Bischof Glettler: "Mehr Europa ist gefragt, nicht weniger"
Für den Innsbrucker Bischof Hermann Glettler ist Europa ein "unersetzbares Friedensprojekt", wie er im Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" (Freitag) betonte. "Mehr Europa ist gefragt, nicht weniger", so Glettler wörtlich. Der "bestialische Überfall" auf die Ukraine führe dies deutlich vor Augen. Die nationalstaatlichen Interessen müssten in ein größeres Ganzes eingebettet sein: "Wenn es um Friedenssicherung, wirtschaftliche Stabilität und die enormen ökologischen Herausforderungen geht, braucht es entschlossene Kooperationen. Und die Achtung der Würde jedes Menschen, nicht zuletzt der Geflüchteten und Vertriebenen."
Zur Frage, ob es für christliche Werte noch einen politischen Ansprechpartner gibt, meinte der Bischof: "Ich möchte niemandem die christlichen Werte absprechen." Sehr problematisch werde es aber natürlich, "wenn Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt werden" Auch die "Brutalisierung der Sprache" ist eine Katastrophe, ebenso ideologische Überdehnungen. Als Beispiel wolle er die Forderung nach einem Menschenrecht auf Abtreibung nennen. "Dem widerspricht doch das fundamentale Lebensrecht eines Menschen in seiner ersten Entwicklungsphase", betonte Glettler.
Der Bischof erinnerte an den jüngsten "Marsch fürs Lebens" in Innsbruck, der unter dem Motto "Weil jedes Leben l(i)ebenswert ist" stattfand. Das Motto halte er für großartig, zugleich sei er sich nicht sicher, "ob dieses sensible Thema auf die Straße gehört". Sinnvolle Dialoge bräuchten eine andere Atmosphäre. Unbedingt zu vermeiden sei jedenfalls eine politische Vereinnahmung des Themas, wie dies in den USA "in grauslicher Weise" geschehe. Persönliche und ergebnisoffene Beratungsangebote seien wichtig.
Der Bischof sprach sich auch einmal mehr gegen Abtreibungen in einem öffentlichen Krankenhaus aus: "Schwangerschaft ist keine Krankheit. Deshalb gehört ein Schwangerschaftsabbruch nicht in eine öffentliche Gesundheitseinrichtung. Es gibt dafür den niedergelassenen Bereich."
60 Jahre Diözese Innsbruck
Im Blick auf das 60-Jahr-Jubiläum der Diözese Innsbruck sagte der Bischof: "Es ist ein dankbares Zurückschauen, denn die 60 Jahre waren eine Geschichte des Aufbruchs." In der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) habe es starke pastorale Momente gegeben, natürlich aber auch Konflikte. In Tirol seien "hervorragende Kirchen und Pfarrzentren" errichtet worden, wo heute allerdings teils die Leute fehlten. Dennoch, so der Bischof, "versuchen wir, das pastorale Netz der Seelsorge aufrechtzuerhalten. Und in einigen Bereichen auszubauen". Glettler hob in diesem Zusammenhang die Stärkung der Krankenhausseelsorge hervor oder die Eröffnung eines neuen Bildungshauses für Osttirol.
"Wir haben 70 Seelsorgeräume, die es mit Leben zu füllen gilt, nahe am Puls der Menschen", betonte der Bischof. Vor Ort brauche es Menschen, "die ein offenes Herz haben und innerlich verstanden haben, was der christliche Glaube bedeutet". Zum Glück gebe es ein "großartiges" Engagement der Ehrenamtlichen. Die leitende Verantwortung in den Seelsorgeräumen übertrage man zunehmend nicht nur Priestern, sondern ebenso Laien, dafür ausgebildeten Frauen und Männern. Fazit: "In guter Zusammenarbeit lässt sich da einiges entkrampfen. Ich bin zuversichtlich."
Dass in großem Stil Kirchen aufgelassen werden, sah Glettler für die Diözese Innsbruck nicht, "abgesehen von zwei, drei Bauten der Nachkriegsmoderne". In Tirol würden unzählige Kirchen und Kapellen mit großem Einsatz erhalten. Das sei eine enorme Kulturarbeit, von der die gesamte Bevölkerung und auch der Tourismus profitierten, würdigte der Bischof. Ohne Landesgedächtnisstiftung und Kirchenbeitrag wäre vieles nicht möglich.
Runde Tische
Glettler blickt im Interview voraus auf die Jubiläumsfeierlichkeiten: "Wir werden beim Festgottesdienst am 28. April im Dom als Symbol 60 runde Tische verwenden. In Anspielung an die Synodalversammlung in Rom, wo an solchen Tischen offen diskutiert wurde." Nach der diözesanen 60er-Feier sollen diese Tische in den Gemeinden Dialogprozesse und Begegnungen anregen, kündigte der Bischof an: "Mir scheint, dass dies angesichts einer zunehmenden Härte in den öffentlichen Debatten enorm wichtig ist."
Zur Frage, wie man die Jugend noch an den Tisch bekomme, zeigte sich der Bischof überzeugt, dass dies am ehesten gelinge, wenn man der Jugend mit Vertrauen begegne, Interesse zeige und selbst authentisch sei. Nachsatz: "Anbiederei geht gar nicht." Junge Leute, "die heute mit einer beschädigten Zuversicht leben müssen", wollten ernst genommen werden. Nicht zuletzt sei der Klimanotstand eine große Belastung, ebenso auch Einsamkeit und oftmals das Gefühl, nicht zu genügen. Glettler: "Begegnungen mit Jugendlichen sind mir persönlich sehr wichtig. Und auch in Zukunft brauchen wir einen guten Religionsunterricht."
Zur Frage, was Ostern für ihn bedeute, sagte der Bischof: "Ostern ist für mich ein starkes Angebot an Zuversicht -trotz allem! Es geht darum, die vielfältige Dynamik des Bösen zu unterbrechen." Wichtig sei, sich auf die Botschaft des Festes einlassen. Glettler: "Die ausgebreiteten Arme des Gekreuzigten sind ein heilsames Bild. Versöhnung ist möglich. Es gibt einen verlässlichen Trost und die Gewissheit, auch im ärgsten Elend nicht allein zu sein. Ostern schmeckt nach Zukunft."
Quelle: kathpress