Theologe: Passion Jesu ist Lektion für Überwindung von Gewalt
Die Passionsgeschichte Christi ist nach der Leseart des katholischen Theologen Jan-Heiner Tück ein Lehrbeispiel für die Überwindung von Gewalt. Die Bibel schildere eine "universale Allianz gegen Jesus", dieser habe jedoch darauf verzichtet, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten, sondern habe vielmehr das Leiden für alle auf sich genommen. "Die gewaltige Gewaltlosigkeit Jesu gibt gerade heute neu zu denken", schrieb der Dogmatikprofessor an der Universität Wien in einem am Karfreitag veröffentlichten Gastbeitrag für die Tageszeitung "Die Presse".
Mit Verweisen auf den 2015 verstorbenen Kulturanthropologen Rene Girard analysierte Tück den Sündenbock-Mechanismus, welche zur Passion Jesu geführt habe. Girard habe den Fokus besonders auf die Nachahmung - die Mimetik - gelegt und beobachtet, Kriege aller gegen alle würden dadurch vermieden, dass sich in Krisen alle gegen einen richten. "Man braucht ein Opfer, das man für schuldig erklärt. Es muss anders sein und auffallen, damit es als Sündenbock herhalten kann."
Konkret brauche es dafür jemanden, der den ersten Stein werfe, zitierte Tück Girard, woraufhin sich aufgrund mimetischen Verhaltens erst wenige, dann immer mehr und schließlich alle gegen das Opfer wenden würden. Dieses werde, notfalls durch gezielte Verleumdung, als allgemeines Ärgernis und somit als schuldig hingestellt, "sodass klar wird: Es muss weg" - gefolgt von einem kollektiven Gewaltausbruch. Der Mord werde im Nachhinein jedoch vertuscht und das Opfer posthum sakralisiert.
Anders als die Mythen der Völker, welche "dem lynchenden Kollektiv recht geben und so tun als ob das Opfer tatsächlich schuldig ist", decke die Bibel den Sündenbock-Mechanismus kritisch auf, und zwar an vielen Stellen, schrieb Tück. Ihre aufklärerische Leistung bestehe darin, dass nicht das Opfer, sondern das Kollektiv, welches das unschuldige Opfer schuldig gesprochen und brutal beseitigt hat, schuldig sei. Diese Gewalt werde in den Evangelien ausschließlich den Menschen, nicht jedoch Gott zugeschrieben, wodurch "gewaltaffine Vorstellungen von Gott" überwunden würden.
Selbst Petrus ein Verfolger
Dass Jesus schon vor seinem Leiden angekündigt habe, er werde für viele zum Ärgernis, habe sich dann bewahrheitet: "Alle wenden sich gegen den einen", so Tück. Judas Iskariot habe begonnen, indem er Jesus aus Enttäuschung über dessen Gewaltverzicht verraten habe. Simon Petrus habe sich nach Jesu Gefangennahme vom kollektiven Unmut - dem "mimetischen Furor" - anstecken lassen und zum Widerstand - "nicht einmal vor der Magd des Hohepriesters" - keine Kraft aufgebracht. So habe er sich unversehens "auf der Seite der Verfolger" wiedergefunden.
Ähnlich auch der Umschwung bei Pontius Pilatus, der als römischer Statthalter zunächst von Jesu Unschuld überzeugt war und ihn freigeben wollte, dann aber der Skandalisierung der Menge nachgegeben habe und mit seinem Begnadigungs-Versuch gescheitert sei. Auch die Warnung seiner Frau habe er übergangen und - nach demonstrativer Händewaschung - den Befehl zur Folter und Kreuzigung Jesu gegeben. "Die Wahrung der Macht ist ihm wichtiger als einen Unschuldigen vor dem Tod zu bewahren", analysierte Tück.
Als auch die Schaulustigen, Hohepriester und Schriftgelehrten der Kreuzigung beiwohnten und Jesu verhöhnten, hätten selbst die beiden zu seiner Seite gekreuzigten Schächer in den Chor der Verachtung eingestimmt. "Sie erheben sich über den Mitgekreuzigten - ein fragwürdiger Triumph." Nur im Lukasevangelium sei ein "Gegenzeugnis" festgehalten: Einer der beiden Schächer habe dem Sog der Ansteckung reumütig widerstanden, was ihm sogleich das Paradies eingebracht habe.
Girards Deutung der Passion sei womöglich antijüdisch konnotiert, gab Tück zu bedenken. Die soziale Dynamik gegen Jesus komme jedoch klar heraus und habe sogar verfeindete Gruppen zur Überzeugung gebracht, "dass er an allem schuld sein muss" - wobei die Bibel diese "universale Allianz gegen Jesus" sehr ausdrücklich schildere durch die Bemerkung, die verfeindeten Repräsentanten der Macht, Pilatus und Herodes, seien am Tag der Verurteilung Jesu Freunde geworden. Eine "punktuelle Befriedigung" habe sich hier vollzogen.
Dienst an allen
Herausragend und den verhängnisvollen Mechanismus durchbrechend sei hier jedoch das Verhalten Jesu, betonte Tück. Dieser nehme "das Leiden für alle auf sich, ohne sich zu wehren", habe sogar noch sterbend für seine Peiniger um Vergebung gebeten. Vorweggenommen habe Jesus dies schon beim Brotbrechen des letzten Abendmahles, als er sich selbst - mit den Worten "Dies ist mein Leib für euch" - damit identifiziert habe. Der leidende Gerechte habe somit "für alle etwas getan, was diese nicht selbst tun konnten", so der Theologe.
Quelle: kathpress