Polak: Migration führt "ins Zentrum des christlichen Glaubens"
Migration ist nicht nur ein heißes politisches Eisen, sondern hat auch eine zutiefst religiöse Bedeutung. Das hat die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak kurz vor der EU-Wahl (9. Juni) in einem Vortrag in Wien betont. Die Weltkirche werde zunehmend von Migranten getragen. Diese Situation fordere zur theologischen Auseinandersetzung mit Migration auf und führe "ins Zentrum des christlichen Glaubens", so Polak, die am Montag im Otto-Mauer-Zentrum auf Einladung des Katholischen Akademikerverbands der Erzdiözese Wien referierte.
Zwei Drittel aller Katholiken leben in Afrika, Lateinamerika und Asien, wo Migration - meist in Form von armutsbedingter Flucht - eine Grunderfahrung sei, so Polak. Auch in Europa bestehe die katholische Kirche zunehmend aus Migrantinnen und Migranten. In der Erzdiözese Wien hätten bereits mehr als ein Drittel der Katholiken Migrationshintergrund.
Die empirische Werteforschung zeige, dass Migration seit den 1990er-Jahren als etwas wahrgenommen werde, das es zu stoppen gilt. Auch im Namen der Verteidigung vermeintlich christlicher Werte nehme Fremdenfeindlichkeit zu, besonders in der katholischen und orthodoxen Bevölkerung, warnte Polak.
Glaube hat "Migrations-Matrix"
Während der Erfolg der Rechtsparteien in Europa maßgeblich der Stigmatisierung von Migration geschuldet sei, bezeichnete Polak Migration als anthropologische Grundkonstante und als Existenzial des christlichen Glaubens. "Der Homo sapiens war von Anfang an ein Homo migrans." Erst durch das nationalstaatliche Paradigma der Historiker des 18. Jahrhunderts haben wir vergessen, dass das Bild der Welt durch Migration geformt wurde", so Polak.
Auch die jüdisch-christliche Tradition sei von einer "Migrations-Matrix" geprägt. Vom Exodus über das Babylonische Exil bis zum Wanderprediger Jesus und der Mission der frühen Christen sei der "Glaube eine Gabe von Menschen mit Migrationserfahrung". Dabei hätten die Menschen in Leid und Katastrophen immer nach den "Zeichen der Zeit" gefragt und "ihnen einen Sinn abzuringen versucht", betonte die Theologin.
"Planetarische Herausforderung"
Im 21. Jahrhundert, verschärft durch die Klimakrise, sei Migration zur "planetarischen Herausforderung" geworden, sagte Polak. Sie verwies auf die italienische Philosophin Donatella Di Cesare, die in drastischen Worten vom politischen Kampf um das Recht auf Migration spreche, der dem für die Abschaffung der Sklaverei gleichkomme.
Die Weltkirche habe die Wichtigkeit des Themas längst erkannt. In der politischen und medialen Öffentlichkeit werde dies aber kaum sichtbar, beklagte Polak. So stehe Migration im Synthesebericht der Weltsynode 2023 an erster und zweiter Stelle. Papst Franziskus habe bereits mit seiner ersten Pastoralreise auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa Migration ins Zentrum seines Pontifikats gestellt, erinnerte Polak. Dabei habe Franziskus nichts Neues erfunden, sondern sich in die "Migrations-Matrix" der christlichen Tradition gestellt.
Migration als Lernort
Polak: "Umdenken ist notwendig. Der biblisch bezeugte Glaube hilft dabei." Die Bibel sei zwar kein "politisches Handbuch", könne aber den "Denkhorizont" weiten. Der Verweis auf "Nächstenliebe" allein sei freilich nicht ausreichend. "Christen sollten nichts schönreden", so die Theologin.
Aus der Perspektive des Glaubens aber könne "das gegenwärtige Migrationsphänomen" als ein "Zeichen der Zeit" verstanden werden, wie es u.a. in der vatikanische Instruktion "Erga migrantes caritas Christi" von 2004 heißt. Demnach könne Migration als ein "Aufruf Gottes, sich am Aufbau einer erneuerten Menschheit zu beteiligen", verstanden werden. Und die Erfahrungen mit Migration können zum "Lernort" werden, an dem Umdenken, Umkehr und gemeinsames Wohnen eingeübt werden können.
Quelle: kathpress