Gottfried Helnwein erläutert "Ostertuch" mit gekreuzigtem Kind
Das potenziell verstörende, ja "polarisierende" Gemälde eines Kindes mit den Wundmalen Christi ziert das Pfarrblatt der Dompfarre St. Stephan, wo es im Altarraum als "Ostertuch" hätte werden sollen. Aufgrund von am Donnerstag formulierten Bedenken des Wiener Domkapitels, die großformatige fotorealistische Darstellung eines blutenden Kindes könnte Menschen "in ihren Gefühlen verletzen", kommt es mit der Osternacht nun nicht zur Enthüllung der zweiten von drei von Gottfried Helnwein für den Stephansdom gefertigten Kunstwerke - es bleibt beim zu Beginn der Fastenzeit präsentierten ersten Bild mit dem Christus des Turiner Grabtuchs als Veranschaulichung des "Hinabgestiegen in das Reich des Todes" aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis.
In der soeben erschienenen Osterausgabe des Pfarrblattes erläutert der international bekannte Künstler das ursprünglich für Ostern geplante Sujet und auch, warum es für ihn eine "aufregende Herausforderung" gewesen sei, für den Stephansdom ein Werk zum Osterfest zu schaffen. Das Titelbild des Pfarrblattes nimmt die Enthüllung vorweg: Zu sehen ist ein Kind im Volksschulalter mit den Merkmalen des auferstandenen Christus: nackt bis auf einen weißen Lendenschurz, Wundmale an Brust und Handflächen, in einer wie von Licht erhellten Szenerie den Blick nach oben gerichtet.
Er habe sich bei dieser Arbeit "ganz bewusst so genau wie möglich an der christlich ikonographischen Symbolik orientiert, natürlich - wie alle meine künstlerischen Vorgänger - in meiner eigenen zeitgenössischen Bildsprache". Jesus sei üblicherweise nur in zwei archetypischen Darstellungsformen zu sehen, erläuterte Helnwein: als erwachsener bärtiger Mann, oft im Zusammenhang mit Leidensgeschichte und Kreuzestod, und als Kind im Zusammenhang mit Inkarnation und Geburt Gottes inmitten der Menschheit. Er habe "für die Auferstehung, den Sieg des Lebens über den Tod und als Symbol für den Beginn des neuen, ewigen Lebens" eine Jesusdarstellung als Kind gewählt - ein für Helnwein typisches Motiv unschuldig leidenden Lebens.
Bewunderung für den Stephansdom
In seinem Beitrag für das Pfarrblatt äußerte der 75-jährige gebürtige Wiener auch seine Bewunderung für und Verbundenheit mit dem Stephansdom. Die im Krieg zerstörte und in einer gesamtösterreichischen Anstrengung wieder aufgebaute Domkirche sei für ihn ein "Symbol für den Überlebenswillen der Wiener" und einer "einzigartigen, Jahrhunderte alten kulturellen Tradition, in der auch meine Arbeit tief verwurzelt ist". Erst Kunst und Spiritualität würden der menschlichen Existenz Sinn und Würde verleihen, und "ohne Kunst oder irgendeine Form von Ästhetik wäre Religion für Menschen wahrscheinlich zu abstrakt, um erfahrbar zu sein", so der sich selbst als katholisch geprägt bezeichnende Künstler, der seine Arbeiten im Stephansdom "um Gottes Lohn" zur Verfügung stellte.
Sein "Ostertuch" und auch das "Pfingsttuch", das bis zur Langen Nacht der Kirchen am 7. Juni die Geistaussendung durch rötliche Flammen des Heiligen Geistes zeigt, wird Besuchern des Stephansdoms in der Osterzeit jedoch vorenthalten bleiben.
Quelle: kathpress