Lintner: "Guter Sex" ist liebende Kommunikation auf Augenhöhe
Was heute "(Moralisch) Guter Sex?" heißen kann, hat der Südtiroler Moraltheologe Prof. Martin Lintner bei einem so betitelten Gastvortrag am Dienstag an der Universität Graz dargelegt. Der Autor eines jüngst erschienenen Herder-Buches über eine zeitgemäße Sexual- und Beziehungsethik plädierte dafür, die sittliche Qualität einer intimen Beziehung nicht in erster Linie - wie in der traditionellen Sexualmoral - von der Frage nach der biologischen Ausrichtung der Sexualität auf die Zeugung sowie ihrer Integration in die institutionalisierte Beziehungsform der Ehe her zu denken. Der Theologe an der Universität Brixen sprach stattdessen von "Kommunikation von Liebe in einer Beziehung zwischen zwei freien Personen auf Augenhöhe".
Das bedeute nicht, dass die Institution Ehe nicht wichtig wäre, so Lintner. Denn die Ehe als öffentliche, dauerhafte und treue Beziehung bleibe für viele Menschen ein "Sehnsuchtsort" und schaffe auch Rechtssicherheit in Bezug auf Rechte und Pflichten bezüglich der beiden Partner und ihrer Kinder. Zugleich bedeute es aber auch, "dass umgekehrt nicht jede vor- oder nichteheliche Beziehung in gleicher Weise sittlich verurteilt werden können".
Für eine Beziehungsgestaltung, bei der es "um mehr geht als um Sex", erachtet der Moraltheologe die Vermittlung und Aneignung von Kompetenzen als wichtig, "die helfen, die Sexualität in die eigene Persönlichkeit zu integrieren und affektiv zu reifen". Dies erfordere Beziehungsfähigkeit, die Entwicklung von Ich-Stärke, eine gesunde Balance von Nähe und Distanz sowie Respekt vor der Würde, Freiheit und Selbstbestimmung der anderen Person, "um Grenzverletzungen zu vermeiden".
Notwendig sei auch Medienkompetenz, um sich von medial transportierten Geschlechterrollen abgrenzen und vor den Gefährdungen der digitalen Sexualisierung schützen zu können. Lintner verwies dabei auf Phänomene wie Pornographie, "Sexting" - also der Austausch von eigenen pornografischen Fotos oder Videos über Internet und Handy - oder "Grooming", bei dem sich überwiegend männliche Erwachsene im Internet das Vertrauen von Heranwachsenden erschleichen, um sie sexuell zu belästigen. Lintner ortet eine gewachsene Sensibilität dafür, "dass Sexualität anfällig ist, als Instrument der Demütigung, Machtausübung und Gewalt missbraucht zu werden". Die Ablehnung von Gewalt in jeglicher Form sei eine "notwendige und nicht zu unterschreitende ethische Mindestanforderung".
Kirche steht vor Lernaufgaben
Auch der kirchliche Missbrauchsskandal zeigte nach den Worten des Theologen auf, dass Sexualität als Mittel der Macht und Kontrolle in Beziehungen dienen kann, die von Asymmetrie geprägt sind. Es brauche - auch in Theologie und Lehramt - "ein neues Bewusstsein für die verschiedenen Sinndimensionen der Sexualität und ihrer Bedeutung für die psychische und affektive Reifung". Sexuellen Identität entwickle sich komplex - auf der biologischen, soziokulturellen und individuellen Ebene, wies Lintner hin. Freiheit bestehe auch nicht darin, "selbst die eigene sexuelle Identität zu wählen, sondern vielmehr das Recht auf die Freiheit, die eigene sexuelle Identität zu entdecken und anzunehmen".
Hier merkte der Moraltheologe zum neuen Vatikan-Dokument "Dignitas infinita" kritisch an, dass er die Abschnitte über die Genderthematik "mit einer gewissen Ratlosigkeit" lese, da sie der Thematik nicht gerecht würden. Die kritische theologische und theologisch-ethische Konfrontation mit den verschiedensten Ansätzen der Genderstudien werde "in keiner Weise rezipiert".
Quelle: kathpress