungarn die Aufhebung des dort geltenden Verbots von Suizidbeihilfe und von Tötung auf Verlangen erzwingen wollte. Der an Amyotropher Lateralsklerose erkrankte Mann hatte argumentiert, die Strafgesetz-Regelung verstoße mehrfach gegen die Europäische Menschenrechtskonvention: Gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens; wegen einer Diskriminierung gegenüber auf lebenserhaltende Maßnahmen angewiesene Patienten, die diese Maßnahmen ablehnen können; sowie durch eine behauptete unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und auch durch eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Gefahr von Missbrauch
Der EGMR sprach sich am 13. Juni im Fall "Daniel Karsai vs Ungarn" ablehnend aus, indem er die beiden letzten Anträge als unbegründet abwies und feststellte, aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens lasse sich kein Recht auf Beihilfe zum Suizid oder Tötung auf Verlangen ableiten. Vielmehr hoben die Richter die weitreichenden gesellschaftlichen Implikationen einer Legalisierung von "Sterbehilfe" sowie die Gefahr von Missbrauch und Fehleinschätzungen hervor.
Zwei vom EGMR gehörte Experten wiesen zudem auf kaum lösbare Probleme im Zusammenhang mit der Suizidassistenz oder Tötung auf Verlangen hin: Dazu zähle die Schwierigkeit, eine Entscheidung frei von äußeren Einflüssen wie Druck, Angst, Depressionen u.a. auf Seiten des Suizidenten zu gewährleisten. Zudem müsse die Ambivalenz des Suizidwunsches, der kommt und geht und sich mit fortschreitender Krankheit sogar auflösen kann, berücksichtigt werden.
Der EGMR erinnert in seinem Urteil allerdings auch daran, dass er die Europäische Menschenrechtskonvention als ein lebendiges Instrument betrachtet, das unter Berücksichtigung der heutigen Gegebenheiten auszulegen sei. Bei entsprechenden Entwicklungen innerhalb der europäischen Gesellschaften und der internationalen Standards der Medizinethik sei daher auch eine von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Interpretation der Konvention denkbar.
"Klares Urteil"
"Von großer Bedeutung" sei das Urteil auch angesichts weiterer Bestrebungen der Legalisierung von assistiertem Suizid und bzw. oder Tötung auf Verlangen in etlichen europäischen Ländern und auch in Österreich, kommentierte die IMABE-Referentin für Recht und Bioethik Busch-Holewik. Ein würdiges Lebensende werde durch qualitative Palliativversorgung gewährleistet, Behandlungsablehnung und palliative Sedierung seien anerkannte Formen der Patientenautonomie und klar von sogenannter "Sterbehilfe" zu unterscheiden. Zahlreiche Argumente der "Sterbehilfe"-Verfechter, die eine Legalisierung auf dem Gerichtsweg erwirken wollen, würden durch das Urteil der Straßburger Richter entkräftet.
Zu hoffen sei, dass auch der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) das EGMR-Urteil bei seiner anstehenden Entscheidung zum Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) und dem eingeklagten Verbot der Tötung auf Verlangen berücksichtigen wird, so Busch-Holewik weiter. Der VfGH in Wien hatte zu Monatsbeginn angekündigt, noch im Juni über mehrere Anträge entscheiden zu wollen, die eine Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangen sowie die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der neu gefassten Bestimmung zur Mitwirkung an der Selbsttötung und die Aufhebung einer Reihe von Bestimmungen des StVfG gefordert hatten.
Bemerkenswert sei die "große Klarheit", mit welcher der EGMR zwischen Möglichkeit, eine Behandlung oder lebenserhaltende Maßnahmen abzulehnen, und der Suizidassistenz unterschieden habe, wies die Expertin hin. Die Option, eine Behandlung abzulehnen, entspringe dem Recht auf freie und informierte Zustimmung und nicht einem vermeintlichen Recht auf "Sterbehilfe". Die Behandlungsablehnung sei in weiten Kreisen der Ärzteschaft sowie vom Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates anerkannt.
Quelle: kathpress