Religionsunterricht: Kirchenvertreter betonen gesellschaftlichen Wert
Eine Lanze für den Religionsunterricht haben einmal mehr Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen gebrochen. Die Leiterin des Schulamts der Erzdiözese Wien, Andrea Pinz, der evangelische Bischof Michael Chalupka und die evangelische Kirchenrätin Kim Kallinger haben in Gastkommentaren im "Standard" (Montag) die Bedeutung des Religionsunterrichts für die Demokratie hervorgehoben. Der Traum, dass eine religionslose Bildung zu mehr Demokratie führen würde, könnte zu einem bösen Erwachen führen, warnen beispielsweise Chalupka und Kallinger in ihrem gemeinsamen Kommentar.
Der Religionsunterricht zwingt die Religionsgemeinschaften, sich einer aufgeklärten Gesellschaft zu erklären. Und er trägt dadurch wesentlich zur Bildung einer respektvollen, toleranten und verantwortungsbewussten Gemeinschaft bei, so Chalupka und Kallinger.
Ein Merkmal der modernen Gesellschaft sei sicher nicht die Abwesenheit von Religion, sondern eher eine wachsende religiöse Pluralität, auch in der Schule. "Dass Leben in einer Demokratie gelingt, ist Aufgabe aller Beteiligten und somit auch Aufgabe der Religionsgemeinschaften", betonen die beiden evangelischen Kirchenvertreter. Gerade der konfessionelle Religionsunterricht bedinge eine Anerkennung anderer Religionen und biete ein interreligiöses Lernfeld. Denn: "Nur wer über seine eigene Prägung Bescheid weiß, kann in Dialog treten."
Demokratie und Menschenrechte stärker in der Schule zu verankern, sei begrüßenswert. Das von den NEOS angedachte Unterrichtsfach "Leben in einer Demokratie" verdiene eine Diskussion, habe mit der religiösen Herkunft und seiner Reflexion im Religionsunterricht aber wenig zu tun. Vielmehr kritisieren Chalupka und Kallinger die im NEOS-Vorstoß mitschwingende Unterstellung, dass im Religionsunterricht kein Beitrag zum Demokratieverständnis geleistet wird. Ebenso werde unterstellt, dass Menschen ohne Religion automatisch eine demokratischere Gesinnung hätten. Wer zugleich religiöse Bildung ins Private zurückdrängen will, trage zum Obskurantismus und zum Missbrauch von Religion und damit gerade zur Radikalisierung unter dem Deckmantel der Religionen bei.
Fundamentalisten aller Religionen und Weltanschauungen zeichneten sich gerade nicht durch eine vertiefte Reflexion und Kenntnis ihres Gegenstands aus. Die Verbindung zwischen Demokratie, Bildung und Religion sichtbar zu machen, sei deshalb vor dem Hintergrund der Erosion demokratischer Werte unumgänglich. Daher spiele der Religionsunterricht "eine wichtige Rolle in der Stärkung der Demokratie, indem er Lernenden grundlegende Kompetenzen und Werte vermittelt, die für den Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind".
Plädoyer für Pluralität der Zugänge
Ähnlich argumentiert auch die katholische Schulamtsleiterin Andrea Pinz: Das Anliegen, der Demokratieerziehung in der Schule mehr Aufmerksamkeit zu schenken, könne man grundsätzlich nur unterstützen. Genau deshalb sei aber das Ansinnen problematisch, den von den NEOS propagierten neuen Unterrichtsgegenstand zulasten des Religionsunterrichts einzuführen, warnt Pinz. Damit würde einem undemokratischen Zugang Schützenhilfe geleistet, denn der freiheitliche, demokratische Staat lebt von Voraussetzungen, die er sich selbst nicht geben kann.
Pinz: "Ein friedliches Zusammenleben auf Basis einer demokratischen Verfassung lebt von Bürgerinnen und Bürgern, die fähig sind, selbstständig und mit nötiger reflexiver Auseinandersetzung zu einem moralischen Konsens zu finden." Das könne der Staat allein nicht gewährleisten. In einem von pluralen Weltanschauungen geprägten Gemeinwesen spielten in dieser ethischen Konsensfindung philosophische Traditionen ebenso eine Rolle wie ethische Argumente unterschiedlicher religiöser Provenienz. Oder anders gesagt: "In der Frage, welches Handeln gut ist, lassen sich Menschen nicht nur von Lehrplänen und dem Strafgesetzbuch leiten, sondern von dem, woran sie glauben."
Religiöse Bildung sei "etwas, das geschieht, ob der Staat es will oder nicht". Und sie habe Auswirkungen auf die Konsensfindung in der Gesellschaft - gerade und besonders in einer diversen Gesellschaft, so die Schulamtsleiterin: "Indem der Staat religiöse Bildung im öffentlichen Raum und nicht bloß im Privaten ermöglicht, kommt er seiner Aufgabe nach, Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern reifen zu lassen, die auch ihre Religionsfreiheit angemessen wahrnehmen und ausüben können."
Es liege dabei in der Natur der Sache, dass die Religionsgesellschaften diesen Unterricht unter staatlicher Aufsicht selbst verantworten. Auszeichnung eines demokratischen Staates sei es, differente Zugänge nicht nur zuzulassen, sondern auch möglichst frühzeitig im Leben den Menschen zu ermöglichen, das friedliche Miteinander ihrer Verschiedenheiten einzuüben. Mit anderen Worten: "Es geht ums demokratische Einüben, nicht Einebnen der Unterschiede."
Dass es in der Schule verschiedenen wertebildenden Unterricht gibt wie den Philosophie- und Ethikunterricht und eben den jeweiligen konfessionellen Religionsunterricht, sei damit ein Zeichen der Pluralitäts- und Demokratiefähigkeit der Gesellschaft, so Pinz. Die Negierung der Pluralität der Zugänge zugunsten eines Einheitsprogramms wäre hingegen eine Einbuße des demokratischen Prinzips. Bei einer Bildungspolitik, die ein staatlich verordnetes Schulfach propagiert, das zwar Demokratie und Pluralität lehrt, dabei aber die Pluralität der Zugänge außer Acht lässt oder gar infrage stellt, sei daher Vorsicht angebracht.
Quelle: kathpress