Polak: Leitkultur-Debatte demokratiepolitisch "höchst bedenklich"
Die katholische Theologin und Werteforscherin Regina Polak bewertet die aktuelle von der ÖVP angestoßene Debatte um eine Leitkultur als demokratiepolitisch "höchst bedenklich". Die Idee, eine Leitkultur politisch zu verordnen, sei letztlich demokratiefeindlich, denn, "Demokratie lebt im Kern von Anerkennung und von Pluralität", sagte die an der Uni Wien lehrende Wissenschaftlerin am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur "Kathpress". In Demokratien sei Kultur nie eine statische Wirklichkeit, sondern stets beweglich und veränderlich, zeigte sie sich überzeugt.
Es sei unbestritten, dass Gesellschaften normative Referenzpunkte benötigten, so Polak. Zu diesen zählten Menschenrechte, die Verfassung und Gesetze. Aber, "es gibt diese Werte bereits. Wir müssen sie nicht neu erfinden", betonte die Werteforscherin mit Bezug auf den Artikel zwei des Lissabon-Vertrags. Gemäß dem völkerrechtlichen Vertrag über die Europäische Union (EUV) sind die Werte, auf die sich die Europäische Union gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Personen, die Minderheiten angehören.
Diese Werte seien allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. "Sie warteten nur darauf, gelebt zu werden", so Polak.
Multireligiöse Gesellschaft bereits Realität
Weiters sei es niemandem verboten, religiöse Fest oder Bräuche zu feiern und seinen Glauben zu leben. Auch dazu brauche es keine eigens verordnete Leitkultur, hielt die Theologin fest. Die Existenz einer multireligiösen und - kulturellen Gesellschaft sei in Europa eine Realität. Es sei Fakt, dass das Christentum im Abnehmen begriffen ist, die Konfessionslosen nehmen in Österreich von ihrer Größe her bereits den zweiten Platz ein. "Zunehmend weniger Leute sehen etwa einen religiösen Sinn in Feiertagen, die meisten freuen sich einfach auf ein langes Wochenende", das habe aber nichts mit Zuwanderung, etwa von muslimischen Bevölkerungsgruppen, zu tun, so Polak.
Vor Problemen nicht die Augen verschließen
Das bedeute freilich nicht, dass man vor Problemen, die existierten, die Augen verschließen solle, so Polak, die etwa die medial bekannt gewordenen Vergewaltigungen junger Mädchen, Messerstechereien in Wien-Favoriten, oder religiösen Fundamentalismus im Allgemeinen als Problemfelder benannte. Solche Konfliktfelder könnten allerdings nicht durch eine aufoktroyierte "Leitkultur" beseitigt werden, so die Wissenschaftlerin, vielmehr müssten hier soziale, rechtliche und zivilgesellschaftliche Maßnahmen gesetzt werden.
Visionslosigkeit bei Parteien
Die von der Volkspartei am Karfreitag veröffentlichten Sujets, die Maibäume und Trachtenkapellen als österreichische Leitkultur rahmten, hätten sie "erschrocken". Besonders im Kontext mit dem Karfreitag, dem wichtigsten christlichen Trauertag, habe Polak die Bilder als "deplatziert" empfunden. Dass eine "ehemals wertbildende Partei" ganz offensichtlich eine Botschaft verbreite, die ausschließlich Ressentiments bediene, zeige im Gesamtkontext die Visionslosigkeit, die dahinterstehe.
Anstatt sich der "echten Themen", wie dem Kampf gegen den Klimawandel, der Pflegekrise, oder steigender Inflation und Arbeitslosigkeit zu widmen, versuche man, mit solchen Botschaften, offensichtlich in Hinblick auf die anstehenden Wahlen, bestimmte Wählerschichten zu bedienen. Hierbei dürften sich die Kirchen nicht vereinnahmen lassen, so die Theologin abschließend.
Quelle: kathpress