Zulehner: "Menschenrechte stehen über einer Leitkultur"
"Menschenrechte stehen über einer Leitkultur": Das hat der Wiener Theologe und Werteforscher Paul Zulehner zu der zuletzt von der ÖVP angefachten Debatte über ein verbindliches Gemeinsames der in Österreich lebenden Bürgerinnen und Bürger betont. Die Inhalte einer österreichischen Leitkultur konkret zu benennen, werde nicht einfach sein, schrieb Zulehner am Mittwoch in seinem Blog. Jene Inhalte, die in den Menschenrechten verankert sind, bedürften nicht des "Schutzes" einer nur schwer einklagbaren Leitkultur. Andere diskutierte Inhalte blieben "uneinklagbar allgemein und unkonkret".
Der Pastoraltheologe, der seit Jahrzehnten mit der Auswertung der ca. im Zehnjahres-Abstand durchgeführten europäischen Wertestudie befasst ist, bezog sich in seinen Ausführungen auf eine jüngst im "Standard" veröffentlichte Market-Umfrage, was wichtig sei, "um wirklich eine Österreicherin bzw. ein Österreicher zu sein". Klare Mehrheiten erzielten dabei die Beherrschung der deutschen Sprache (71 Prozent "sehr wichtig", 21 Prozent "wichtig"), die Beachtung der Verfassung und Gesetze (60 bzw. 32 Prozent) und die österreichische Staatsbürgerschaft (55 bzw. 26 Prozent). Deutlich weniger wichtig war den Befragten, "österreichische Bräuche und Traditionen zu teilen" und "in Österreich geboren zu sein". Ganz hinten im Ranking: Zugehörigkeit zum christlichen Glauben (39 Prozent "gar nicht wichtig", 25 Prozent "weniger wichtig", 20 Prozent "wichtig", 13 Prozent "sehr wichtig").
Als Religions- und Werteforscher beeindrucke ihn die "realitätsfite Weisheit" der Befragten angesichts der Tatsache, "dass Österreich weltanschaulich/religiös verbuntet ist", so Zulehner. Auch wenn sich nostalgische Verfechter eines "christlichen" oder theologisch besser "christentümlichen Abendlandes" dies wünschten: Von der Religionszugehörigkeit und der Glaubensstärke könne das Österreicherin-Sein nicht abhängig gemacht werden."Eine glaubensstarke Muslima ist ebenso eine echte Österreicherin wie eine glaubensschwache Christin", erklärte der Theologe.
Buntheit braucht Toleranz und Respekt
Sehe man die weltanschauliche "Verbuntung" nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung, könnten beispielsweise Muslime den hohen Stellenwert der Gastfreundschaft oder der Wertschätzung der Familie in die Leitkultur einbringen. Muslime und glaubensfeste Anhängerinnen anderer Religionen würden vielfach weitaus klarer jene konservativen Werte vertreten, für welche die ProtagonistInnen der Leitkultur einstehen. Die Vielfalt der Religionen in Österreich verlange allerdings Toleranz - gerade zwischen den Religionen, so Zulehner. Über Toleranz und Respekt in einer Leitkultur sollte somit ernsthaft diskutiert werden.
Aber gebe es nicht "christentümliche" Elemente in Österreich, die in einer zu definierenden Leitkultur sichtbar bzw. gar verbindlich gemacht werden sollten, fragte Zulehner und nannte als Beispiele christlich geprägte Feiertagskultur und Brauchtum. Hier zeigte sich der katholische Theologe zurückhaltend: Es sei gar nicht so sicher, was bei christlichen Festen wie Weihnachten und Ostern gefeiert wird: "der heidnische Ursprung oder die vertiefende christliche Deutung". Und auch auf ein gemeinsames Brauchtum würden die verschiedenen Regionen Österreichs von Eisenstadt bis Bregenz wohl nicht einigen können. "Selbst diesbezüglich herrscht eine erfreuliche Buntheit", befand Zulehner.
Er zeigte sich skeptisch, "ob am Ende der Diskussion um eine Leitkultur überhaupt etwas mit nachhaltigen Auswirkungen herauskommen kann und wird". Das mache die Diskussion aber nicht sinnlos, sondern im Gegenteil "begrüßenswert". Es sei durchaus von Wert, sich darüber auszutauschen, was den Bürgerinnen und Bürgern Österreichs "heilig" ist "und was uns zusammenhält". Die Diskussion selbst sei der Erfolg, so Zulehner - "auch wenn am Ende nichts (Handfestes) herauskommt".
Quelle: kathpress