"Lange Nacht": Stärkung der EU braucht konkrete Solidarität
Die an diesem Wochenende stattfindende EU-Wahlen waren auch in der "Langen Nacht der Kirchen" Thema - unter anderem in einer Podiumsdiskussion, die im Wiener Figlhaus bei der "Akademie für Evangelisation" stattfand. Caritas-Europa-Präsident Michael Landau diskutierte mit dem Europa- und Menschenrechtler Gabriel Toggenburg über die Überwindung der derzeitigen Demokratiekrise in der EU und den Beitrag, den die Religion dazu liefern müsse. Der gemeinsame Tenor der beiden: Der hoffnungsvolle Blick auf die Union, das Mitgestalten der Gesellschaft und der Kampf gegen Resignation sei Aufgabe aller - und brauche das konkrete Tun.
Europa stecke in einer Demokratiekrise, sagte Toggenburg, der bei der EU-Grundrechteagentur den Bereich Menschenrechtsschutz leitet. Er machte dies an mehreren Beobachtungen fest: "Radikale, die nicht Teil der res publica sind, sind inzwischen Mainstream", so der an der Universität Graz lehrende Jurist. Die Vertrauenswerte der EU seien katastrophal, ein "Restvertrauen" gebe es nur in Politik-unabhängige Einrichtungen wie Militär oder Zentralbanken. Auch dass die Skepsis gegenüber Eliten einem "Hass" gewichen sei, sei "ungesund für das System" wie auch der Verlust von sozialer Mobilität.
Kein Sieg der Rechtsextremen
Trotz allem sei er, was die EU angehe, ein Optimist, betonte Toggenburg: "Die Wahlbeteiligung wird diesmal steigen, was eine Legitimation für das gesamte System ist." Ebenso sei er sicher, dass die Prognosen eines Sieges rechtsextremer Parteien und des Abhandenkommens der politischen Mitte im Parlament sich nicht bewahrheiten würden. "Zudem haben wir in den jüngsten Jahren gesehen, wie resilient Europa ist. Wir sind auch weiterhin mit starken Institutionen ausgestattet, auf die man vertrauen kann. Doch wir sind eben gut im Krankjammern", so der renommierte Europarechtler.
Weniger rosig sehe er hingegen die gesellschaftliche Situation in Europa. Der soziale Zusammenhalt sei an einen "Kipppunkt" gelangt, so Toggenburgs Analyse. Es liege an der EU, zu dessen Rettung einen "größeren Anschub" zu geben - wofür der Fachmann die Einführung eines in allen Mitgliedsstaaten verpflichtenden Sozialen Jahres anregte. Dies würde die Menschen "zwingen, sich mit anderen auseinanderzusetzen, mit anderen in Kontakt bringen und soziale Blasen aufbrechen".
Mut, Zusammenhalt und Zuversicht
Landau rief zu "Zusammenhalt und Zuversicht" auf, da diese Grundhaltungen Europa stark gemacht hätten. Dazu müsse der Fokus auf Gelungenes und auf Chancen gerichtet werden statt auf Ängste. Allzu "kurzatmige" Betrachtungen gelte es dabei zu vermeiden und ebenso den direkten Vergleich etwa zu den USA, China oder Indien, bei dem jedes europäische Land klein sei. Landau: "Wenn wir etwas erreichen wollen, geht es nur gemeinsam." Der Mut, die Fantasie, die Mittel und die Möglichkeiten zu einer guten Gestaltung von Gegenwart und Zukunft seien durchaus vorhanden, "es liegt nur an unserem Willen, ob wir das auch tun oder nicht", so der Caritas-Europa-Präsident.
An die bei der "Langen Nacht der Kirchen" im Figlhaus Anwesenden appellierte Landau, "sich politisch zu engagieren - im weitesten Sinn, und sei es nur durch Interesse an dem anderen, wo man hingestellt ist, und an der Mitgestaltung des Zusammenlebens". Er sei überzeugt, dass der Beitrag des Einzelnen dafür eine große Rolle spiele, so der Caritas-Europa-Präsident. Wichtig sei zudem, "Erfolgsgeschichten weiterzuerzählen, die es überall gibt".
Religion als Solidaritäts-Booster
Auch der Beitrag von Glaube und Kirche für die Gesellschaft und EU wurde in der Podiumsdebatte mehrmals angesprochen. Sie könnten zu einer "Solidarität der Tat" führen, Menschen zusammenbringen und "Wärme und Mitdenken ins Rechtssystem bringen", sagte Toggenburg. Landau sprach von der Kraft des Vertrauens, "dass Gott mit jedem Menschen etwas anfangen kann - mit seinen starken und auch schwachen Seiten". Die Kirche helfe dabei, daraus "Vorrangregeln abzuleiten" - wie etwa, besonders für Menschen am Rand oder in schwierigen Umständen achtsam zu sein und die Armen als "Orte der Gottesbegegnung" zu sehen.
Christlicher Glaube lehre, "dass das Lebensglück darin besteht, sich nicht um das eigene Glück zu kümmern, sondern um das des anderen", so Landau weiter. Auch die Überzeugung, "dass Tod, Leid und Gemeinheit nicht das letzte Wort haben", sei für die Weiterentwicklung einer Gesellschaft wichtig. Dass die Kirchen in den bereits öfter angelaufenen Debatten um die Einführung eines Gottesbezugs in der Verfassung zurückhaltend seien, verstehe er, könne man doch Gott "nicht einfangen in Formulierungen". Schließlich rief Landau auch noch zu einer "Rettung des Kompromisses" auf. "Wir dürfen die Suche nach Lösungen, die uns beide gemeinsam ein paar Schritte weiterbringen, nicht diffamieren", so der Caritas-Europa-Präsident.
Quelle: kathpress