Schwertner: Vorurteile gegen Armutsbetroffene abbauen
Der Wiener Caritasdirektor Klaus Schwertner hat in einem "Kurier"-Gastkommentar (Samstag) auf die zunehmende Zahl von Armutsbetroffenen und deren schwierige Situation aufmerksam gemacht. Eine steigende Zahl an Menschen sei massiv von Armut betroffen, insbesondere Alleinerziehende sowie arbeitslose und chronisch kranke Personen. Schwertner plädierte nicht nur für eine Reihe von politischen Maßnahmen, sondern zugleich auch für ein Abbauen von Vorurteilen gegenüber Armutsbetroffenen. Er bezog sich in seinem Gastkommentar auf einen Leitartikel von "Kurier"-Herausgeberin Martina Salomon vom 11. Mai. Betitelt war Schwertners Replik mit "Armutsbetroffene als faul hinzustellen, ist ein schweres Foul".
Der Sozialstaat "wirkt und schützt viele Menschen vor dramatischen Armutssituationen", so der Caritasdirektor. Gleichzeitig sei Armut auch ein Stück Realität im vergleichsweise wohlhabenden Österreich. Dass im letzten Jahr noch einmal mehr Menschen in Not geraten sind, sehe man nicht nur in der täglichen Caritas-Arbeit, sondern auch an den aktuellen Armutszahlen der Statistik Austria. Nach Jahren der Dauerkrise seien 336.000 Menschen massiv von Armut betroffen. Um 130.000 Personen mehr als noch im Jahr davor. Damit nicht genug: Eine Studie der Gesundheit Österreich zeige, dass rund 420.000 Menschen von schwerer Ernährungsarmut betroffen sind.
Schwertner: "Was sich diese Menschen wohl denken, wenn sie in einem Leitartikel (11. Mai) beinahe pauschal als verantwortungslos beschrieben werden? Wenn ihnen gesagt wird, sie sollen Kartoffeln mit Butter kochen, das sei billig und gesund." Er müsse an die Frau eines Ex-Finanzministers denken, "die meinte, Arme sollen doch auf ihren Balkonen Gemüse anbauen". Für Betroffene fühlten sich solche Ratschläge oft mehr wie Schläge an.
Menschen in Armut seien ohnehin permanent Stress, Scham und Ängsten ausgesetzt, es werde ihnen oft das Gefühl gegeben, sie seien selbst schuld, "wo wir doch wissen, dass Armut ein strukturelles Problem ist".
Bildung als Hilfe zur Selbsthilfe und Erwerbsarbeit seien wesentliche Hebel zur Armutsbekämpfung, wie im Leitartikel richtig benannt werde, so Schwertner weiter. Die Kinderbetreuungsoffensive der Regierung sei ein guter erster Schritt. Weitere müssten folgen. Etwa die Einführung einer echten Grundsicherung für alle, "die eine Untergrenze für menschenwürdiges Leben darstellt, anstelle einer Sozialhilfe, die Obergrenzen definiert". Es brauche eine umfassende Gesundheitsversorgung sowie Zugang zu inklusiver Bildung für alle Kinder, so der Caritasdirektor: "Zumindest Kinderarmut sollte irgendwann nur noch in Geschichtsbüchern zu finden sein. Es bleibt ein Bohren harter Bretter, vor allem beim Abbau von Vorurteilen."
Immer weniger Selbstverantwortung
Salomon hatte in ihrem Leitartikel u.a. geschrieben: "Abgesehen davon leben wir in einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung groß-, Selbstverantwortung aber immer kleiner geschrieben wird." Die hohe Teilzeitquote lasse sich nicht nur mit fehlender Kinderbetreuung erklären, weil ja sogar jede zweite kinderlose Frau zwischen 45 und 54 Jahren Teilzeit arbeitet. Vollzeitarbeit sei ein Schutz gegen Armut, auch im Alter. Gerade jetzt, wo überall willige Arbeitskräfte gesucht werden, lasse sich ein Job finden.
Weil viele Eltern versagen, müssten zudem "die leider ohnehin heillos überforderten Schulen eigentlich auch 'Lebenskunde' lehren, Benehmen und Finanzbasiswissen inklusive. Denn jenen, die in die Armut rutschen, fehlt oft schon Grundsätzliches: Sie haben keinen Tau von brutto, netto, Umsatz, Gewinn, Pensionsberechnung und Vorsorge."
Abgesehen davon hätten die Menschen verlernt, "billig und gesund zu kochen, statt sich nur mit Fertigpizza und Energy Drinks bzw. mithilfe von Lieferando zu versorgen". "Keine Zeit" sei oft eine Ausrede, meinte Salomon: "Wer stundenlang streamt oder im Internet surft, kann daheim Nudeln oder Kartoffeln mit Butter fabrizieren." Und: "Einige Supermärkte vergeben zu Billigstpreisen Obst und Gemüse, das nicht mehr hübsch genug ist. Klingt zynisch? Keineswegs. Jeden Tag Fleisch/Wurst zu essen, macht Gesundheitsprobleme. Ein Drittel aller Volksschulkinder ist bereits übergewichtig."
"Essensarmut" ist daher laut Salomon mehr politischer Kampfbegriff, denn Realität. Fazit: "Ja, es gibt Armut in Österreich. Das beste Rezept dagegen ist Erwerbsarbeit."
Quelle: Kathpress